Ringen mit der Touristifizierung
Amsterdams Offensive für eine lebenswerte Stadt und bezahlbaren Wohnraum
Von Grischa Dallmer und Matthias Coers
Die Wirtschaft wächst, immer mehr Menschen ziehen in die Stadt und der Tourismus boomt wie nie zuvor – das ist das heutige Amsterdam. Der jährliche Tourismus-Zuwachs beträgt 10%. Die Hälfte der 17 Millionen Besucher/innen im Jahr 2016 kam aus dem eigenen Land. Durch den hohen Andrang geraten nicht nur der Wohnungsmarkt, sondern auch der öffentliche Raum und die Infrastruktur der Stadt unter Druck.
Angesichts des Tourismus-Booms versucht Amsterdam, die Entwicklung zu steuern. Unter dem Titel „Stad in Balans“ (Stadt in Balance) ist dazu seit Oktober 2014 eine Verwaltungsverordnung in Kraft. Um die mit der wachsenden Zahl der Besucher/innen, Einwohner/innen und Unternehmen entstehenden Konflikte zu entschärfen, hat die Stadtregierung Amsterdams verschiedene Maßnahmen eingeleitet. Für den Innenstadtbezirk wurde eine Kooperation von Mitarbeiter/innen aus Stadtverwaltung und Polizei installiert, die sich City-Center-Offensive nennt und der strafrechtliche Aufgaben zukommen. Sie soll zum Wohl der Bewohner/innen Belästigungen und Verbrechen, die im Gedränge in der Innenstadt begangen werden, bekämpfen. Insgesamt besteht das Team aus 140 Beamten und Polizist/innen. Im Fokus stehen Raubüberfälle, Taschendiebstahl, Drogenhandel, Belästigungen und rowdyhaftes Verkehrsverhalten. Das Team ist 24 Stunden im Einsatz, zu Stoßzeiten an den Orten mit dem größten Handlungsbedarf. Zum Stopp weiterer Eröffnungen von Geschäften, die sich ausschließlich auf Tourist/innen und Tagesgäste konzentrieren, unterbindet seit Oktober 2017 ein Beschluss die Neugründung von Ticketgeschäften, Fahrradverleihfirmen und Läden, die Lebensmittel zum sofortigen Verzehr wie Eiscreme und Snacks verkaufen.
Bierfahrradtouren sind seit November 2017 in Teilen der Amsterdamer Innenstadt verboten. Eine neue Fußgänger-Route soll vom Stadtzentrum weglenken und führt vom Bahnhof in das ruhigere Plantage-Viertel.
Behördliche Maßnahmen
Für Stadtrundfahrten wurde 2018 eine Tourismusabgabe eingeführt. Im östlich des Damrak und damit zentral gelegenen Rotlichtviertel De Wallen, das besonders großem Tourismus-Andrang ausgesetzt ist, benötigen Reiseleiter für Gruppentouren mit mehr als 4 Personen eine Genehmigung. Gruppen mit mehr als 20 Teilnehmer/innen sind generell verboten. Alle Touren müssen um 23 Uhr beendet sein, zudem gibt es explizite Instruktionen, den Sex-Arbeiter/innen mit Respekt gegenüberzutreten. Sie zu fotografieren ist verboten.
In Vorbereitung ist eine umfassende Genehmigungspflicht für viele touristische Dienstleistungen. Zudem soll die Tourismuskonzentration zerstreut werden. Um die Innenstadtbezirke zu entlasten, sollen Tourist/innen auch die äußeren Bezirke der Stadt besuchen. Dafür wurde bereits Anfang dieses Jahres eine differenzierte Kurtaxe eingeführt, welche im Stadtzentrum 6% und in den äußeren Bezirken 4% beträgt. Auch das Kreuzfahrtschiffterminal soll aus der Innenstadt verlegt werden.
Im Rotlichtviertel De Wallen wird versucht, die Ströme von Fußgängern nach Bewegungsrichtungen zu trennen. Zudem sind dort – im Rahmen eines Pilotprojekts in Zusammenarbeit mit der neu gegründeten Business Investment Zone Warmoesstraat – die Gastgeber angehalten, ihren Gästen nicht nur Informationen über das Gebiet, sondern auch Verhaltensregeln nahezubringen. Zudem sollen sie die Touristen über Routen informieren, um überfüllten und verstopften Straßen und Gehwegen vorzubeugen.
Selbst die beliebten Wasserstraßen Amsterdams unterliegen wegen der Touristifizierung inzwischen neuen Restriktionen. So wurde die Geschwindigkeitsbegrenzung auf den Kanälen von 7,5 auf 6 km/h heruntergesetzt. Es gibt Überlegungen, das beliebte Fahren mit Freizeitbooten im Rotlichtviertel generell mit einem Verbot zu belegen.
Um dem enormen Verkehrsaufkommen auf den Straßen zu begegnen, sollen abschnittweise immer weitere Bereiche der Innenstadt für Reisebusse gesperrt werden. Die Stadt will mit – vor allem beweglichen – Pollern örtlich und zeitlich gezielt in den Verkehr eingreifen. So soll vor allem den Taxi-Runden entgegengewirkt werden. In Studien wurde festgestellt, dass viele Taxis auf Kundenfang permanent Runden durch die Innenstadt drehen. Zum „Taxi-Problem“ gehören aber auch unzählige Autos, die sich „wie Taxis verhalten“. Durch temporäre Sperrungen mittels versenk- oder umklappbarer Poller sollen in den drei meistfrequentierten Nächten einzelne besonders stark belastete Gebiete nur noch von Anwohner/innen befahren werden dürfen.
