Neue Hotels mit Konfliktpotenzial
Der Berlintourismus boomt, doch die Zahl der Hotelbetten könnte schneller wachsen als die der Besucher – vor allem in Mitte und Friedrichshain wird weiter gebaut
Von Jutta Blume
Tourist/innen gehören in Teilen Berlins längst zum alltäglichen Straßenbild. Kein Wunder, denn nach Angaben der Stadtmarketingagentur Visit Berlin halten sich im Schnitt 500.000 Gäste pro Tag in Berlin auf. Auch wenn manche nur Tagestourist/innen sind, brauchen die allermeisten nachts eine Bleibe. 500.000 Menschen, das entspricht einem Siebtel der Wohnbevölkerung. Zwar haben Tourist/innen kaum denselben Flächenbedarf wie Einwohner/innen, dennoch besteht in einer Stadt mit Wohnraummangel eine Flächenkonkurrenz zwischen Wohnen und Gastgewerbe. Zumal in der Hauptstadt weiter neue Hotels gebaut werden und auch manchmal bereits bestehende Gebäude zu Hotels werden.
Ob Berlin all die neuen Hotels braucht, die zuletzt eröffnet wurden und die noch in Bau oder Planung sind, darüber lässt sich streiten. Die Übernachtungszahlen sind in den letzten zehn Jahren kräftig gestiegen, wenn auch das Wachstum im Jahr 2017 ins Stoppen geriet. 2010 wurden in Berlin 20,8 Millionen Übernachtungen in Hotelbetrieben gezählt, im letzten Jahr waren es – wie auch im Jahr 2016 – 31,1 Millionen. Für die Stagnation macht die Tourismusbranche mitunter die Air-Berlin-Pleite verantwortlich. Mit der steigenden Zahl der Besucher/innen wuchs auch das Angebot an Hotelbetten, um 380% seit 1990. 143.000 Betten bieten die 781 Hotels der Stadt heute. Die Auslastung liegt im Schnitt bei 60%. Das ist im bundesweiten Vergleich nicht schlecht, in New York, einer Stadt mit extremer Flächenknappheit, liegt sie jedoch bei 83%. Doch in Berlin wird weiter gebaut. Das geht aus aktuellen Zahlen zur Hotelentwicklung vom Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) Berlin hervor, über die Tagesspiegel und Morgenpost im März berichteten. Aktuell sind 30 Hotels in Bau oder in Planung. Außerhalb der Stadtgrenze am neuen Großflughafen BER entstehen 6 weitere. Alle 36 Hotels sollen insgesamt 15.800 Betten bieten.
Die meisten Projekte – abgesehen von denen in Flughafennähe –
konzentrieren sich auf die Stadtteile Mitte und Friedrichshain. In Mitte entstehen gleich mehrere große Hotels mit ca. 1.750 Zimmern im Bereich des Alexanderplatzes, in Friedrichshain vier Häuser mit insgesamt 900 Zimmern im Bereich der East-Side-Gallery und der Mercedes-Benz-Arena. Ein weiteres Hotel wird an der Frankfurter Allee auf das Dach des Ring-Center-Parkhauses aufgestockt. Ein Hotelschwerpunkt ist auch die Gegend rund um den Hauptbahnhof, hier sind die meisten Projekte aber bereits fertig gestellt. Augenscheinlich gibt es durch diese neuen Großprojekte erstmal keine Verdrängung, da es sich ohnehin nicht um Wohngebiete handelt. Die Frage bleibt aber, ob die Gebiete nicht anders hätten besser entwickelt werden können.
Substanzverlust der East-Side-Gallery, Gentrifizierung am Oranienplatz
Die Konfliktlinien müssen nicht unbedingt zwischen Gastgewerbe und bezahlbaren Mietwohnungen verlaufen, wie ein geplantes Projekt an der East-Side-Gallery zeigt, das in den oben stehenden Zahlen nicht enthalten ist. Gleich neben dem umstrittenen Luxus-Wohnhochhaus Living Levels will der Projektentwickler Trockland GmbH unter dem Namen Pier 61|63 einen Komplex aus Hotel und Wohnungen errichten, beides im gehobenen Segment. Der 120 m lange und neun Stockwerke hohe Gebäudekomplex an der Mühlenstraße 61-63 soll auf rund 21.200 m² Nutzfläche ein Hotel mit ca. 167 Zimmern, 62 Mietwohnungen sowie Gewerbeflächen wie Shops und Bistros direkt an der Uferpromenade beherbergen. Damit würde nicht nur ein weiterer denkmalgeschützter Mauerabschnitt zugebaut, sondern auch ein Teil der Wohnungen im Nachbarhaus Living Levels verschattet. Auch wenn heute aus denkmalrechtlicher Sicht an dieser Stelle keine Baumaßnahmen zulässig sind, lässt sich das Projekt kaum noch verhindern, da Trockland über Baurecht verfügt. Bei den Konflikten zwischen Bewohnern von Luxuswohnungen und Luxushotelzimmern, oder auch zwischen Tourist/innen, die die East-Side-Gallery sehen möchten, und solchen, die dahinter ungestört schlafen möchten – zeigt der Tourismus eine eher absurde Seite. Anderer Art sind die Konflikte um ein 2017 eröffnetes Luxushotel im Herzen von Kreuzberg SO36, das Hotel Orania am Oranienplatz im ehemaligen Kaufhaus Brenninkmeyer. Zwar mag der Geschäftsführer des Orania, Dietmar Müller-Elmau mit seiner Aussage gegenüber dem ZDF formal Recht haben: „Wir haben niemanden vertrieben. Hier war nie eine Wohnung drin in diesem Haus. Das Haus hat zehn Jahre leer gestanden.“ Aber Anwohner/innen und benachbarte Gewerbetreibende befürchten, dass das Luxushotel als weiterer Gentrifizierungsmotor in den Kiez hineinwirkt. Man kann sich außerdem fragen, warum das Jugendstilhaus mit der bewegten Geschichte am Oranienplatz so lange leer gestanden hat – vielleicht genau in der Erwartung, es teuer an einen Investor verkaufen zu können. Und wenn es sich auch nicht als Wohnhaus eignet, so hätten dort auch bezahlbare Gewerbeflächen entstehen können, an denen es im Bezirk mangelt.
Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg hätte wohl auch andere, kleinere Hotelprojekte gerne verhindert. Etwa die Hotelnutzung einiger Etagen eines Altbaus an der Simon-Dach-Straße Ecke Boxhagener Straße. Die Hotelnutzung war bereits 2008 genehmigt worden, 2009 hatte das Bezirksamt beschlossen, keine Genehmigungen für die Hotelnutzung im Milieuschutzgebiet mehr zu vergeben, ein Beschluss der später gerichtlich gekippt wurde. Das Hotel wurde schließlich im Juli 2016 eröffnet (MieterEcho Nr. 383/ September 2016). Zwischen Genehmigung, Planung und Bau eines Projekts liegen oft viele Jahre, sodass Wirtschaftsstadtrat Andy Hehmke (SPD) urteilt, dass das Tourismuskonzept der Senatsverwaltung für den Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg zu spät greifen würde. Allerdings sagt er auch: „Eine berlinweite, gesamtstädtische Steuerung wäre wünschenswert.“
Tourismuskonzept soll Entwicklung steuern
Ein Tourismuskonzept, wie es auch im Koalitionsvertrag vereinbart wurde, befindet sich in der Senatsbefassung (Seite 4). Dieses beschäftigt sich auf einer Seite auch mit der räumlichen Entwicklung des Hotelgewerbes. Als problematisch werden dort zum einen „temporäre touristische Wohnformen“ benannt, denn sie „verstärken die Verknappung von Wohnraum, erzeugen Lärm in der Nachbarschaft und fördern die Entwicklung von Monostrukturen“. Zum anderen ist es die Konzentration von Hotelneubauten in den schon stark übernutzten Innenstadtbezirken. Weiterhin heißt es: „Es geht darum, zunehmenden Flächenkonkurrenzen zu begegnen, eine stärkere räumliche Entzerrung zu befördern und Neuinvestitionen qualitätsbezogen zu lenken.“
Ein Instrument dafür könnte ein Hotelentwicklungskonzept sein. Hierfür sollen aber zunächst die rechtlichen Möglichkeiten geprüft werden, inwiefern in die Ansiedlung und auch die Preisstruktur der Beherbergungsbetriebe eingegriffen werden kann. „Zu einem Hotelentwicklungskonzept können wir leider nichts sagen“, so die Pressesprecherin der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Petra Rohland. Das aktuell geltende Planungsrecht lasse eine Steuerung aber nur bedingt zu. „Eine Konzentration von Beherbergungsbetrieben auf bestimmte Bereiche der Stadt und ein gleichzeitiger Ausschluss an anderer Stelle im Stadtgebiet, ist im Baugesetzbuch nicht vorgesehen und daher auch nicht möglich“, erklärt Rohland. Hotels seien sowohl in allgemeinen Wohngebieten als auch in Misch- und Gewerbegebieten und sogar ausnahmsweise in reinen Wohngebieten zulässig. Das einzige Instrument der Steuerung, die verbindliche Bauleitplanung, liege auf Bezirksebene.
Wie ein Tourismuskonzept des Senats steuernd eingreifen soll, bleibt also vage. Selbst wenn es ein schlüssiges Konzept geben sollte: Es könnte aufgrund der Vielzahl an Hotelprojekten, die heute schon genehmigt sind, schlichtweg zu spät kommen.
MieterEcho 395 / Mai 2018
Schlüsselbegriffe: Berlin, Tourismus, Hotel, Gastgewerbe, Wohnraummangel, Substanzverlust, Gentrifizierung, Tourismuskonzept, Hotelentwicklungskonzept, Stadtentwickulung