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MieterEcho 398 / Oktober 2018

„Blaupause für die ganze Stadt“

Das Haus der Statistik soll mit integriertem städtebaulichem Werkstatt-Verfahren entwickelt werden

Von Rainer Balcerowiak

Es ist bekannt, dass der rot-rot-grüne Berliner Senat die Bürgerbeteiligung und den „Dialog mit der Stadtgesellschaft“ ins Zentrum seiner Stadtentwicklungs- und Wohnungspolitik stellt. Welche Partizipationsmonster dabei entstehen können, lässt sich exemplarisch bei einem der letzten großen Filetstücke im Herzen Berlins erleben.


Das Haus der Statistik ist ein zwischen 1968 und 1970 errichteter Gebäudekomplex im Karree Karl-Marx-Allee, Moll- und Otto-Braun-Straße am Alexanderplatz. Das Areal umfasst eine Grundstücksfläche von 32.000 m² mit einer Brutto-Grundfläche von 46.000 m² in sechs Bauteilen. Nach der Wiedervereinigung wurde der Komplex teilweise von Bundesbehörden genutzt. Seit 2008 steht er komplett leer und zeigt deutliche Verfallserscheinungen. Seitdem gab es etliche Anläufe, das Areal nach umfassender Sanierung oder durch Abriss und Neubau wieder zu nutzen. Doch es passierte nichts. Pläne wurden wieder eingestampft und potenzielle Investoren sprangen ab. Im Jahr 2017 erwarb das Land Berlin die Immobilie von der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (Bima) für 50 Millionen Euro, die Übergabe fand am 13. Oktober statt. Bereits vor dem Erwerb durch das Land hatten sich SPD, Die Linke und B90/Grüne in ihrem im Dezember 2016 unterzeichneten Koalitionsvertrag darauf verständigt, „das Haus der Statistik als Ort für Verwaltung sowie Kultur, Bildung, Soziales und Wohnen zu entwickeln“. Das Projekt solle „Modellcharakter“ mit „neuen Kooperationen und einer breiten Mitwirkung der Stadtgesellschaft“ haben. Dafür wurde eine Art informeller Planungsinstitution geschaffen, die „KooP5“. In ihr arbeiten fünf Kooperationspartner zusammen: die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen, das Bezirksamt Mitte Berlin, die BIM (Berliner Immobilienmanagement GmbH), die Wohnungsbaugesellschaft Berlin Mitte (WBM) und die Genossenschaft ZUsammenKUNFT Berlin eG (ZKB). Die ZUsammenKUNFT Berlin eG entstand aus der „Initiative Haus der Statistik“ und beschreibt sich als „Bündnis von verschiedenen Berliner Akteur*innen: Soziale und kulturelle Einrichtungen und Verbände, Künstlerkollektive, Architekten, Stiftungen und Vereine“. Bereits 2015 hatte die Initiative ein Konzept für die Nachnutzung des Komplexes entwickelt, laut dem ein „Zentrum für Geflüchtete, Soziales, Kunst und Kreative“ entstehen sollte. Auf der Wunschliste standen unter anderem „Ateliers für Künstler, Wohnungen für Flüchtlinge, Wohngemeinschaften, Co-Working-Plätze, Kunst-, Kultur und Bildungsprojekte und viele weitere vor allem gemeinschaftliche Nutzungen“. Zwar gab es für die Vorhaben Unterstützung vom Bezirk Mitte, doch die Zeit war noch nicht reif. Denn der Bund war seinerzeit noch nicht bereit, das Areal dem Land Berlin zu einem vertretbaren Preis zu übertragen.

