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MieterEcho 403 / Juni 2019

Athen boomt

Internationaler Tourismus erobert die Viertel

Von Grischa Dallmer und Matthias Coers

In der Hauptstadt Griechenlands ist die Bevölkerung mit zunehmendem Tourismus und Zuzug konfrontiert. Aus verschiedensten Ländern wird sich in den Wohnungsmarkt eingekauft. Nicht nur einkommensschwache Bevölkerungsteile bleiben auf der Strecke.      

Im Rahmen einer Doppel-Filmveranstaltung folgten wir im April 2019 einer Einladung nach Athen. In einem Nachbarschaftszentrum wurden dort mit griechischen Untertiteln die Filme „Das Gegenteil von Grau“ und „Mietrebellen“ gezeigt. Eingeladen hatten der Verein „AthenSYN“, der den kulturellen Austausch von Basisprojekten zwischen Griechenland und Deutschland als Ziel hat, sowie die Gruppe „Microgeographies“, die eine Geschichtsschreibung von unten zu den Widersprüchen und Brüchen in den Athener Nachbarschaften anstrebt. Vor Ort sprachen wir mit Stadtforscher/innen, politischen Aktivist/innen und in der Nachbarschaft und Stadtkultur engagierten Athener/innen.               
Laut den Organisator/innen mache ihr Viertel Psirri gerade einen umfassenden Wandel durch. War es vor kurzem noch ein ökonomisch abgehängter Bezirk mit kleinem Einzelhandel und viel Lederverarbeitung, sei es in den letzten Jahren immer mehr zu einem Ort des Athener Nachtlebens aufgewertet worden. Zunächst mit der einheimischen Bevölkerung als Zielgruppe, soll es nun den Anschluss an die touristischeren Gebiete Athens finden.    

Dies, so bestätigt die Athener Stadtforscherin Penny Travlou, sei eine Entwicklung, die in den zentral gelegenen Teilen Athens zu beobachten sei. Im Zuge der Krise hatten viele Viertel eine starke Abwertung erfahren, Miet- und Kaufpreise von Wohnungen waren um mehr als 40% gefallen. Mit den Austeritätsmaßnahmen wurde der Wohnungssektor auch immer stärker besteuert, was aufgrund der traditionellen Kleineigentümerstruktur vor allem Menschen mit geringeren Einkommen hart treffen sollte.       

                         

Wohnungen in Familienbesitz       

Historisch besaß Griechenland aufgrund reichlich vorhandener Baurohstoffe einen starken Bausektor, der auf Eigentumsbildung ausgerichtet war und weiterhin ist. Sozialen Wohnungsbau, sei es öffentlichen oder geförderten, hat es kaum gegeben. Als juristischer Träger gemeinschaftlicher Eigentumsstrukturen sind in Griechenland nur Familien vorgesehen. Diese sorgten traditionell auch für ihre Nachkommen vor und kauften oder bauten kreditfinanziert oft im gleichen Haus eine oder zwei weitere Wohnungen für die Kinder, die nach Eheschluss dann dort einziehen konnten. In einem Land mit nur äußerst schwachem Sozialstaat ist das Familienmodell bis heute stark verankert.
Die durch die Austeritätsmaßnahmen stark sinkenden Löhne, vor allem der im öffentlichen Dienst Beschäftigten, sowie die hohe Besteuerung von Wohneigentum führen dazu, dass viele Familien ihre Kredite nicht mehr bedienen können. So verkaufen sie ihre Wohnungen an wohlhabende Personen und internationale Investoren oder müssen deren Versteigerung hinnehmen. Die neuen Eigentümer haben Athen, aber auch andere touristische Zentren Griechenlands, als einen Hotspot erwarteter Profite ausgemacht. Die äußerst günstigen Immobilienpreise und das rapide steigende touristische Interesse versprechen hohe Margen.            

