Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 404 / August 2019

Europäische Vernetzung von unten

Gemeinsamer Kampf gegen die Wohnungskrise – die European Action Coalition for the Right to Housing and to the City

Von Andreas Hüttner   

Radical Housing Network, Droit Au Logement, Frontul Comun pentru Dreptul la Locuire. Auch ohne Sprachkenntnisse lässt sich erahnen, dass es sich diese Gruppen auf die Fahne geschrieben haben, das Recht auf eine angemessene Wohnung durchzusetzen, und zwar auf europäischer Ebene.     

Für die meisten Menschen ist Wohnen ein existenzielles Gut, für wenige eine profitable Anlagemöglichkeit. Um diesem Hunger des Kapitals nach Verwertung etwas entgegenzusetzen haben sich 30 stadtpolitische Gruppen aus 20 europäischen Ländern in der European Action Coalition for the Right to Housing and to the City (EAC) zusammengeschlossen. Seit der Gründung im Jahr 2013 in Essen und Athen gibt es halbjährliche Treffen zum Erfahrungsaustausch und zur Abstimmung einer gemeinsamen Strategie. Anfang Juni versammelten sich die europäischen Aktivist/innen in Berlin. Ausrichter waren das Bündnis Zwangsräumung verhindern und die Solidarischen Aktion Neukölln. An insgesamt vier Tagen wurden verschiedene Workshops angeboten, die sich unter anderem Themen wie der Gründung und Moderation von Mietergruppen widmeten. Bei mehreren internen Treffen ging es um Finanzierungsfragen für die europäische Vernetzung, die Weiterentwicklung der Öffentlichkeitsarbeit, die Strukturen des Bündnisses und die Schwerpunkte der Arbeit in den kommenden Monaten. Auf Stadtteilrundgängen in Neukölln wurde über die konkreten Erfahrungen mit Verdrängung und Widerstand in diesem Bezirk informiert. Die europäischen Gäste beteiligten sich auch an einer Protestaktion der Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen. Ein Filmabend über den zweijährigen Kampf rumänischer Roma gegen ihre Zwangsräumung lenkte den Blick auf Osteuropa. Wobei der anwesende Filmemacher klar stellte, dass Korruption in diesem Land zwar eine große Rolle spiele, das Hauptproblem aber ganz banal in der kapitalistischen Verwertung der Stadt liege. Der kapitalistischen Verwertung droht auch das seit 1994 besetzte Rozbrat im polnischen Poznan zum Opfer zu fallen. Das Rozbrat, das älteste besetzte Haus Polens, ist ein kultureller und politischer Treffpunkt und an unzähligen Mieter- und Gewerkschaftskämpfen beteiligt. 1948 wurde das Gelände verstaatlicht, aber mit dem Übergang des Landes zum Kapitalismus mit hohen Krediten reprivatisiert. Der Käufer ging bankrott, die Bank verkaufte das Darlehen an ein Schuldenhandelsunternehmen, das das Grundstück nun verkaufen will. Damit würde dem Rozbrat die Zwangsräumung drohen. Die lokale Politik verweigert jede Unterstützung mit dem üblichen Argument, ihr seien die Hände gebunden. So kommt die Stärke der EAC ins Spiel – die europaweite Vernetzung. Denn das Rozbrat benötigt nun sowohl finanzielle Unterstützung für die juristische Auseinandersetzung wie auch politischen Druck durch öffentliche Aktionen in vielen europäischen Ländern.      

                                         

Mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede        

Das Rozbrat steht nahezu prototypisch für die Transformation auf dem Immobilienmarkt in Osteuropa seit den 1990er Jahren. Staatliche Wohnungen wurden in großem Umfang privatisiert und gingen oftmals an die Bewohner/innen. Doch Sicherheit vor dem Verlust der Wohnung bedeutete das für viele Menschen keineswegs, denn die Bewohner/innen müssen nun auch für Instandhaltung und die rasant gestiegenen Betriebs- und Energiekosten aufkommen, was für Erwerbslose oder Beziehende von niedrigen Löhnen oder Renten ein Ding der Unmöglichkeit ist. Diejenigen, die ihre „Eigentumswohnungen“ nicht halten können oder gar nicht erst in den Besitz kamen, haben schlechte Karten. Denn die Privatisierung führte auch zu einem nahezu vollständigen Verlust an Sozial- und Mietwohnungen.    Auch in den südeuropäischen Ländern Spanien, Portugal und Griechenland mit einem traditionell hohen Anteil an Wohnungs- oder Hauseigentümer/innen hat sich die Situation verschärft. Die Banken vergaben Kredite mit vollen Händen – auch bei zweifelhafter Bonität. So wurde in Portugal vollmundig mit dem Slogan „Du brauchst ein Haus, geh zur Bank!“ geworben. Doch die neoliberale Austeritätspolitik und die mit ihr verbundene Massenerwerbslosigkeit und wachsende Armut führten dazu, dass die Kredite oftmals nicht mehr bedient werden können, was zu massenhaften Zwangsversteigerungen und Zwangsräumungen führt. Die Häuser gehen dann als Spekulationsmasse an die Banken, nicht wenige Hauseigentümer/innen landen in der Obdachlosigkeit und sind zusätzlich noch lebenslang hoch verschuldet.                        
In Ländern mit vergleichsweise großen Beständen an Miet- und Sozialwohnungen wie Großbritannien und Deutschland wurden diese in großen Teilen privatisiert. In Deutschland sind Sozialwohnungen ohnehin nur 20 - 30 Jahre mietpreis- und belegungsgebunden. Statt Wohnungen in unmittelbarer öffentlicher Trägerschaft zu bauen, wie es beispielsweise die Stadt Wien seit vielen Jahrzehnten praktiziert, handelt es sich beim Sozialen Wohnungsbau in Deutschland lediglich um eine Investorenförderung mit sozialer Zwischennutzung.             
Obwohl sich die Strukturen und Rahmenbedingungen des Wohnungsmarktes in Süd-, Ost- und Westeuropa deutlich unterscheiden, ähnelt sich die Lage der Betroffenen. Im Endeffekt haben alle Menschen, die von ihrem Einkommen – sofern dies nicht überdurchschnittlich hoch ist – oder staatlichen Hilfen leben müssen, in allen europäischen Ländern vergleichbare Probleme. Egal, ob sie in der eigenen Wohnung, dem eigenen Haus oder zur Miete wohnen: Alle sind von der Privatisierungspolitik, den Kürzungen bei der sozialen Daseinsvorsorge und der Umverteilungspolitik von unten nach oben betroffen. Die Möglichkeit, seine Wohnung zu verlieren, ist in großen Teilen Europas zum realen Bedrohungsszenario geworden. Und genau das ist die wichtigste Triebkraft einer europaweiten Vernetzung der Initiativen.                                                        

Organisierung und Widerstand                

Die EAC ist ein kunterbunter Haufen. Einige Gruppen sind nur in einer einzigen Stadt aktiv, einige im ganzen Land, die PAH (Plattform der Hypothekengeschädigten) beispielsweise in 240 Städten in ganz Spanien. Einige EAC-Gruppen bestehen aus wenigen Stadtteil- oder Projektaktivist/innen, andere haben tausende Mitglieder. Verbindende Elemente sind die basisdemokratische Organisierung sowie die antikapitalistische Ausrichtung. Einig ist man sich auch bei der Orientierung auf konkrete Aktionen in vielfältigen Formen. Diese reichen von Stadtteilfesten, Kundgebungen, Demonstrationen und Kunstaktionen bis hin zu direkten Konfrontationen mit den Profiteuren der Wohnungskrise. Blockaden bei Zwangsräumungen und Zwangsversteigerungen, Hausbesetzungen und Besuchen bei Verantwortlichen sind in vielen Ländern übliche Aktionsformen. Natürlich gibt es dabei erhebliche Unterschiede. Was in einem Land gerade noch als „ziviler Ungehorsam“ geduldet wird, wird in einem anderen möglicherweise mit staatlicher Gewalt verfolgt.                        
Zur Vernetzung gehören auch eigene Recherchen und gemeinsame Publikationen in englischer Sprache. Dazu gehört eine Broschüre zur Finanzialisierung des Wohnungsmarktes oder eine Auflistung der Aktionen einzelner Gruppen in ihren jeweiligen Ländern. Dazu kommen auch internationale Aktionstage, wie zum Beispiel Proteste gegen die jährlich stattfindende MIPIM, die weltgrößte Immobilienmesse, oder Aktionen vor Büros der EU-Kommission. Ein weiterer Höhepunkt war sicherlich der europaweite Aktionstag am 6. April 2019, als zeitgleich mit der großen Berliner Mietenwahnsinn-Demonstration in 
22 europäischen Städten demonstriert wurde, teilweise sehr kurzfristig organisiert. Aufbauend auf diesen Erfahrungen ist auch für das Frühjahr 2020 ein europaweiter Aktionstag in Planung.    Trotz aller Schwierigkeiten und Rückschläge und trotz der großen Macht der europaweit sehr gut vernetzten Immobilienlobby gibt es also keinen Grund zur Resignation. Und diese Stimmung prägte auch das diesjährige EAC-Vernetzungstreffen in Berlin.                                      

Weitere Informationen: https://housingnotprofit.org


MieterEcho 404 / August 2019

Schlüsselbegriffe: Wohnungskrise,Kampf,Vernetzung,EAC

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