REZENSION: Wohnungspolitik in der Krise
Die Spezialausgabe „Housing policy in crisis: an international perspective“ analysiert die Verbindung von Wohnungspolitik, Privatwirtschaft und internationalen Finanzmärkten
Von Justin Kadi
Die weltweite Finanzkrise von 2008 hatte ihren Ausgang nicht zuletzt im Versagen der Wohnungspolitik in Nordamerika und Europa. Die aggressive Förderung von Wohnungseigentum, gepaart mit neuen Finanzinstrumenten und zunehmend riskanten Kreditgeschäften, produzierte eine Reihe von Immobilienblasen, die mit ihrem Platzen die Weltwirtschaft in eine jahrelange Rezession beförderte. Am Wohnungsmarkt führte das für viele Menschen zu unbezahlbaren Wohnungen und Obdachlosigkeit. Obwohl die USA und Spanien von der Immobilienkrise besonders betroffen waren, sind Wohnungssysteme heute weltweit instabiler geworden und Wohnungsprobleme werden größer. Insbesondere in Städten sind der Mangel an leistbarem Wohnraum und die Verdrängung einkommensschwacher Haushalte aus ihren Wohnungen und Nachbarschaften akut.
Die mittlerweile vielerorts zur Normalität gewordene Wohnungskrise fußt nicht zuletzt auf der privaten Organisation der Wohnungsbereitstellung. Die Verfolgung privater Profitinteressen, zunehmend in Verbindung mit internationalen Finanzmärkten, unterminiert die Verfügbarkeit preiswerter Wohnungen und damit das Grundbedürfnis nach adäquatem Wohnraum für einkommensschwache Haushalte. Das kapitalistische System der Wohnungsbereitstellung ist allerdings eingebettet in politische Rahmenbedingungen. Die Wohnungspolitik stellt damit eine zentrale Stellschraube für die Generierung, aber potenziell auch für die Linderung der Instabilität und der Exklusion durch Wohnungssysteme dar.
Die Spezialausgabe „Housing policy in crisis: an international perspective“ analysiert Wohnungspolitik im Spannungsfeld von Förderung und Einschränkung privater Profitinteressen im aktuellen Kontext. Ein Schwerpunkt liegt auf den Problemen einer zunehmend engen Verknüpfung von sozialem Wohnungsbau mit privaten Marktakteuren (in Chicago, Nanjing/China und Irland). Ein zweiter Schwerpunkt auf Maßnahmen gegen informelle Siedlungen und deren Scheitern bzw. Erfolgen (Accra/Ghana sowie China, Indien und Brasilien im Vergleich). Wir erfahren auch über Gewinner und Verlierer der Wohnungskrise, etwa wie Investoren in den USA bestimmte Minderheitenviertel mit riskanten Krediten vor 2008 ins Visier genommen haben oder wie die Bankenrestrukturierung in Spanien und Griechenland nach der Finanzkrise desaströse Folgen bezüglich der Verschuldung privater Haushalte hatte. Ein finaler Schwerpunkt liegt auf der Genese einer zunehmend marktdominierten Wohnungspolitik. Entgegen der oftmals vorgebrachten These einer Entstehung in den 1970er und 80er Jahren wird gezeigt, dass im Fall von Italien und Spanien der Neoliberalismus bereits auf die Zeit der Diktaturen von Mussolini und Franco zurückgeht. Dieser Blick auf die Produktion marktorientierter Wohnungspolitik gibt spannende Einsichten, mit denen die tiefe Verankerung von Eigentumsideologie und privaten Profitinteressen in Wohnungssystemen heute besser zu verstehen ist.
Zusammengenommen liefert die Spezialausgabe aktuelle, internationale Einblicke in Entwicklungen der Wohnungspolitik. Die Zusammenschau der Fallbeispiele suggeriert, dass die weltweite Finanzkrise weniger als Wendepunkt marktorientierter Politik gesehen werden kann, sondern vielmehr als Vertiefung und Intensivierung. Die enge Verknüpfung von privatem Markt und staatlicher Politik, verbunden mit internationalen Finanzmärkten, verursacht Instabilität und vergrößert Wohnungsprobleme einkommensschwacher Haushalte. In dieser allgemeinen Aussage liegt möglicherweise auch die Kernbotschaft des Hefts. Die marktorientierte Wohnungspolitik ist in unterschiedlichen Kontexten auch nach der Krise auf dem Vormarsch. Wenngleich eine düsterere Diagnose über aktuelle Entwicklungen gezeigt wird, liefert die systematische Herausarbeitung dieses Prozesses auch Angriffspunkte für Widerstand und für die Entwicklung alternativer Politikansätze, die nicht private Profitinteressen, sondern das Grundbedürfnis auf Wohnen in das Zentrum der Politikformulierung stellen.
Justin Kadi ist Stadt- und Wohnungsforscher an der Technischen Universität Wien.
Spezialausgabe „Housing policy in crisis: an international perspective“, herausgegeben von Desiree Fields und Stuart Hodkinson in der Zeitschrift Housing Policy Debate
(http://www.tandfonline.com/toc/rhpd20/28/1).
MieterEcho 393 / Februar 2018
Schlüsselbegriffe: Finanzkrise, Wohnungspolitik, Nordamerika, Europa, Wohnungseigentum, Kreditgeschäfte, Wohnungsmarkt, Finanzmärkte, Housing policy in crisis: an international perspective