Keine Rettung durch Milieuschutz
Bei drohender Verdrängung bringt Selbstorganisierung der Mieterschaft mehr als eine Milieuschutzsatzung
Von Philipp Möller
Der bereits unter der schwarz-roten Koalition entstandene Hype um den Milieuschutz treibt unter Rot-Rot-Grün weitere Blüten. Florian Schmidt, bündnisgrüner Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg, erklärte den Milieuschutz jüngst zu den „wichtigsten Instrumenten der Mietenpolitik in Berlin“. Das hält einem Abgleich mit der bitteren Realität nicht Stand. Der Milieuschutz ist ein Flickenteppich. Er bietet keinen wirksamen Schutz gegen Verdrängung oder Umwandlung. Das umjubelte Vorkaufsrecht schafft Inseln der Glückseeligen für wenige und stößt bereits an seine Grenzen. Um wirklich etwas zu bewegen, bedarf es politischen Drucks durch eine organisierte Mieterschaft, wobei deren Forderungen nicht am Pappkamerad Milieuschutz stehen bleiben sollten.
Seit 2015 hat sich die Zahl der Milieuschutzgebiete in Berlin von 22 auf aktuell 45 mehr als verdoppelt. Das erklärte Ziel von Rot-Rot-Grün ist, die Zahl der Milieuschutzgebiete weiter zu erhöhen. Dabei lässt sich das ganze Elend der sozialen Erhaltungssatzungen am Bezirk Reinickendorf gut illustrieren. Dort diskutiert die Bezirkspolitik über die Einführung von Milieuschutzgebieten. Dabei handelt es sich um eine Nebelkerze, wie der Reinickendorfer Bezirksbürgermeister Frank Balzer (CDU) einräumte. „Das bedeutet aber nicht, dass wir Eigentümer drangsalieren und nötige Modernisierungen behindern werden“, sagte er gegenüber der Morgenpost. Investorenfreund Balzer bringt es auf den Punkt: Der Milieuschutz ist gegenüber den Verwertungsinteressen des Kapitals zahnlos. Festgesetzte Mietobergrenzen gibt es in Milieuschutzgebieten nicht. Der strukturellen Verdrängung durch Neuvermietung hat er nichts entgegenzusetzen. Laut eines Monitorings des Senats lagen die Angebotsmieten in länger existierenden Milieuschutzgebieten bei 11,84 Euro/m² und damit deutlich über dem berlinweiten Durchschnitt von 9,07 Euro/m². Als städtebauliches Instrument findet der Milieuschutz lediglich bei baulichen Veränderungen seine Anwendung. Die Bezirksämter untersagen in der Regel nur sogenannte „Luxusmodernisierungen“, die über die Anpassung an den zeitgemäßen Ausstattungsstandard hinausgehen und keine energetischen Modernsierungen sind. Um Vermietern dennoch Zugeständnisse bei Modernisierungsmaßnahmen abzutrotzen, hilft nur ein gemeinsames politisches Agieren der betroffenen Mieter/innen. Das Bündnis Otto-Suhr-Siedlung und Umgebung (BOSS&U), die Mieterinitiativen im Lettekiez in Reinickendorf oder in der Gontermannstraße in Tempelhof machten es vor. Sie erkämpften eine Senkung der Modernisierungsumlage für energetische Sanierungsmaßnahmen und die Möglichkeit, flächendeckend soziale Härtefälle anzumelden. Die Grundlage dafür bildete nicht der Milieuschutz. Weder der Lettekiez noch die Gontermannstraße sind soziale Erhaltungsgebiete. Gemeinsam ist den Beispielen eine Organisierung und eine politische Unterstützung der Mieterschaft, die die Vermieter und politisch Verantwortlichen an den Verhandlungstisch zwangen. In allen Fällen jedoch müssen die Mieter/innen dennoch, wenn auch abgesenkte, Modernisierungsumlagen zahlen. Hannes Strobel von BOSS&U kommentierte gegenüber dem MieterEcho: „Solange die Wohnungen in der Otto-Suhr-Siedlung in der Hand der Deutsche Wohnen sind, wird kein ruhiges und friedliches Leben einkehren. Dafür müssen die Wohnungen in die öffentlichen Hand kommen.“
Umwandlungen finden weiter statt
Noch unter dem rot-schwarzen Senat wurde eine Umwandlungsverordnung für soziale Erhaltungsgebiete erlassen. Dabei schafft die Umwandlungsverordnung kein generelles Umwandlungsverbot. Vermieter können weiterhin umwandeln. Sie müssen sich lediglich verpflichten, in den ersten sieben Jahren nach der Umwandlung die Wohnung nur an die Mieter/innen zu veräußern. Das Monitoring verrät: Investoren machen von dieser Ausnahmeregelung rege Gebrauch. Seit der Einführung der Umwandlungsverordnung im März 2015 bis zum Ende des Berichtszeitraums im Juni 2017 wurden 5.849 Wohnungsumwandlungen aufgrund dieser Ausnahmeregelung genehmigt. Lediglich 15 dieser Wohnungen sind bisher an Mieter/innen verkauft. Eine angekündigte Bundesratsinitiative der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen, um diese Ausnahmeregelung zu streichen, liegt derzeit auf Eis.
