Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 404 / August 2019

Der lange Arm der Lobbyisten

Wohnungswirtschaft und Digitalkonzerne wie Airbnb ziehen auf EU-Ebene alle Register um Regulierungen zu verhindern

Von Christina Deckwirth und Ulrich Müller, LobbyControl                   

In vielen europäischen Metropolen ist die Zweckentfremdung von Wohnraum für die kommerzielle Vermietung an Tourist/innen zu einem großen Problem geworden, das die ohnehin dramatische Entwicklung auf den entfesselten Wohnungsmärkten noch zusätzlich verschärft. Lokale Behörden bemühen sich mit unterschiedlicher Intensität um die Eindämmung dieses Wildwuchses – und stoßen dabei regelmäßig an juristische und politische Grenzen.   

Wohnungspolitik wird nicht nur vor Ort gemacht, sondern auch in Brüssel. In der Hauptstadt der Europäischen Union ringen verschiedene Interessenverbände um politische Entscheidungen, die auch die lokale Wohnungspolitik betreffen. Das zeigt das Beispiel der Vermieterplattform Airbnb, die über ihre Lobbyarbeit in Brüssel massiven Einfluss auf lokale Regulierungsvorhaben nimmt.
Ohnehin ist den wenigsten Bürger/innen bewusst, dass rund 80% aller nationalen Gesetze mittlerweile direkt oder indirekt durch die europäische Rechtsetzung veranlasst oder beeinflusst werden. Deswegen haben sich in Brüssel auch rund 20.000 Lobbyist/innen offiziell registrieren lassen. Zwar gibt es keine ausdrückliche EU-Kompetenz für den Wohnungsbau, doch Gebäuderichtlinien, Binnenmarktbestimmungen für Dienstleistungen oder Steuerregularien haben erheblichen Einfluss auf diesen Sektor.
Eine der größten Lobbyorganisationen der Wohnungswirtschaft ist die European Federation of Public, Cooperative & Social Housing, kurz: Housing Europe. Aus Deutschland gehört der Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW) zu Housing Europe. Ein Verband, der anfangs vor allem kommunale und genossenschaftliche Wohnungsunternehmen vertrat. Doch nach der Privatisierung großer kommunaler Wohnungsbestände und der Abschaffung der Wohngemeinnützigkeit hat sich die Struktur des GdW stark verändert. Zu einflussreichen Mitgliedern gehören heute die beiden größten börsennotierten deutschen Wohnungskonzerne Deutsche Wohnen und Vonovia.
                            

Gut vernetzte Verbände

Ein noch recht junger Akteur in Brüssel ist die European Public
Real Estate Association (EPRA), zu deren Mitgliedern sowohl börsennotierte Unternehmen aus der Immobilienbranche, als auch Banken, Versicherungen oder Vermögensverwalter, die im Wohnungssektor engagiert sind, gehören. Entsprechend richten sich die Lobbyaktivitäten der EPRA vor allem auf die Themen Finanzmarktregulierung und Steuerfragen. Als Lobby der privaten, nicht institutionellen Eigentümer agiert in Brüssel die Union Internationale de la Propriété Immobilière (UIPI). Ihr deutsches Mitglied ist der Verband Haus und Grund.
Große nationale Akteure sind auch eigenständig in Brüssel präsent, aus Deutschland neben GdW und Haus und Grund auch der Zentrale Immobilien Ausschuss (ZIA). Dessen hervor-
ragende Vernetzung zeigte unlängst eine ZIA-Veranstaltung im Rahmen der European Energy Week der Europäischen Kommission. Dort erschienen mit Miguel Cañete und Günther Oettinger gleich zwei EU-Kommissare, um mit der Immobilienbranche über das Thema Gebäudeenergieeffizienz zu diskutieren. Ein wichtiges Forum, um Einfluss auf die europäische Wohnungspolitik zu nehmen, ist zudem die Urban Intergroup im Europäischen Parlament. Hier treffen wohnungspolitische Verbände, Unternehmen sowie Vertreter/innen aus Städten und Kommunen auf Parlamentarier/innen aller Fraktionen.
Wie sich diese gezielte Einflussnahme konkret auf lokale Wohnungspolitik auswirken kann, zeigt das Beispiel kommerzieller Vermittlungsplattformen wie Airbnb. In den einzelnen Ländern stehen sie teilweise unter erheblichem Druck. Daher versuchen sie, die europäische Ebene zu nutzen, um lokale Regeln gegen Zweckentfremdung zu erschweren und damit den Handlungsspielraum der Städte einzuschränken.
Nachdem immer mehr Städte Schritte einleiteten, um die Kurzzeitvermietung von Wohnungen an Tourist/innen zu unterbinden oder wenigstens zu erschweren, intensivierte Airbnb seine  Lobbyarbeit in Brüssel. Eine zentrale Strategie war dabei, die eigenen Nutzer/-innen politisch zu aktivieren. Weltweit stellte das Unternehmen in den letzten Jahren Community Organizer ein und gründete sogenannte Homesharing Clubs, die beispielsweise massenhafte Postings an Politiker/innen organisierten. In Brüssel wurde 2015 die Lobbyagentur Political Intelligence beauftragt, der Firma die notwendigen Kontakte zu vermitteln. Airbnb wurde Teil des Digital Tourism Network, eines von der EU-Kommission eingerichteten Beratungsnetzwerks.                             
Über ihren Lobbyverband, die European Holiday Home Association (EHHA), versuchen die Vermietungsplattformen, Regeln gegen Zweckentfremdung auszuhebeln. 2016 reichte die EHHA eine formale Beschwerde bei der EU-Kommission ein. Sie richtete sich gegen lokale Regeln in Barcelona, Berlin, Brüssel und Paris, die die Vermietung von Ferienwohnungen begrenzen und den Wohnungsmarkt schützen sollen. Für die EHHA ist das ein Verstoß gegen den freien Binnenmarkt.  
Ein Papier dieses Verbandes legt dar, wie lokale Maßnahmen gegen Zweckentfremdung weitgehend ausgehöhlt werden sollen. Die Plattformen beschreiben sich dort als reine Vermittler, die keinerlei Verantwortung für möglicherweise illegale Aktivitäten einzelner Nutzer/innen tragen. Sie wehren sich gegen Genehmigungs- und Offenlegungspflichten, Schwellenwerte für Vermietungsdauer und Bestimmungen, die zwischen privaten und professionellen Vermietern unterscheiden.                                    