Ähnlich wie Berlin eilt Athen international ein Ruf als Ort der subkulturellen und avantgardistischen Bewegungen voraus. Selbst die Anti-Austeritätsproteste sowie die internationalen Solidaritätsbewegungen haben ihren Teil zu diesem Bild beigetragen. Zuletzt lenkte auch die erstmals außerhalb Kassels stattfindende Documenta den Blick kulturell Interessierter auf die griechische Hauptstadt.                                 

Zuwachs von Ferienwohnungen   

In den letzten Jahren kam es zu einem enormen Zuwachs an kurzen Städtereisen. Im Oktober 2018 sprach der Athener Bürgermeister von einem Zuwachs um 600% seit 2013. Die Infrastruktur und zugleich den Motor dieser Entwicklung bildet die starke Präsenz von Airbnb und ähnlichen Plattformen. Neben den großen Investoren nutzen aber auch die Bewohner/innen diese Möglichkeiten, um ihr oft sehr geringes Einkommen aufzubessern. Dafür wird dann oft ein Zimmer, eine Eigentumswohnung oder eine zusätzlich angemietete Wohnung über die Ferienplattformen angeboten. Als Resultat sind in den innerstädtischen Bezirken kaum noch bezahlbare Wohnungen zu finden, Menschen mit einem geringen oder durchschnittlichen Einkommen müssen immer öfter in die Außenbezirke ziehen.        
Doch die günstigen Immobilienpreise machen die griechischen Städte auch attraktiv für Menschen, die aus anderen Ländern kommen und langfristig bleiben möchten – beispielsweise aus der Türkei oder aus China. Für besonders wohlhabende Nicht-EU-Ausländer/innen bietet das in Griechenland vergleichsweise günstige „Goldene Visum“ die Möglichkeit, eine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis für die EU für 10 Jahre zu erlangen – mit einer Investition von 250.000 Euro in Immobilien ist man dabei.                                        

Kein Recht auf Mieterhöhung       

Das erhöhte Interesse an griechischen Wohnungen schlägt sich auch in der Vermietungspraxis nieder: Wurden Mietverträge früher noch auf unbegrenzte Zeit ausgestellt, sind sie heute fast nur noch auf wenige Jahre befristet. Dabei ist die rechtliche Situation für Mieter/innen in Griechenland im internationalen Vergleich nicht nur schlecht. Die Miete eines bestehenden Mietverhältnisses darf nur im Rahmen der Inflationsrate steigen. Da bei ausbleibenden Mietzahlungen Zwangsräumungen nur mit kostenintensivem, gerichtlichem Räumungstitel erfolgen dürfen, wurde sich zu Zeiten der Rezession oft darauf geeinigt, dass die Mieter/innen gegen Zahlung der Betriebskosten bleiben durften. Diese Kulanz gehört nun der Vergangenheit an. Auch wird in den letzten Jahren zunehmend der Verweis auf Eigenbedarf genutzt, um Mieter/innen aus ihren Wohnungen zu vertreiben und auf das einträgliche Ferienwohnungsgeschäft umzusteigen.                
Um die Bewohner/innen zu schützen, wurden zuletzt verschiedene Gesetze verabschiedet. So soll die sogenannte Erstwohnung – vergleichbar mit der Hauptwohnung hierzulande – auch bei ausbleibender Bedienung der Kredite nicht versteigert werden. Weiterhin gibt es ein Gesetz, dass bei Vermietung von Wohnungen an Tourist/innen für mehr als 90 Tage oder 12.000 Euro im Jahr massive Steuern erhoben werden sollen.               
Die Austeritätsmaßnahmen und die Rezession des letzten Jahrzehnts haben bei den Menschen neben sozialen auch seelische Schäden hinterlassen. Mehrfach wurde uns von einem massiven Anstieg von Depressionen und von introvertiertem Rückzug vieler Bekannter berichtet. Doch zugleich, so der Buchhändler Kostas Argyris aus der Athener Innenstadt, gebe es auch einige solidarische Projekte, in denen praktischer Zusammenhalt für eine Aneignung des städtischen Raums von unten organisiert werde.  


MieterEcho 403 / Juni 2019

Schlüsselbegriffe: Athen