Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 404 / August 2019

Alles außer Kontrolle

Immobilienspekulation, Tourismusboom und Verdrängung prägen die Stadtentwicklung in Lissabon

Von Hannah Lorenz      

Lissabons Wohnungsmarkt ist aus den Fugen geraten. Seit Jahren steigen die Wohnkosten steil an, driften Angebot und Nachfrage immer weiter auseinander. Eine wichtige Ursache ist der anhaltende Tourismusboom. Für Gäste aus aller Welt werden immer mehr Wohnungen als Feriendomizile angeboten.

Sechs Millionen Besucher/innen zählte die portugiesische Hauptstadt im vergangenen Jahr. Bezogen auf die Einwohnerzahl (rund 500.000) sind das deutlich mehr als im Touristen-Hotspot Berlin, wo 13,5 Millionen Besucher/innen auf 3,65 Millionen Einwohner/innen kommen.
Die wachsenden Einnahmen aus der Tourismusindustrie sind ein Pfeiler der allmählichen wirtschaftlichen Erholung des Landes nach dem Fast-Staatsbankrott 2011. Auch für dieses Jahr erwartet Portugal in diesem Sektor einen zweistelligen prozentualen Zuwachs. Zu den Profiteuren gehören Anbieter von Touristenunterkünften, vor allem in den malerischen Altstadtvierteln der Hauptstadt. Im Stadtbild hat sich dieser Boom längst deutlich manifestiert. In manchen Quartieren bewegt sich der Anteil der Ferienwohnungen mittlerweile deutlich im zweistelligen Bereich. Mit der Verdrängung der Bewohner/innen, die es sich angesichts von Mietsteigerungen von bis zu 50% binnen weniger Jahre nicht länger leisten können dort zu leben, verschwinden auch soziale Treffpunkte, traditionelle Läden und landestypische Gastronomie. An ihre Stelle treten Kneipen, Boutiquen, Galerien und Souvenirshops, die sich an den Bedürfnissen von Tourist/innen orientieren. Das zur Feiermeile degradierte traditionelle Lissabonner Ausgehviertel Bairro Alto oder die luxussanierten Gebäude in den schmalen Gassen der historischen Alfama am Fuße des Castelo de São Jorge sind längst zu einer Art Mahnmal der Gentrifizierung geworden. Die gesamte Altstadt droht zu einer Kulisse zu werden.


 

Regierung hat kein Konzept

Seit 2015 stellen die Sozialisten unter Ministerpräsident António Costa die Regierung. Im Parlament werden sie durch drei kleinere linke Parteien toleriert. Die neue Regierung hat die rigorose Sparpolitik ihrer konservativen Vorgänger teilweise korrigiert. So wurden Kürzungen im Öffentlichen Dienst und bei den Renten zurückgenommen sowie Gehälter angehoben. Doch für viele Bürger/innen kompensieren solche Maßnahmen die Teuerung bei den Wohnkosten nicht einmal ansatzweise. Für 600 Euro, das entspricht dem aktuellen Mindestlohn, ist in Lissabon in zentraler Lage nicht mal eine 1-Raum-Wohnung zu haben. Und zur Eindämmung der Verdrängung in Lissabon hat die Regierung bislang kein schlüssiges Konzept entwickelt.
Zur realen Verknappung von Wohnraum kommt die Spekulation mit Immobilien. Wie alle Metropolen erlebt auch Lissabon einen Run von Kapitalanlegern. Angesichts niedriger Zinsen gelten Wohnungen und Häuser als lukrative und sichere Bank. Unter den konservativen Vorgängern der Sozialisten wurde der Wohn- und Immobilienmarkt weitgehend liberalisiert. Die Mietenregulierung wurde abgeschafft. Seit 2012 locken zudem „goldene Visa“ reiche Nicht-EU-Ausländer/innen nach Portugal. Investitionen in Immobilien und deren Renovierung werden mit dauerhaften Aufenthaltsgenehmigungen und einem vereinfachten Verfahren zur Erlangung der Staatsbürgerschaft belohnt. Eine Möglichkeit, von der vor allem Menschen aus China, Südafrika und Brasilien in den vergangenen Jahren regen Gebrauch gemacht haben.
Zwar hat die Stadt auf Druck von Anwohnerinitiativen inzwischen verfügt, dass keine weiteren Wohnungen in Feriendomizile umgewandelt werden dürfen und auch eine Hotline für die Meldung illegaler Angebote eingerichtet. Doch angesichts des bereits weit fortgeschrittenen Verdrängungsprozesses kommen die ohnehin halbherzigen Maßnahmen für viele Anwohner/innen und Stadtentwicklungsexpert/innen viel zu spät. Kommunalpolitiker/innen wie Miguel Coelho, Bürgermeister der Stadtgemeinde Maria Maior, fordern daher eine Mietbremse und deutlich mehr städtische Wohnungen. Und mittlerweile gibt es auch in Lissabon regelmäßig Protestaktionen gegen Mietenwahnsinn und Verdrängung.   



MieterEcho 404 / August 2019

Schlüsselbegriffe: Lissabon,Gentrifizierung

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