Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter

Besser als vorher, aber Ziel nicht erreicht

Die Neuregelung der AV-Wohnen kann die innerstädtische Verdrängung und zunehmende Wohnungslosigkeit nicht stoppen

Von Philipp Möller        

                    

Die Anpassung der Ausführungsvorschriften Wohnen (AV-Wohnen) enthält einige überfällige Verbesserungen für ALG-II-Beziehende. Neben der turnusgemäßen Anpassung der Richtwerte der Kosten der Unterkunft wurde bei den Härtefallzuschlägen etwas nachgebessert. Erstmals flossen neben einfachen auch mittlere Wohnlagen in die Berechnung der Richtwerte ein. Klein-Wohnungen unter 40 m² fanden mehr Gewichtung bei der Berechnung. Die Wohnflächen für Bedarfsgemeinschaften mit drei oder mehr Personen sowie für Alleinerziehende mit Kind wurden um je 5 m² erhöht. Dennoch: Rund 44.000 bzw. 15,7% aller 292.000 Berliner Bedarfsgemeinschaften müssen trotz neuer Richtwerte der AV-Wohnen weiterhin ihre Miete vom Essen absparen – Tendenz steigend. Entscheidungsfristen bei Neuanmietung sind für die Jobcenter immer noch nicht vorgesehen. Der Senat jubelt trotzdem, dabei stopfen die zusätzlichen Mittel für diese Form der Subjektförderung lediglich die immer tieferen Löcher, die die privatwirtschaftliche Verwertung von Wohnraum und die Wohnungsknappheit hinterlassen.    

                           

Zum 1. Januar 2018 trat die neue AV-Wohnen in Kraft. Katina Schubert, Berliner Landesvorsitzende der Partei Die Linke, nannte die Neuregelung der AV-Wohnen „einen wichtigen Impuls für eine solidarische Stadt“. Für ihre Parteifreund/innen, die Fraktionsvorsitzenden Carola Bluhm und Udo Wolf, ist die Veränderung „ein großer sozialpolitischer Erfolg der Politik der linken Regierungsverantwortung“. Für rund 86.000 Bedarfsgemeinschaften wird die Miete nun wieder vollständig übernommen, zumindest bis zur nächsten Mieterhöhung. Die Fraktionsvorsitzenden jubelten, weil die Betroffenen „die Miete nicht mehr über einen leeren Kühlschrank finanzieren“ müssten. Wieso 44.000 weiterhin leere Kühlschränke ein großer sozialpolitischer Erfolg sein soll, erklärten sie nicht. Ebenfalls unklar bleibt, mit wem die eingangs zitierte Stadt solidarisch sein soll. Solidarität mit den Hauseigentümern, Investoren oder börsennotierten Aktiengesellschaften liegt nahe, denn deren nahezu ungestörtes Profitstreben ließ die Mietpreise so weit in die Höhe schnellen, dass beispielsweise im Jahr 2016 in Charlottenburg-Wilmersdorf mehr als der Hälfte der 2-Personen-Bedarfsgemeinschaften im Bezirk die Miete nicht mehr mit den Richtwerten der Kosten der Unterkunft begleichen konnten. Wenn für rund 44,5% der Berliner ALG-II-Beziehenden die Richtwerte nicht mehr ausreichen, um die Miete zu bezahlen, ist ihre Anpassung an die Realität des Wohnungsmarkts eine sozialpolitische Selbstverständlichkeit und kein Erfolg. Vielmehr verweist die Erhöhung der Richtwerte auf die Hilflosigkeit der politischen Akteure gegenüber der Wohnraumverwertung des Kapitals. Der Senat läuft den steigenden Mieten mit Subventionierung hinterher, um die Verdrängung der Armen aus den innerstädtischen Bezirken zu verlangsamen. Laut dem aktuellen Sozialbericht Berlin-Brandenburg 2017 sank der Anteil der ALG-II-Bedarfsgemeinschaften in den letzten zehn Jahren insbesondere in Friedrichshain-Kreuzberg (minus sechs Prozentpunkte) und Pankow (minus fünf Prozentpunkte) – und damit deutlich stärker als im Berliner Durchschnitt (zwei Prozentpunkte). Beide Bezirke wiesen in der gleichen Zeit die stärksten Mietsteigerungen auf. Laut Sozialbericht stieg der Anteil der armutsgefährdeten Menschen in der Stadt von 14,1% im Vorjahr auf 16,6%. Die Autor/innen verweisen dabei auf die drastische Wirkung der steigenden Mieten. Beinahe die Hälfte der armutsbedrohten Menschen (46,2%) müssen über 40% ihres Einkommens für die Miete aufbringen. Angesichts des sozialen Sprengstoffs dieser Situation war der Senat gezwungen zu reagieren. Dabei sind nicht nur Menschen mit Hartz-IV-Bezug armutsgefährdet, sondern auch prekär Beschäftigte, Alleinerziehende und Rentner/innen.   

