Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 397 / August 2018

Warum MUF Probleme zementieren

Geflüchtete gehören zu den schwächsten Gruppen am Berliner Wohnungsmarkt und ihre Wohnraumversorgung ist katastrophal

Von Nora Brezger, Flüchtlingsrat Berlin

Zwar fehlt in Berlin bisher eine umfassende Wohnungslosenstatistik, aber in der Stadt leben grob geschätzt derzeit 60.000 Wohnungslose. Etwa die Hälfte davon sind Geflüchtete. Sie sind Asylsuchende, anerkannte Flüchtlinge, Geduldete oder haben einen anderen Status. Auf dem Wohnungsmarkt sind sie besonders benachteiligt.


Die größten Hürden für Geflüchtete bei der Wohnungssuche sind nicht nur Diskriminierung und Vorurteile, sondern auch deren befristete oder fehlende Aufenthaltstitel, Bezug von Sozialleistungen und geringe Deutschkenntnisse. Auch fehlende Erfahrung beim Anmieten einer Wohnung in Deutschland und die Unmöglichkeit für Geflüchtete, bestimmte Dokumente wie einen gültigen Pass, eine Schufa-Auskunft oder Mietschuldenfreiheitsbescheinigung zu beschaffen, erschweren die Wohnungssuche. Viele Vermieter kennen sich mit den Aufenthaltsdokumenten nicht aus und verstehen nicht, dass das Ablaufen eines Aufenthaltstitels nicht bedeutet, dass die Person das Land verlassen muss, sondern dass der Aufenthaltstitel in der Regel verlängert wird. Zudem haben viele Vermieter Vorbehalte gegenüber Familien mit mehreren Kindern. Benachteiligt sind auch als unbegleitete minderjährige Flüchtlinge eingereiste und volljährig gewordene junge Männer, die mit dem Ende der Jugendhilfe ihre eigene Unterkunft suchen müssen. Viele Vermieter bringen insbesondere jungen Menschen besonders wenig Vertrauen entgegen.
Abgesehen von Aufenthaltstiteln und Fluchterfahrung sind die ausländischen Wurzeln der Menschen allein schon ein starkes Diskriminierungsmerkmal. Eine Untersuchung („Hanna und Ismael“) über die Benachteiligung von Personen mit ausländisch klingenden Namen bei der Wohnungsvergabe zeigt das Ausmaß der Benachteiligung. In mehreren deutschen Großstädten wurden 8.000 Wohnungsbewerbungen verschickt. Bewerber/innen mit ausländisch klingendem Namen hatten bei sonst identischen Anschreiben weniger als halb so viele Chancen, zu einer Besichtigung oder einem Gespräch eingeladen zu werden. Die Berliner Fachstelle für Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt „Fair mieten – fair wohnen“ bestätigt das anhand von eigenen Stichproben.
Eine weitere Hürde ist, dass viele keinen Wohnberechtigungsschein (WBS) bekommen können. Das gilt sowohl für Asylsuchende (Menschen, die sich noch im Asylverfahren befinden und noch keine abschließende Antwort auf ihr Asylgesuch bekommen haben) als auch für Geduldete (Menschen mit einem abgelehnten Asylverfahren, die aber trotzdem nicht abgeschoben werden können). Ein WBS ist jedoch nötig, um sich auf eine Sozialwohnung bewerben zu können. Auch bei der Anmietung nicht geförderter landeseigener Wohnungen ist der WBS aufgrund des Berliner Wohnraumversorgungsgesetzes von Vorteil.