Spielwiesen der Stadtgesellschaft

Inzwischen hat KooP5 ein reges Eigenleben entfaltet und seit 2017 unzählige Workshops, Werkstätten, World-Cafés und ähnliche Dialogformen initiiert. Dabei ging es aber nicht um konkrete Planungsschritte, sondern vor allem um die Vorbereitung weiterer Beteiligungs- und Dialogprozesse. Das Haus der Statistik sei „eine Leerstelle und Potenzialfläche sondergleichen – das ergibt mitten in der Stadt die Möglichkeit, durch echte Kooperation von Stadtgesellschaft, Politik und Verwaltung einen Ort zu schaffen, der eine Verbindung zwischen bestehender Nachbarschaft und pluraler Stadtgesellschaft herstellt“. Koop5 will „das gesamte Areal in ein Labor für plurale und zeitgemäße Formen des Zusammenlebens in einer ko-produzierten Stadt“ verwandeln. Einen kleinen Einblick in die Arbeitsweise derartiger Beteiligungsmarathons bietet ein ausführliches Protokoll einer „Konzeptwerkstatt“ am 7. und 8. Juni 2018, der neben Koop5-Vertreter/innen auch „Experten aus dem Architektur- und Stadtplanungsbereich sowie Delegierte aus dem Vernetzungsratschlag“ als Vertreter/innen der „Stadtgesellschaft“ teilnahmen. Aus den einzelnen Arbeitsgruppen der Werkstatt kamen entsprechend bahnbrechende Vorschläge. „Es muss einen kontinuierlichen Informationsfluss und Wissensvermittlung geben. Dazu muss es einzelne Formate geben, die passen und Menschen aktivieren. Wichtig ist es, die festen Rahmenbedingungen/Leitplanken zu definieren.“ Dabei stehen einige Ankerelemente der künftigen Nutzung weitgehend fest. Das Bezirksamt Mitte benötigt ein neues Rathaus, weil der Mietvertrag für das gegenwärtige Gebäude 2028 ausläuft. Die WBM braucht Teile des Areals, um ihrer Selbstverpflichtung nachzukommen, im Bezirk Mitte 4.000 neue Wohnungen zu errichten. Derzeit geht die WBM in dem Komplex von mindestens 300 neuen Wohnungen aus. Der Senat selbst plant die Einrichtung seiner Finanzabteilung im rekonstruierten Haus. Im Gespräch sind derzeit auch eine Kita, eine Obdachlosenanlaufstelle, die Kältehilfe, ein Seniorentreff und gastronomische Angebote. Doch zentrale Fragen wie der mögliche Abriss der Flachbauten und deren Ersetzung durch ein oder mehrere neue Gebäude schmoren auf der langen Bank. Mit einem Bebauungsplan ist frühestens 2019 zu rechnen, wahrscheinlich wird es länger dauern. Und auch das wäre ja lediglich der Startschuss für eine neue „Dialogetappe“.
Von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen wurde in Zusammenarbeit mit Koop5 ein Wettbewerb ausgeschrieben. Doch auch dabei ging es nicht um die eigentliche bauliche Gestaltung und die konkreten Nutzungskonzepte, sondern um das Verfahren zu deren Entwicklung. In der Ausschreibung heißt es: „Die zivilgesellschaftliche ‚Initiative Haus der Statistik‘ sowie Berliner Politik und Verwaltung sind sich seit bald drei Jahren einig: Wesentliche Teile der bestehenden Bebauung werden baulich ertüchtigt und teilweise umgenutzt. Die Auslober streben des Weiteren bis zu 65.000 m² BGF (Brutto-Grundfläche) Neubaufläche an. (...) In den vergangen Monaten haben die Kooperationspartner gemeinsam ein Konzept für ein Integriertes Werkstattverfahren erarbeitet, welches gemäß Meilensteinplan Anfang September 2018 starten und bis Januar 2019 abgeschlossen werden soll.“ Dabei würden „drei parallel laufende, eng miteinander verzahnte und abgestimmte Prozesse in einem Werkstattverfahren integriert“. Das seien neben dem „inkrementellen städtebaulichen Zielfindungsprozess der Koop5-interne Koordinations- und Steuerungsprozess sowie der öffentliche und teilöffentliche Mitwirkungsprozess“. Übergeordnetes Ziel ist der „Konsens über ein städtebauliches Konzept, auf dessen Grundlage Anfang 2019 der Aufstellungsbeschluss zum B-Plan gefasst werden soll“. Dem Werkstattverfahren wird ein Teilnehmerauswahlverfahren vorgeschaltet, die Teilnehmer erhalten ein Honorar von je 37.500 Euro zuzüglich Umsatzsteuer.

Wettbewerb für Partizipation

Auch der Zeitplan, der ein Auftaktkolloquium, zwei Zwischenkolloquien und ein Abschlusskolloquium im Januar 2019 vorsieht, wird in der Ausschreibung vorgegeben. Zwischen den Kolloquium-Terminen sind zusätzlich jeweils eintägige Vor-Ort-Werkstätten vorgesehen, die dem Austausch zwischen den Teilnehmer/innen, der Koop5 und Initiativen als Vertreter/innen der Stadtgesellschaft dienen. Die „Programmierung der Aufgabenstellung“ werde mit dem Start des Verfahrens nicht abgeschlossen sein, „sondern soll im laufenden Prozess schrittweise konkretisiert werden. (...) Darüber hinaus soll das Werkstatt-Verfahren durch zwei große öffentliche Veranstaltungen für die Beteiligung der Stadtgesellschaft begleitet werden.“ Implementiert wird ferner ein „Obergutachtergremium“, dem Vertreter/innen der Koop5, Bürgervertreter/innen und externe Fachgutachter/innen angehören sollen.
Für Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Die Linke) ist das ganze Verfahren und die ihm immanente Mischung aus Sprechblasen, Wirrnis und Zeitverschwendung eine „Erfolgsgeschichte“. Am 8. September eröffnete sie offiziell das ausgeschriebene Werkstattverfahren. „Das Haus der Statistik ist ein guter Ort, um einzuüben, wie kooperative Stadtentwicklung in der Zukunft aussehen soll“, so Lompscher vor Pressevertreter/innen. Auch Christian Schöningh, Architekt und Mitinitiator des Projekts Haus der Statistik, zeigte sich hochzufrieden und nannte das Werkstatt-Konzept eine „Blaupause für die ganze Stadt“. Damit könnte er Recht haben. Aber vielleicht sollte man lieber von einer „Blaupause“ für die wirre Stadtentwicklungspolitik des Berliner Senats sprechen.

Weitere Informationen:
https://hausderstatistik.org


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