Rennen gegen die Zeit
Zwei Mietshäusern in Schöneberg und in Neukölln droht der Verkauf an den Luxemburger Investor Albert Immo S.a.r.L – Bezirke prüfen ihr Vorkaufsrecht
Von Jutta Blume
Für die Mieter/innen des Eckgebäudes mit den Adressen Großgörschenstraße 8 und Neue Kulmer Straße 1 schien es äußerst knapp. Das Haus mit 18 Parteien, die zum Teil seit Jahrzehnten dort zu Hause sind, wurde im November 2017 für 6,2 Millionen Euro an einen Zusammenschluss der Luxemburger Albert Immo S.a.r.L. und Grizzly-Immo Paris verkauft, schrieben die Mieter/innen in einer Pressemitteilung. Die Bewohnerschaft des Hauses hat sich schnell zu einem Verein zusammengeschlossen, der alles daran setzt, den Verkauf an internationale Finanzinvestoren zu verhindern.
Am 20. Januar 2018 lief die zweimonatige Frist ab, in der der Bezirk sein Vorkaufsrecht ausüben könnte. „Bis zu dem Termin muss ein Schreiben beim Käufer eingegangen sein“, sagte die Mieterin Dilek Gaygusuz. Am 12. Januar 2018 teilte Bezirksbaustadtrat Jörn Oltmann (Bündnis 90/ Die Grünen) mit, dass die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft Stadt und Land das Mietshaus übernehmen würde, vorausgesetzt, dass alle Mietparteien einer freiwilligen Mieterhöhung zustimmen. Denn in Relation zur derzeitigen Miete sei das Haus zu teuer und für die Wohnungsbaugesellschaft daher unwirtschaftlich. Die Schöneberger Mieter/innen erfuhren, dass der Kauf durch eine Wohnungsbaugesellschaft nur infrage komme, wenn der Kauf innerhalb von 30 Jahren durch die Nettokaltmieten refinanziert würde, was bei ihrem Haus nicht der Fall war.
Ein ähnliches Problem war erst kürzlich in Friedrichshain-Kreuzberg aufgetreten. In der Matternstraße 4 wurde der Verkauf eines Mietshauses an eine Gesellschaft der Albert Immo S.a.r.L. abgewendet, nachdem die Mieter/innen sich darauf geeinigt hatten, in Zukunft freiwillig höhere Mieten zu zahlen (MieterEcho Nr. 391/ November 2017). Erst danach hatte sich die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft WBM bereiterklärt, das Haus in ihren Bestand aufzunehmen. Ähnlich wird es nun vermutlich auch in Schöneberg ablaufen. Ganz unproblematisch ist dieses Vorgehen jedoch nicht, wie Bezirksbaustadtrat Oltmann erläutert. Durch die freiwillige Mieterhöhung würden die Mietobergrenzen überschritten, die in der Kooperationsvereinbarung des Berliner Senats mit den öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften vereinbart sind. Daher müsste erst die Finanzverwaltung zustimmen.
Freiwillige Mieterhöhung
Die Hausgemeinschaft hatte aber noch eine andere Idee. „Wir haben ein eigenes Finanzierungskonzept vorgelegt“, berichtet Gaygusuz. „Wir hätten das Haus selbst erwerben können mit einer Sperrminorität für den Bezirk, sodass es nicht einfach wieder verkauft werden kann.“ Die Mieter/innen hätten dafür ein Grundkapital gesammelt, der Kauf hätte aber über eine Bürgschaft des Senats abgesichert werden müssen. Doch der Bezirk antwortete, dass es für ein solches Vorgehen keine rechtliche Grundlage gebe. Dabei werden vonseiten des Senats neben Wohnungsbaugesellschaften auch „Stiftungen, Genossenschaften, gemeinnützige Vereine oder auch die Mietergemeinschaft selbst“ als geeignete Dritte genannt, für die Bezirke ihr Vorkaufsrecht ausüben könnten – allerdings nur, wenn sie die Finanzierung leisten könnten. Stadtrat Oltmann hielt das Kaufmodell der Mieter/innen für unrealistisch, auch wenn nicht er, sondern die Senatsverwaltung für Finanzen darüber zu entscheiden hatte. „Das Finanzierungsmodell läuft darauf hinaus, dass die Mieter/innen kein Risiko übernehmen. Das Darlehen wäre zu 100% fremdfinanziert.“