Ob der berlinweite Rückgang der Umwandlungen zwischen 2015 und 2016 von 17.244 auf 13.029 mit der Umwandlungsverordnung in Zusammenhang steht, ist fraglich. In der Regel werden nur bestimmte Wohnungsbestände umgewandelt. Ausschlaggebend ist eine besonders attraktive Lage, wie etwa die Nähe zu Plätzen oder Wasserflächen. Laut Bezirksämtern gibt es in Top-Lagen in vielen länger bestehenden Erhaltungsgebieten keine geeigneten Objekte mehr. In Hotspots wie dem Schillerkiez in Neukölln, dem Boxhagener Platz in Friedrichshain oder der Luisenstadt in Kreuzberg läuft das Umwandlungsgeschehen trotz Umwandlungsverordnung ungestört weiter.
Die Spielräume des Vorkaufsrechts nutzen die Bezirke sehr unterschiedlich. Lediglich der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg wendet das Vorkaufsrecht entschieden an. Ein Großteil der 22 Vorkaufsfälle geht auf das Konto von Baustadtrat Schmidt. Immer häufiger wenden Investoren den Vorkauf ab. Dabei ist zu unterscheiden, ob es sich um einseitig vom Investor abgegebene Abwendungserklärungen oder um zwischen Bezirk und Investor vertraglich geschlossene Abwendungsvereinbarungen handelt. Nur letztere bieten einen weitgehenden Schutz für Mieter/innen, weil für einen Zeitraum von 20 Jahren Umwandlungen von Miet- in Eigentumswohnungen untersagt werden können und Vertragsstrafen bei Verstoß festgehalten sind. Diese fehlen in den Abwendungserklärungen. Erhebliche Vollzugsdefizite machen das Vorkaufsrecht in vielen Bezirken harmlos. In Neukölln und Mitte versäumten die Bezirksämter mehrmals die zweimonatige Frist für die Anwendung des Vorkaufsrechts. Neben dem mutlosen Vorgehen der politisch Verantwortlichen liegen die Gründe in der schlechten personellen Ausstattung der Bezirksämter. Für die neu ausgewiesenen Milieuschutzgebiete bedarf es mehr Personal, um die Einhaltung der Erhaltungssatzung bei Bauvorhaben zu kontrollieren und Vorkaufsfälle zu prüfen. Der Senat strich den Bezirksämtern die Finanzierung von sechs Stellen in den Stadtentwicklungsämtern. „Die Senatsverwaltung verweist darauf, dass die Mittel für die Bezirksämter aufgestockt wurden. Aus den zusätzlichen Mitteln sollten jedoch neue Stellen für die zusätzlichen Aufgaben generiert werden. Nun müssen damit bereits bestehende Stellen finanziert werden“, klagte Katrin Schmidberger (B90/Grüne) gegenüber dem MieterEcho.
„Wohnraum zu sichern ist eine politische Frage“
Angesichts horrender Grundstückspreise stößt das Vorkaufsrecht an seine Grenzen. Die städtischen Wohnungsbaugesellschaften schrecken immer öfter vor einem Kauf zurück, da sie die Marktpreise nicht refinanzieren können. In der Birkenstraße 30 in Moabit nahm die WBM das Vorkaufsrecht nicht wahr und begründete dies mit dem hohen Kaufpreis. „Gerade in Fällen in denen die Häuser extrem teuer verkauft werden, brauchen die Mieter/innen am meisten Schutz“, sagte Katharina Mayer (Die Linke) gegenüber dem MieterEcho. Das verweist einerseits auf das enge betriebswirtschaftliche Korsett der gewinnorientierten städtischen Unternehmen, andererseits auf die Absurdität, dass mit öffentlichen Mitteln spekulative Preise von Investoren bedient werden müssen.
Für die Mieterschaft eines zum Verkauf stehenden Gebäudes bedarf es der Mobilisierung vieler Ressourcen, um die Politik zum Vorkauf ihres Hauses zu bewegen. Oftmals schläft die Mobilisierung der Hausgemeinschaft nach der Abwendung oder dem Vorkauf des Hauses schnell wieder ein. Die Mieterschaft des Eckhauses Amsterdamer Straße 14/ Malplaquetstraße 25 im Wedding könnte ein Vorbild für eine weitergehende Organisierung sein. Sie initiierte nach der Unterzeichnung der Abwendungsvereinbarung für ihr Haus das regelmäßig stattfindende Netzwerk „#zusammenfürwohnraum“. Gegenüber dem Deutschlandfunk fasste eine Hausbewohnerin den Anspruch ihres neuen Vereins „AmMa65“ zusammen: „Das Ziel des Vereins war, eine sozialverträgliche Miete für die Hausbewohner zu sichern. Jetzt Wohnraum zu sichern oder sozialverträgliche Mieten zu sichern, ist eigentlich eine politische Frage. Es geht nicht nur um ein Individuum, das probiert, sein Zuhause zu retten, sondern das ist eine richtige politische Frage.“
MieterEcho 396 / Juni 2018
Schlüsselbegriffe: Milieuschutz, Berlin, Selbstorganisierung, Mieterprotest, Milieuschutzsatzung, Verdrängung, Umwandlung, Vorkaufsrecht, Modernisierung, Luxussanierung, Mieterinitiative