Vom WBS ausgeschlossen

Die Voraussetzung für den WBS ist nach § 27 Absatz 2 Wohnraumförderungsgesetz (WoFG), dass sich der/die Antragsteller/in „nicht nur vorübergehend in Deutschland aufhält und rechtlich und tatsächlich in der Lage ist, für sich und seine Haushaltsangehörigen auf längere Dauer einen Wohnsitz als Mittelpunkt der Lebensbeziehungen zu begründen und dabei einen selbstständigen Haushalt zu führen“. Dies wird von der Berliner Senatsverwaltung bisher so interpretiert, dass Asylsuchende, Geduldete sowie anerkannte Geflüchtete mit einer Aufenthaltserlaubnis, die in weniger als 11 Monaten abläuft, keinen WBS erhalten, obwohl die Aufenthaltserlaubnis in der Regel verlängert wird. Das Problem wird dadurch größer, dass die Geflüchteten keine Möglichkeit haben, die Aufenthaltserlaubnis vor Ablauf zu verlängern. Die restriktive Handhabung für anerkannte Geflüchtete ist nach Auffassung des Flüchtlingsrats offenkundig rechtswidrig. Das WoFG bietet darüber hinaus Spielraum, einen WBS auch Asylsuchenden und Geduldeten mit Bleibeperspektive auszustellen, wie das Beispiel einiger anderer Bundesländer zeigt.
Zwar gibt es zwischen dem Senat und den landeseigenen Wohnungsunternehmen Verträge über die Vergabe von „Wohnungen für Flüchtlinge“ an Menschen im Asylverfahren sowie das „geschützte Marktsegment“ für Menschen mit „besonderen sozialen Schwierigkeiten“. Jedoch ist das Angebot sehr begrenzt und führt zu einem Konkurrenzkampf zwischen prekarisierten gesellschaftlichen Gruppen um bezahlbaren Wohnraum. Außerdem wird von Senatsseite häufig auf diese Angebote verwiesen, wenn es darum geht, neuen Wohnraum für geflüchtete Menschen zu schaffen. Da aber die „Wohnungen für Flüchtlinge“ nur ein Kontingent für Menschen im noch laufenden Asylverfahren darstellt und das „geschützte Marktsegment“ nicht allein Geflüchteten vorbehalten ist und für Asylsuchende und Geduldete nicht zugänglich ist, verwundert wenig, dass die Wohnungslosenunterkünfte voll sind von geflüchteten Menschen.
Statt Geflüchteten den schnellen Zugang zu Privatwohnungen durch gezielte Unterstützungsangebote zu ermöglichen, setzt der rot-rot-grüne Senat wie sein Vorgänger vor allem auf Massenunterkünfte, obwohl die Zahl der in Berlin neu ankommenden Geflüchteten erheblich zurückgeht. Der Berliner Senat baut im großen Stil die sogenannten Modularen Unterkünfte für Flüchtlinge (MUF) zur Unterbringung von Asylsuchenden und anerkannten Flüchtlingen. Das größte Problem ist aus der Sicht des Flüchtlingsrats Berlin, dass die Menschen in die MUF ordnungsrechtlich als Nutzer/innen eingewiesen werden und die daraus resultierenden Folgen. Die Nutzer/innen bekommen keinen Mietvertrag haben weder Mieter- noch Mitspracherechte. Ein Zaun und das Regime der Security in und vor den Unterkünften stigmatisieren die Geflüchteten und grenzen sie aus.
Auch wenn es bei den aktuell geplanten MUF 2.0 eine Appartementstruktur geben soll, bleiben sie Obdachlosenunterkünfte. Die Geflüchteten können von den Sozialbehörden jederzeit in eine andere Unterkunft „umgesetzt“ werden. Menschen in Massenunterkünften neigen sehr viel häufiger zu Depressionen, suizidalem Verhalten und Aggressionen. Für Kinder ist die Unterbringung in Massenunterkünften besonders schlimm. Die Enge und der Lärm verhindern meist einen gesunden Schlafrhythmus, den sie aber für die Schule unbedingt benötigen. Die fehlende Privatsphäre hemmt häufig ein tatsächliches Ankommen und auch die Verarbeitung des Erlebten. Gerade für traumatisierte Menschen ist ein Rückzugsort aber besonders wichtig. Statt Energie und Ressourcen für immer neue Obdachlosenunterkünfte aufzuwenden, sollte ausreichend bezahlbarer regulärer Wohnraum für alle geschaffen werden. Dies beinhaltet einen weitaus stärker forcierten Neubau von Sozialwohnungen als bisher sowie die vorrangige Vergabe von Sozialwohnungen und landeseigenen Wohnungen an Geflüchtete und andere Wohnungslose. Anders als bisher sind dabei auch private Eigentümer stärker in die Verantwortung zu nehmen, beispielsweise durch die Verpflichtung, bei Neubauten einen Anteil an Sozialwohnungen zu errichten.

Erforderliche Maßnahmen

Alles in allem braucht es eine massive Ausweitung der bestehenden Instrumente („Wohnungen für Flüchtlinge“ und das „geschützte Marktsegment“). Zudem sind Kampagnen und die proaktive Akquise von Wohnungen für Geflüchtete erforderlich. Gefördert werden sollten auch Spezialberatungsstellen zur Unterstützung Geflüchteter bei der Wohnungssuche und zur Betreuung nach dem Bezug einer Wohnung sowie die Sensibilisierung von Wohnungsgesellschaften und Vermietern. Statt MUF sollten reguläre Mietwohnungen für alle geplant werden.
Berlin muss den sozialen Wohnungsbau umfassend ausbauen und durch eine dauerhafte Sozialbindung sichern. Zu Spekulationszwecken leerstehende Grundstücke, Wohn- und Gewerbegebäude müssen für den sozialen Wohnungsbau verfügbar gemacht und ggf. zu Wohnungen umgebaut werden. Nicht nur für die Geflüchteten braucht es eine Anpassung der sozialrechtlichen Mietobergrenzen an die Berliner Marktrealitäten. Der Flüchtlingsrat Berlin hat Anfang Juni 2018 im Rahmen des „Runden Tischs Alternativen zur öffentlichen Unterbringung geflüchteter Menschen“ ein umfassendes Forderungspapier vorgelegt.
Die MUF werden die Probleme der prekären Unterbringung und des schwierigen Zugangs zum Berliner Wohnungsmarkt für Geflüchtete jedenfalls nicht lösen. Sie werden im Gegenteil die Unterbringung in Wohnungslosenunterkünften mit Substandards zementieren, langfristig auch für alle anderen auf dem Wohnungsmarkt benachteiligten Gruppen.

Weitere Informationen:
www.hanna-und-ismail.de
www.fairmieten-fairwohnen.de
www.fluechtlingsinfo-berlin.de/fr/pdf/FR_Wohnungen_statt_Lager_04Juni2018.pdf


MieterEcho 397 / August 2018

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