Pilotverfahren vor dem EuGH

Das Beschwerdeverfahren sieht vor, dass die Kommission zunächst eine Diskussion mit den betroffenen Mitgliedsländern führt. Ist die EU-Kommission mit den Ergebnissen unzufrieden, kann sie ein formales Vertragsverletzungsverfahren einleiten. Im Januar 2019 hat die EU-Kommission dies im Fall der Stadt Brüssel getan. Sie schickte Belgien einen formalen Beschwerdebrief, weil die Regeln der Stadt Brüssel für Kurzzeitvermietungen die Dienstleistungsrichtlinie verletzen würden. Wenn sich Belgien und EU-Kommission nicht einigen, könnte die Kommission vor den Europäischen Gerichtshof (EuGH) ziehen. Für die Lobbyist/innen ist dies offenbar ein Pilotprozess, denn bislang sind keine weiteren Verfahren zu den anderen Städten bekannt, die in der EHHA-Beschwerde genannt wurden (Barcelona, Berlin und Paris).
Der Kampf um die Dienstleistungsrichtlinie ist in der EU in vollem Gange. Im Mai forderte der Ministerrat die EU-Kommission auf, für mehr Klarheit bei den Regeln für Kurzzeitvermietungen zu sorgen. Auf der anderen Seite verlangten zehn europäische Großstädte von der EU-Kommission, sie im Vorgehen gegen die Vermietungsplattformen zu unterstützen. Zu den Unterzeichnern gehörten auch Berlin und München. Auslöser war ein Verfahren vor dem EuGH, in dem überprüft werden soll, ob Airbnb den französischen Regeln für Wohnungsmakler unterliegt.
In einem Rechtsgutachten stärkte der Generalanwalt die Position von Airbnb: Die Wohnungsvermittlung sei als elektronische Dienstleistung zu sehen und dürfe frei angeboten werden. Das in EuGH-Verfahren übliche Rechtsgutachten ist zwar nicht verbindlich, wird aber vom höchsten europäischen Gericht häufig befolgt. Hier zeigt sich die Sprengkraft, die die Dienstleistungsrichtlinie im Zusammenspiel mit dem EuGH entfalten kann. Für Mieterorganisationen wird es wichtig sein, die EU-Debatte um Dienstleistungen aktiv zu begleiten und die Lobbyarbeit von Immobilienbranche und Vermietungsplattformen dort im Blick zu haben. Denn sie beeinflussen erheblich die Rahmenbedingungen für die lokalen Kämpfe um bezahlbaren Wohnraum.


Zum Weiterlesen:
LobbyControl (2018): AirBnB im  Kampf gegen die Kommunen.  
https://www.lobbycontrol.de/2018/06/airbnb-co-im-kampf-gegen-die-kommunen/

LobbyControl-Online-Appell: „Der Immobilienlobby nicht das Feld überlassen“:
https://www.lobbycontrol.de/2018/08/wohnen-aktion/

LobbyControl - Initiative für Transparenz und Demokratie e.V. ist ein 2006 gegründeter gemeinnütziger Verein, der über Machtstrukturen und Einflussstrategien in Deutschland und der EU aufklären will.


 

 


MieterEcho 404 / August 2019

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