Stopp der Wohnraumknappheit
In den Niederlanden können Sozialwohnungen oder Wohnungen auf dem freien Markt gemietet werden. Ein Punktesystem für Ausstattung, Lage, Größe und andere Kriterien legt fest, ob eine Wohnung als Sozialwohnung mit Mietbegrenzung anzubieten ist oder ob höhere Preise auf dem Markt erzielt werden dürfen. In den letzten Jahren sind immer mehr Wohnungen aus dem Punktesystem gefallen und das Angebot an bezahlbaren Wohnungen ist zurückgegangen. Um dem Druck auf den Wohnungsmarkt zu begegnen, hat die Kommune deutliche Maßnahmen ergriffen. Der Stadtrat entschied im Juli 2017, dass 40% der Neubauten innerhalb der Stadtgrenze in die Sozialwohnungsregelung fallen müssen. Die Miete darf nicht mehr als 710 Euro pro Monat betragen. Weitere 40% müssen mit einer Monatsmiete von etwa 850 Euro auf Haushalte mit mittlerem Einkommen abzielen. Zuvor gab es als Beschränkung nur den vorgeschriebenen Anteil von 30% Sozialwohnungen bei Neubau. Auch für die Errichtung neuer Hotels gibt es nun in einigen Stadtteilen keine Erlaubnis mehr, in anderen Stadtteilen gelten verschärfte Bedingungen. Ein Team wurde eingesetzt, um das Problem der illegalen Ferienvermietung anzugehen und entsprechende Maßnahmen zur Reduzierung durchzusetzen. Die Vermietungsplattform Airbnb (Seite 16) hat der Vereinbarung über eine maximale Anzahl von 60 Tagen pro Jahr, an denen Anbieter ihre Wohnungen zur Ferienvermietung zur Verfügung stellen können, zugestimmt. Seit dem 1. Oktober 2017 ist eine Meldepflicht für Ferienunterkünfte in Kraft, um die illegale Vermietung von Wohnungen an Tourist/innen einzudämmen. Doch trotz dieser Maßnahmen ergab eine neue auf der Website des Immobilien-Beraters Colliers veröffentlichte Studie, dass die Zahl der durch Airbnb vermittelten Übernachtungen in Amsterdam in 2017 um weitere 25% auf 2,1 Millionen anstieg.
Das Vermieten des eigenen Zuhauses als Ferienvermietung ist nur erlaubt, wenn eine Reihe von Richtlinien eingehalten wird. Nur Hauptmieter/innen dürfen die Wohnung vermieten, dies auch nur gelegentlich und an maximal vier Menschen gleichzeitig. Die eigene Wohnung dauerhaft kommerziell zu vermieten, ist den Amsterdamer/innen untersagt. Wer sich nicht daran hält, muss saftige Strafen fürchten, bis hin zum Verlust der Wohnung. Die Hauptmieter/innen sind auch verantwortlich dafür, dass die Gäste andere Personen im Gebäude oder in der Umgebung nicht belästigen. Eine städtische Hotline gibt Bewohner/innen die Möglichkeit, auf Belästigungen hinzuweisen, auch stellt Amsterdam ihren Bürger/innen ein Online-Formular bereit, um vermutete illegale Ferienwohnungen und Hotels zu melden. In öffentlichen Wohnungsunternehmen ist die touristische Untervermietung komplett verboten.
Im Jahr 2016 wurde im Stadtzentrum, dem Postleitzahl-Gebiet 1012, die öffentlich-private Investment- und Managementgesellschaft 1012lnc N.V. gegründet. Deren Ziel ist der strategische Kauf und die Verwaltung von Immobilien, um „sicherzustellen, dass Immobilien zur Verbesserung der Wohnqualität der Nachbarschaft genutzt werden“.
Tourismus war bei den gerade vollzogenen Kommunalwahlen parteienübergreifend das Hauptthema. Gewonnen hat im März 2018 die grünlinke Partei, die Sozialwohnungen nicht dem freien Markt überlassen und nun eine Sozialwohnungsbau-Offensive für Menschen mit niedrigem und mittlerem Einkommen starten will.
Der CEO von Amsterdam Marketing, Frans van der Avert, sagte auf der ITB 2018 in Berlin, international besuchte Städte wie Amsterdam müssten den Fokus auf die Lebensqualität der in ihnen dauerhaft lebenden Menschen legen, und dass die Bewohner/innen das Gefühl haben sollen, es sei ihre Stadt. Es bleibt zu hoffen, dass die Wiederaneignung der Stadt durch die Stadtregierung zusammen mit der Bevölkerung substanziell an Praxis und Wirksamkeit für alle Bevölkerungsgruppen gewinnt. Nachahmung würde anderen von Tourismus und Zuzug geprägten Städten wie Berlin guttun.
MieterEcho 395 / Mai 2018
Schlüsselbegriffe: Tourismus, Touristifizierung, Niederlande, Amsterdam, Stad in Balans, Wohnraumknappheit, Sozialwohnung, Airbnb