Die Grenzen der Barmherzigkeit
In Kreuzberg hat ein Unternehmen der katholischen Kirche die Einrichtung eines sozialen Hausprojekts verhindert
Von Ralf Hutter
Die Wohnungsbesetzung in der Großbeerenstraße 17a am westlichen Rand Kreuzbergs ist seit dem 29. Mai beendet, der Streit um das Haus aber noch lange nicht. „Wir als Hausprojektgruppe werden das Haus weiter beobachten und fordern weiterhin eine soziale Nutzung“ , sagt Winnie, ein Kreuzberger, der seit Jahren dort einziehen möchte. Winnie, der eigentlich anders heißt, möchte zusammen mit über einem Dutzend Menschen ein kollektives Wohnprojekt mit einem Raum für nachbarschaftliche Aktivitäten schaffen – nicht zuletzt, weil er in seiner einst städtischen Wohnung wegen Eigenbedarfs gekündigt wurde.
Das Haus gehört der Aachener Siedlungs- und Wohnungsgesellschaft mbH (ASW). Das Unternehmen gehört mehreren westdeutschen katholischen Bistümern und wirbt in Veröffentlichungen mit seiner „sozial-christlichen Ausrichtung“. Hauptanliegen der ASW sei es, „Wohnungsangebote für breite Bevölkerungskreise und besondere Gruppen zur Verfügung zu stellen“. Als Beispiele werden Wohngemeinschaften für Demenzkranke, betreutes Wohnen, Unterkünfte für Geflüchtete und die Schaffung barrierefreien Wohnraums für Senioren aufgezählt. Große überregionale Aufmerksamkeit und viel Lob bekam die ASW vor einigen Jahren, als sie einen heruntergekommenen Häuserkomplex in Neukölln übernahm und sanierte, in dem der Vorbesitzer vor allem Menschen aus Ost- und Südosteuropa zu horrenden Preisen unter unwürdigen Bedingungen einquartiert hatte.
Dennoch ist unverkennbar, dass es sich bei der ASW um ein profitorientriertes Unternehmen handelt. Dem Firmendatenportal northdata.de zufolge stieg der Jahresgewinn von 2009 bis 2017 kontinuierlich von 24 Millionen Euro auf fast 44 Millionen Euro. Laut dem 2018 erschienenen Buch „Scheinheilig. Das Billionen-Vermögen der katholischen Kirche“ von Hans-Lothar Merten gehören der ASW Immobilien in Einkaufsmeilen im Rheinland mit einem Wert im dreistelligen Millionenbereich. Ein Tochterunternehmen der ASW verwaltet demzufolge milliardenschwere Immobilienfonds.
Jahrelanger Leerstand
Auch in der Großbeerenstraße 17a zeigt die ASW alles andere als ein “sozial-christliches“ Gesicht. Ende 2014 kaufte die ASW das Haus, das der Voreigentümer schon „recht rabiat entmietet“ hatte, wie Winnie berichtet. Unter anderem seien zeitweise die Heizungen abgestellt gewesen. Laut Hausprojektgruppe sind nur drei von zwölf Wohnungen bewohnt, und die ASW habe den Leerstand nicht beendet. Die Gruppe hat der ASW mehrmals schriftlich Interesse am Kauf des Hauses signalisiert, was von dem Unternehmen aber abgelehnt wurde.
Beim Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg war der Leerstand aktenkundig, und dessen Beendigung wurde angemahnt. Eine Anfrage der ASW im Sommer 2016 zur Errichtung von Balkonen und Dachterrassen wurde noch im selben Jahr abschlägig beschieden. Trotz dieser Ablehnung galt eine Leerstandsgenehmigung einer anderen Bezirksabteilung wegen geplanter Modernisierungen. Im Februar 2017 waren dem Bezirk aber keinerlei Baumaßnahmen bekannt, die einen Leerstand rechtfertigen würden, wie aus der Antwort auf eine entsprechende Anfrage hervorging. Als die Leerstandsgenehmigung im Juni 2017 auslief und der Bezirk sogar ein Zwangsgeld androhte, um die Wohnungen endlich auf den Markt zu bekommen, legte die ASW dagegen Widerspruch ein. In der Antwort auf eine erneute Anfrage in der Bezirksverordnetenversammlung hieß es im Februar 2018: „Nach Aussage des Eigentümers finden derzeit Sanierungsarbeiten in den leerstehenden Wohnungen statt, um die Vermietbarkeit wiederherzustellen. Diese sollen zügig abgeschlossen werden, damit eine zeitnahe Vermietung erfolgen kann.“ Doch nach Aussage der Hausprojektgruppe kann davon keine Rede rein. Nach der Besetzung am 8. September 2018 erhielten Vertreter/innen der Gruppe von der ASW die Möglichkeit, die leerstehenden Wohnungen zu besichtigen. Dabei wurden auch Fachleute hinzugezogen, um den Sanierungsbedarf und die entsprechenden Kosten einzuschätzen. Laut Winnie wurden dabei „massive Feuchtigkeitsschäden und Schimmelbefall“ sichtbar.
