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MieterEcho 396 / Juni 2018

Fast normale Marktakteure

Im Koalitionsvertrag bekennt sich der amtierende Senat zum "Gemeinwohlauftrag der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften", doch welche Taten folgten dem Bekenntnis?

Von Hermann Werle

Bei der Versorgung der Berliner Bevölkerung mit Wohnraum spielen die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften seit ihrem Bestehen eine herausragende Rolle. Diese ergibt sich aus dem Umstand, dass die private Wohnungswirtschaft vor hundert Jahren genauso wenig wie heute in der Lage war, die Wohnungsversorgung einer wachsenden Stadt zu gewährleisten. Angesichts der wachsenden Wohnungsnöte in Berlin stellt sich die Frage, ob der rot-rot-grüne Senat die öffentlichen Wohnungsunternehmen im Sinne ihrer historischen Aufgabe steuert.


Ähnlich epochal wie die Gründung der sozial orientierten landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften und deren Bauleistungen in den 1920er Jahren (s.u. "Bauen, bauen, bauen...") stellt sich die wohnungspolitische Wende der 1990er Jahre dar. Bereits die 1980er Jahre waren von einer schrittweisen Deregulierung der Wohnungspolitik geprägt. Sowohl im Bund als auch in Berlin setzte die Politik zunehmend auf die Förderung von Wohneigentum und die Aktivierung von privatem Kapital für den Wohnungsbau.
In den folgenden 1990er Jahren dominierten in Berlin dann zwei Tendenzen, „zum einen der Neubau von Wohnungen, der das Angebot stark erhöhte, und zum anderen die Liberalisierung, in deren Folge öffentliche Wohnungsbaugesellschaften durch In-sich-Geschäfte finanziell ausbluteten und landeseigene Wohnungen privatisiert wurden“ (MieterEcho Nr. 335/ August 2009). Unter den rot-schwarzen und rot-roten Regierungskoalitionen blieben von den 1998 noch im Landesbesitz befindlichen 470.000 Wohnungen zehn Jahre später gerade noch annähernd 260.000 über. Doch das war bei Weitem nicht alles, was die neoliberale Politik an destruktiver Kraft auch in den 2000er Jahren noch freizusetzen in der Lage war. Es wurde weiterhin Personal reduziert und die landeseigenen Wohnungsbauunternehmen auf betriebswirtschaftliche Kennziffern zugerichtet. Sie wurden „sarraziniert“, wie es die 2009 verstorbene Grünen-Abgeordnete Barbara Oesterheld im Juni 2004 in einer Parlamentsdebatte auf den Punkt brachte. Die Grünen wollten zwar ebenfalls Wohnungen privatisieren, dafür aber den Rest der Bestände stärker sozial ausrichten und dem Einfluss des damaligen Finanzsenators Thilo Sarrazin (SPD) entziehen.

„Sarrazinierung“ der Wohnungsbaugesellschaften

Die „Sarrazinierung“ wirkt bis in die heutigen Tage nach und zeigt sich unter anderem am Führungspersonal der landeseigenen Gesellschaften. In den Vorständen finden sich überwiegend betriebswirtschaftlich orientierte Manger/innen und die Aufsichtsratsvorsitzenden werden von sechs Personen mit SPD-Parteibuch besetzt, von denen „fünf neoliberal geprägt“ sind (MieterEcho Nr. 391/ November 2017). Entsprechend dem Führungspersonal der Gesellschaften entwickelten sich auch die Mieten in den landeseigenen Beständen. Bis 2014 lässt sich kein signifikanter Unterschied im Vergleich mit der Mietentwicklung großer Immobilienaktiengesellschaften feststellen. Bei der 2004 privatisierten GSW handelt es sich heute um eine Gesellschaft, die knapp 51.000 Wohnungen bewirtschaftet, die seit 2011 an der Börse notiert ist und 2013 vom Konzern Deutsche Wohnen übernommen wurde. In einer 2017 veröffentlichten Studie zu börsennotierten Wohnungsunternehmen attestiert das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung der GSW die „größten Mietsteigerungen in den letzten fünf Jahren“ im Vergleich mit anderen Immobilien-Aktiengesellschaften. Im Vergleich mit den landeseigenen Gesellschaften zeigt sich für den Zeitraum zwischen 2007 und 2014, dass die öffentlichen Wohnungsunternehmen die offenkundig mietpreistreibende GSW teilweise nicht nur prozentual, sondern auch in der absoluten Miethöhe übertreffen (siehe Tabelle, Seite 7). Erst in den letzten drei Jahren hat die GSW wie auch die Deutsche Wohnen – in ihrem Gesamtbestand in Berlin – die landeseigenen Gesellschaften hinter sich gelassen.

