Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 395 / Mai 2018

Im Neuköllner Weserkiez stößt der Massentourismus an die Grenzen der nachbarschaftlichen Toleranz

Folgt man den statistischen Zahlen, dürfte es in Neukölln kein Tourismus-Problem geben.

Von Hermann Werle

Folgt man den statistischen Zahlen, dürfte es in Neukölln kein Tourismus-Problem geben. Lediglich 390.000 Gäste machten 2017 einen Abstecher in den Bezirk, der mit rund 857.000 Übernachtungen geringere Zahlen aufweist als beispielsweise Lichtenberg mit 1,2 oder Pankow mit 1,4 Millionen Übernachtungen. Vor allem im Vergleich mit Charlottenburg-Wilmersdorf und Mitte, die mit 6,5 und 12,9 Millionen Übernachtungen die touristische Berlinstatistik anführen, erscheinen die Belastungen gering. Dass diese Zahlen wenig über die kleinräumigen Realitäten aussagen, zeigt der Blick in die Weserstraße im nördlichen Neukölln.

Als Heike Runge im September 1999 in der Wochenzeitung Jungle World über den Kiez rund um die Sonnenallee schrieb, dass es sich um eine „sturzpeinliche Scheißgegend“ handele, „wo im Wesentlichen gar nichts passiert, außer ein bisschen Kriminalität vielleicht“, entsprach dies sicherlich der allgemeinen Wahrnehmung. Für die Bezirkspolitik stellte die Gegend mit seinem hohen Anteil arbeitsloser und migrantischer Bevölkerung ein „Problemgebiet“ mit „überforderten Nachbarschaften“ dar. Auch heute noch wohnen dort in der Mehrzahl Geringverdienende und Arbeitslose. Ebenfalls noch weit über dem Berliner Durchschnitt liegt der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund, allerdings wird diese Konstellation nun als „Schmelztiegel der Kulturen“ oder „bunte Mischung“ touristisch vermarktet. Und das mit Erfolg. Der Kiez hat sich innerhalb weniger Jahre zu einer Hochburg von Ferienwohnungen und zu einer Kneipen- und Fressmeile entwickelt, die nach feuchtfröhlichen Partynächten überforderte Nachbarschaften hinterlässt.

Rund um die Uhr die Sau rauslassen

Sowohl der Bezirk als auch das Land Berlin und seine Tourismusagentur Visit Berlin betreiben viel Aufwand, um Gäste nach Berlin und Neukölln zu lotsen. Geworben wird für die „Stadt der Freiheit“ mit dem Slogan: „Berlin ist 365/24: an allen 365 Tagen im Jahr spannend und mit einem Rund-um-die-Uhr-Programm“. Für die Nachbarschaftsinitiative Weserkiez liest sich das als die Freiheit, „an 365 Tagen im Jahr rund um die Uhr die Sau rauszulassen“, wie in einer Pressemitteilung zu lesen ist. Viele Anwohner/innen klagen über Dauerlärmbelästigung und Vermüllung. Im letzten Jahr eskalierte die Situation rund um den Betrieb des ungenehmigt betriebenen Fantastic Foxhole Hostels in der Weserstraße 207 (MieterEcho Nr. 389/Juli 2017). Der Eigentümer des Hauses, Alexander Skora, hatte sogar versucht, mehrere Mietparteien aus ihren Wohnungen zu werfen, zog aber zunächst vor der mobilisierten Nachbarschaft und schlussendlich vor dem Oberverwaltungsgericht den Kürzeren. Ein erster Erfolg. Um der weiteren Etablierung von „Ballermannzonen“ Einhalt zu gebieten, richtete die Nachbarschaftsinitiative eine Anfrage an die Neuköllner Bezirksverordnetenversammlung mit der Aufforderung, Höchstzahlen für Schankgewerbe und Hostels festzulegen. Außerdem solle der Bezirk „auf die Erhaltung und Wiederherstellung der Nahversorgung und Rückentwicklung touristischer Hotspots zielen“. Die Antwort des Bezirksamts vom 28. Februar 2018 fiel ernüchternd aus. Zwar ließe sich „eine besondere Häufung der Schank- und Speisewirtschaften erkennen“ und es gebe „zunehmende Verdrängungsprozesse von Kleingewerbe und Dienstleistungen“, gleichwohl bestünden „an eine Nicht-Genehmigung hohe Anforderungen angesichts der geltenden ‚Gewerbefreiheit‘ und der im Grundgesetz geschützten freien Berufsausübung“. Ruhestörungen fänden zudem „außerhalb des Dienstbetriebes des Ordnungsamtes statt“. Prost Ballermann!
Gegen die Tatenlosigkeit der Politik wendet sich die Kampagne „Not My Partymeile“ und fordert dabei unter anderem den „Verzicht des Senats auf entwürdigende Kampagnen, die die Einwohner/innen der Stadt zu Statist/innen in einem Erlebnispark degradieren“. Eine klare Ansage an die Landes- wie Bezirkspolitik: Wer die Tourismusindustrie hätschelt, kann mit Toleranz bei den ignorierten Anwohner/innen nicht rechnen.

Weitere Informationen und Kontakt:

Nachbarschaftsinitiative Weserkiez: https://iniweserkiez.wordpress.com
Not My Partymeile: https://www.facebook.com/notmypartymeile/info
E-Mail: notmypartymeile@gmail.com


MieterEcho 395 / Mai 2018

Schlüsselbegriffe: Tourismus, Berlin, Neukölln, Ferienwohnungen, Belästigung, Verdrängung, Nachbarschaftsinitiative, Protest

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