Die ASW gestand der Hausprojektgruppe die Nutzung einer Eckwohnung zu und trat in Verhandlungen über eine langfristige soziale Nutzung des Hauses ein. Unter Vermittlung von Politiker/innen der Grünen fanden mehrere Gespräche mit der Hausprojektgruppe über deren Vorstellungen statt – die aber letztlich ohne Ergebnis blieben.
Die Gruppe versteht sich auch als Teil des Kampfes für eine Stadt für Alle. Ein besonders wichtiger Aspekt sind für die Aktivist/innen Perspektiven für das Wohnen im Alter. „Wir wollen ein gemeinschaftliches Wohnen organisieren, wo wir uns gegenseitig im Alter unterstützen“, betont Winnie. Angeblich zeigte sich die ASW zunächst offen für ein alternatives Wohnprojekt in einer Hälfte des Hauses, wobei in der anderen Hälfte ein sozialer Träger Wohnungen für schutzbedürftige Frauen anmieten sollte. Der Hausprojektgruppe war das allerdings nicht genug. Sie verlangte den Hausverkauf, weil ihr ein Mietvertrag langfristig zu unsicher war und weil sie das Haus dauerhaft dem Markt entziehen will. Ende Februar 2019 erklärte die ASW die Gespräche für gescheitert und verlangte die Rückgabe der Wohnung bis Ende März. Die Hausprojektgruppe nannte den Abbruch der Verhandlungen überraschend und unverständlich und betonte, sie sei für Kompromisse offen gewesen.
Überraschende Räumung
Die zugestandene Wohnung hatte sich schnell zum viel genutzten Treffpunkt für politische Veranstaltungen und Treffen nachbarschaftlicher und stadtpolitischer Gruppen entwickelt. Auf eine Räumung verzichtete die ASW nach Ablauf der Frist zunächst. Für die vorläufige Duldung wurde allerdings vereinbart, dass sich nie mehr als fünf Personen in der besetzten Wohnung aufhalten sollten. Zur Einhaltung der Regelung wurde ein Wachschutz beauftragt. Am 29. Mai verschafften sich aber weitere Personen Zutritt zur Wohnung – vermutlich über ein Baugerüst, weil zu einer Feier mobilisiert worden war. Nach weitgehend übereinstimmenden Aussagen beider Seiten geschah dann folgendes: Die herbeigerufene Polizei drohte im Beisein eines ASW-Vertreters mit Räumung und Personalienerhebung, so dass die Wohnung von allen Anwesenden verlassen wurde. Daraufhin wurde die Wohnung leergeräumt, laut Hausprojektgruppe sogar unbewohnbar gemacht.
Die Gruppe kritisiert nun in einer Stellungnahme, dass es einen Rechtsanspruch auf die weitere Nutzung der Wohnung gegeben habe und zum Zeitpunkt der Räumung bereits neue Verhandlungen angebahnt worden seien, für die ein neuer Konzeptvorschlag vorgelegen habe, der dem Mieterecho vorliegt. Danach würde die ASW Eigentümerin des Hauses bleiben und die Verwaltung einem Hausverein überlassen.Markus Deml, der Leiter der Berliner ASW-Niederlassung, bestätigt gegenüber dem MieterEcho, dass Ende Mai noch Verhandlungen anstanden. Wegen „erneut besetzungsähnlicher Handlungen“ sei es nicht dazu gekommen. „Insofern waren alle Beteiligten, inklusive Frau Schmidberger [wohnungspolitische Sprecherin der Grünen im Abgeordnetenhaus; Anmerkung der Redaktion] sehr verwundert über das Vorgehen der Besetzer“, so Deml weiter.
In einem Brief der ASW-Hauptverwaltung vom 4. Juli, der als Antwort auf ein Schrei-
ben der Hausprojektgruppe von Juni verfasst wurde und dem MieterEcho vorliegt, beschreibt die Firma ihre aktuellen Pläne für das Haus. Diese beinhalten unter anderem „einen niedrigschwelligen Schutzraum und vier Schutzwohnungen für obdachlose Frauen sowie eine entsprechende Beratungsstelle“. Weiter heißt es: „Die übrigen Wohnungen werden an Menschen mit unterschiedlichen Bedarfen und wirtschaftlichen Mitteln vermietet.“ Laut Deml soll die Sanierung im Frühjahr 2020 abgeschlossen werden.
Winnie von der Hausprojektgruppe sieht diese Ankündigungen skeptisch. Schließlich sei der jahrelange Leerstand auch eine Spekulation auf eine Wertsteigerung des Hauses. Auch der ursprüngliche Plan, Balkone und Dachterrassen anzubauen, weise in diese Richtung. Die Gruppe kritisiert zudem, dass der Bezirk sich jahrelang hat hinhalten lassen.
MieterEcho 404 / August 2019