Markt ist die Messlatte

Auch beim Wohnungsbau agierten die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften wie die privaten Großanbieter. Bei den einen wie bei den anderen werden die sinkenden Leerstandszahlen und die zunehmende Marktenge als durchaus wünschenswerte Entwicklung für die Geschäftsergebnisse dargestellt. So spricht der Geschäftsbericht der Stadt und Land für das Jahr 2012 von einer „positiven Marktentwicklung“ und das zu einem Zeitpunkt, wo kleine Wohnungen für wenig Geld längst vom Markt verschwunden waren. Und auch noch 2015 erklärt Ingo Malter, der Geschäftsführer der Stadt und Land: „Der Markt ist wie bei jedem anderen Unternehmen unsere wichtigste Messlatte.“ Von 2014 bis 2016 erstellte die Gesellschaft gerade einmal 245 Wohnungen, was in das Gesamtbild des Baugeschehens passt. Über zehn Jahre haben die landeseigenen Wohnungsunternehmen nicht eine einzige Wohnung gebaut, bis die Degewo im Mai 2014 stolz vermelden konnte, 52 Wohnungen fertig gestellt zu haben. Für die seit 2011 rasant wachsende Stadt ein klägliches Ergebnis. Dass die städtischen Gesellschaften überhaupt wieder bauen, fällt in die Verantwortlichkeit des SPD/CDU-Senats. Dieser hatte 2012 mit „seinen“ eigenen Wohnungsbaugesellschaften das sogenannte „Bündnis für soziale Wohnungspolitik und bezahlbare Mieten“ abgeschlossen, welches sowohl eine Regulierung der Mieten als auch den Ankauf und Neubau von Wohnungen vorsah. Diesem Bündnis folgten 2014 die Einführung einer neuen Wohnungsbauförderung sowie ein Neubaubündnis. Vom Senat beschlossen wurde zudem der „Stadtentwicklungsplan Wohnen 2025“, der von 10.000 neu zu bauenden Wohnungen jährlich ausging. Dem Bedarf wurde zwar nicht Genüge getan, aber immerhin wurden die Probleme der steigenden Mieten und des Wohnungsmangels unter der rot-schwarzen Koalition als solche erkannt und mit der „Roadmap für 400.000 bezahlbare Wohnungen im Landeseigentum“ im April 2016 nochmals unterstrichen.

Für eine soziale Mieten- und Wohnungspolitik

Wäre es nach den Wahlbekundungen der Koalitionsbeteiligten gegangen, hätte die Mieten- und Wohnungspolitik des neuen – seit Dezember 2016 amtierenden – Senats eine neue Dynamik entfalten müssen. Was wurde alles versprochen: „Miethaien Zähne ziehen“, „Berlin bleibt bezahlbar“, „niedrige Mieten statt hohe Rendite“, „die Häuser denen, die drin wohnen“ und einiges mehr war wochenlang auf Wahlplakaten zu lesen. Über eineinhalb Jahre später kann von einer neuen Dynamik nicht die Rede sein. An den diversen Bündnissen und Vereinbarungen und auch an der Neubauförderung wurde nachjustiert. So wurde für die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften die Modernisierungsumlage von 9 auf 6% gesenkt. Hier sollte Berlin durchaus Vorbild für andere Länder und Kommunen sein und die Modernisierungsumlage für den eigenen Wohnungsbestand endlich ganz entsorgen.
Gearbeitet wird unter dem rot-rot-grünen Senat auch an einem neuen Stadtentwicklungsplan, der unter anderem die aktuellen wohnungspolitischen Erfordernisse feststellen soll. Nach derzeitigem Stand besteht ein akuter Neubaubedarf von 77.000 Wohnungen, zu dem bis 2030 weitere 117.000 Wohnungen hinzukommen, um das fortdauernde Bevölkerungswachstum auszugleichen. Dabei ist über die Miethöhen noch kein Wort gefallen. Bei Betrachtung der bislang geförderten Wohnungen fällt die Bilanz ernüchternd aus: Seit 2014 entstanden gerade einmal 948 Wohnungen mit einer Miete ab 6,50 Euro/m². Damit lassen sich keine Wohnungsnot und kein „Mietenwahnsinn“ bekämpfen. Zwanzig Jahre neoliberaler Destruktionspolitik haben ihre Spuren hinterlassen, die an die Wohnungsmiseren der Nachkriegszeiten erinnern. Die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften sind stärker der betriebswirtschaftlichen Logik als der sozialen Wohnungsversorgung verpflichtet und agieren mit einigen Einschränkungen wie private Wohnungsunternehmen. Zur nachhaltigen Linderung der Misere bedarf es nicht zuletzt der unmittelbaren Steuerung der Wohnungsbaugesellschaften. Ein Blick in die Geschichte vorbildlicher Modelle aus den 1920er Jahren könnte dabei Anregungen liefern.