Während das Haus in der Großgörschenstraße, Ecke Neue Kulmer Straße nun gerettet scheint, geht für die Mieter/innen der Braunschweiger Straße 51 in Neukölln die Zitterpartie weiter. Das Mietshaus ist ebenfalls an eine Gesellschaft der Albert Immo verkauft worden. Für sie läuft die Zweimonatsfrist noch bis zum 9. Februar 2018. Bezirksbaustadtrat Jochen Biedermann (Bündnis 90/ Die Grünen) konnte die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft Degewo für die Übernahme des Mietshauses interessieren. Die Stadt und Land hatte den Kauf abgelehnt, nachdem sie erfahren hatte, dass der Keller feucht sei, berichtet der Mieter Daniel Ospelt. „Sie haben sich das Haus nicht einmal angeschaut.“
Die Mieter/innen aus Neukölln hatten den Vorteil, frühzeitig von der Verkaufsabsicht des Eigentümers erfahren und sich sofort an den Baustadtrat gewendet zu haben. „Wir haben zunächst versucht, den Verkäufer und die Stadt und Land an einen Tisch zu bringen“, so Ospelt. Dann wurde am 4. Dezember 2017 aber doch an Grizzly Investors GmbH bzw. die dahinter stehende Albert Immo verkauft. Die Rolle von Grizzly Investors in dem Geschäft ist den Mieter/innen bislang unklar. Die im Aufbau befindliche Website von Grizzly Investors verrät nur, dass das Unternehmen in Deutschland, der Schweiz und Luxemburg operiert und in Berlin über ein Portfolio im Wert von 100 Millionen Euro verfügt. Weitere 500 Millionen Euro sollen in den kommenden fünf Jahren investiert werden.
Die Mieter/innen wollten das Vorkaufsrecht für ihr Haus nun in der Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung am 24. Januar 2018 einbringen. Bis Mitte Januar war laut Biedermann nichts entschieden, auch hatte sich der Käufer noch nicht zu einer Abwendungsvereinbarung geäußert.
Problem der Wirtschaftlichkeit
Im August 2017 hat der Berliner Senat ein Konzept zur Ausübung von Vorkaufsrechten beschlossen, um die Bezirke innerhalb der Zweimonatsfrist handlungsfähig zu machen. Darin ist unter anderem ein zeitliches Ablaufschema für die Prüfung des Vorkaufs festgelegt. Empfohlen wird unter anderem, bereits vor der Meldung des Verkaufs aktiv zu werden, das heißt die Bezirke sind auf Hinweise der Mieter/innen angewiesen. Zwei Dinge stellt das Senatspapier auch klar: Vorrangiges Ziel ist nicht die Ausübung des Vorkaufsrechts, sondern die Abwendungsvereinbarung mit dem Käufer, worin dieser sich auf die Ziele der sozialen Erhaltungssatzung verpflichtet. Und: „Es ist möglichst zu vermeiden, das Vorkaufsrecht für ein nicht rentables Objekt auszuüben.“ Hier liegt die entscheidende Problematik. Sollen die Mieten bezahlbar bleiben, stößt das Instrument Vorkauf bei steigenden Verkehrswerten in Berlin schnell an seine Grenzen. „Die Preise, die aufgerufen werden, können von den städtischen Wohnungsbaugesellschaften nicht wirtschaftlich erbracht werden“, meint auch Stadtrat Biedermann. Die Verkehrswertgutachten orientieren sich an Vergleichsgrundstücken und sind daher auch nicht geeignet, die Preise zu senken.
Wenn es aber für die Wohnungsbaugesellschaften schon unrentabel ist, ein Mietshaus zu übernehmen, liegt die Vermutung nahe, dass Privatinvestoren eher andere Pläne mit den Häusern haben, etwa teure Neuvermietung oder die Aufteilung in Eigentumswohnungen. Eine Vermutung, die zwar auf der Hand liegt, der das Landgericht Berlin in einem anderen Fall aber nicht folgen wollte. Dabei ging es um das Vorkaufsrecht, das der Bezirk Tempelhof-Schöneberg für die Häuser der BimA in der Großgörschenstraße und Katzlerstraße ausüben wollte (MieterEcho Nr. 383 / September 2016). „Ob der Privatinvestor wirklich Luxusmodernisierungen oder Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen beabsichtige, sei nicht erwiesen. Theoretisch vorstellbar wäre schließlich, dass er die Immobilie lediglich als ‚sichere Geldanlage‘ erwerben wolle“, erläutert das Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg in einer Pressemitteilung die Argumentation des Gerichts. Zurzeit läuft noch das Berufungsverfahren.
Weitere Informationen und Download „Konzept für die Nutzung von Vorkaufsrechten nach dem Baugesetzbuch in Berlin“: www.stadtentwicklung.berlin.de/wohnen/wohnraum/soziale_erhaltungsgebiete/#konzept
MieterEcho 393 / Februar 2018
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