 

Bauen, bauen, bauen

Wohnungsbau war in den Nachkriegszeiten Berlins eine der dringendsten staatlichen Aufgaben und nur mit den landeseigenen Gesellschaften überhaupt möglich

Mit der Heimstätten AG Groß-Berlin (Heimag), der späteren Gewobag (Gemeinnützige Wohnungsbau-Aktiengesellschaft Berlin), entstand 1919 die erste der städtischen Wohnungsbaugesellschaften. Es folgten 1924 die Gründungen der Degewo (Deutsche Gesellschaft zur Förderung des Wohnungsbaus), der Stadt und Land Wohnbauten-Gesellschaft sowie der Gesobau, die aus einer Eisenbahn- und Tiefbaugesellschaft hervorgegangen war. Außerdem entstanden 1924 die inzwischen privatisierten Unternehmen Gehag (Gemeinnützige Heimstätten-Aktiengesellschaft) und die Wohnungsfürsorgegesellschaft, die von den Faschisten mit anderen Gesellschaften 1937 zur GSW (Gemeinnützige Siedlungs- und Wohnungsbaugesellschaft) zusammengeschlossen wurde. Gegenüber dem zuvor weitgehend liberalen Wohnungsmarktgeschehen stellten die Gründungen dieser Gesellschaften und die mit der Einführung einer Hauszinssteuer ermöglichte umfangreiche staatliche Förderung des Wohnungsbaus eine einschneidende politische Zäsur dar. Nicht nur in Deutschland gelten die Jahre 1923/1924 als historische Wendepunkte staatlicher Wohnungspolitik. Vor dem Hintergrund starker Arbeiterbewegungen und sozialdemokratischer Regierungen wurde in Wien das erste große Gemeinde-Wohnungsbauprogramm 1923 beschlossen und in England war es die Labour-Partei, die 1924 den Grundstein für die Finanzierung des Council-Housing-Programms legte. Im Gegensatz zu den Finanzierungssystemen in Wien und England standen die Finanzmittel im Deutschen Reich jedoch seit jeher auch privaten Bauherren zur Verfügung.

Imposante Nachkriegs-Bauleistungen
In Berlin begannen die neu gegründeten Gesellschaften ihren Namen entsprechend umgehend mit dem Bau von Wohnungen, wobei das primäre Ziel die Schaffung bezahlbarer Wohnungen für einkommensschwache Bevölkerungsgruppen war. Dies war angesichts der grassierenden Wohnungsnot zwingend notwendig geworden. Kriegs- und inflationsbedingt waren über zehn Jahre keine Wohnungen mehr gebaut worden und in der rasch wachsenden Reichshauptstadt fehlten weit über 100.000 Wohnungen. In erstaunlichem Tempo entstanden über 60.000 neue Wohnungen allein zwischen 1925 und 1928. Rund 40% davon erstellten die städtischen Wohnungsbaugesellschaften, wozu unter anderem die 1.918 Wohnungen der Waldsiedlung Zehlendorf „Onkel Toms Hütte“ oder die Hufeisensiedlung mit über 1.000 Wohnungen gehören. In den Jahren 1929 bis 1932 wurden weitere annähernd 100.000 Wohnungen mit Mitteln der Hauszinssteuer gebaut. Bedingt durch die Sparpolitik unter Reichskanzler Heinrich Brüning wurde der Wohnungsbauförderung ab 1930 allmählich der Geldhahn zugedreht. 1932 entstand mit 9.357 Wohnungen nicht nur weniger Wohnraum als in den Jahren zuvor mit jeweils über 24.000, die Sparmaßnahmen verschärften auch die Arbeitslosigkeit aufgrund der zuvor hohen Beschäftigungsintensität des Bausektors.
Nach dem Zweiten Weltkrieg war die Wohnungspolitik zunächst auf die Instandsetzung beschädigter Wohngebäude fokussiert. Zu Beginn der 1950er Jahre fehlten in Westberlin über 300.000 Wohnungen. Wieder waren es eine umfangreiche staatliche Förderung und die landeseigenen Gesellschaften, die in den Jahren von 1952 bis 1961 den Bau von 207.000 Wohnungen ermöglichten. Davon waren 90% geförderte Wohnungen, die zu 39% von gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften mit Bauleistungen von bis zu 10.000 Wohnungen jährlich erstellt wurden. (H.W.)


 

Der Wiener Gemeindewohnungsbau war Thema im MieterEcho Nr. 370 / Oktober 2014 „Nach Wiener Art? – Gemeindebau und Wohnungsbau in Österreich“. Der Council Housing in England war Thema im MieterEcho Nr. 364 / Dezember 2013 „Sozialabbau extrem – Großbritannien und seine Wohnungskrise“.


MieterEcho 396 / Juni 2018

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