                       

Mehr Zuschläge bei Härtefällen   

Die neue AV-Wohnen enthält neben der Anpassung der Richtwerte einige Veränderungen bei den Härtefallregelungen, die zu kleinen Verbesserungen führen. Dazu gehört die Wirtschaftlichkeitsprüfung von Umzügen. Der neue Umzugsvermeidungszuschlag von 10% soll Kostensenkungsverfahren und Aufforderungen zum Umzug abbauen. Weitere zehnprozentige Zuschläge können von den Jobcentern gewährt werden, wenn man mindestens zehn Jahre in seiner Wohnung wohnt (vorher waren es 15 Jahre), wenn Angehörige im näheren Wohnumfeld gepflegt werden oder wenn Jugendliche aus betreuten Wohneinrichtungen ausziehen. Auch nach einer Wohnungsmodernisierung können die Richtwerte bis zu 10% überschritten werden. Ob das allerdings Verdrängung entgegenwirken kann, ist angesichts der drastischen Mieterhöhungen nach Modernisierungsmaßnahmen mehr als fraglich. Für Haushalte mit Kindern wurde bei den Richtwerten eine neue Kategorie eingeführt: „2 Personen (Alleinerziehende mit einem Kind)“. Daneben besteht die Möglichkeit auf einen Härtefallzuschlag von bis zu 10%, wenn Kinder eine besondere Schulform besuchen. Die Mindestraumanzahl für Familien wurde abgeschafft. Die bisherige AV-Wohnen sah vor, dass pro Kind ein Raum zu Verfügung stehen muss. Diese Regelung führte laut der Geflüchteten-Initiative „Berlin hilft“ dazu, dass Familien mit vielen Kindern große Probleme hatten, eine entsprechende Wohnung zu finden. Der Mangel von leistbaren, großen Wohnungen zieht ein Absenken der Standards nach sich. „Berlin hilft“ merkt an, dass die neue AV-Wohnen weiterhin keine Kaution für Untermiete vorsieht. Für eine solche Kaution müssen ALG-II-Beziehende in der Regel ein Darlehen beim Jobcenter aufnehmen.        

Markus Wahle, Sozialberater bei der Berliner MieterGemeinschaft, verwies bei einer Informationsveranstaltung zur neuen AV-Wohnen auf die Umsetzungsprobleme der neuen Regelungen. Wahle befürchtet, dass die Jobcenter zwar den Änderungen der abstrakten Angemessenheit der Richtwerte der Kosten der Unterkunft nachkommen werden, die Prüfung der konkreten Angemessenheit – beispielsweise bei Härtefällen – bei bereits festgesetzten Mieten aber vernachlässigen. Die Überprüfung der bisher festgesetzten Mieten und alter Bescheide hält Wahle daher für sinnvoll. Eine solche Überprüfung können Betroffene etwa bei der Sozialberatung der MieterGemeinschaft durchführen lassen (Seite 31). Wahle weist darauf hin, dass die Kombination von Härtefallregelungen nur teilweise möglich ist. Beispielsweise kann der zehnprozentige Zuschlag für Mieter/innen im sozialen Wohnungsbau nicht mit dem Umzugsvermeidungszuschlag kombiniert werden. Der pauschale Zuschlag von 10% im sozialen Wohnungsbau basiert jedoch auf Mietspiegelwerten und ignoriert die inzwischen deutlichen teureren Mieten von Sozialwohnungen. Aufgrund der durchschnittlich höheren Bruttokaltmieten wird im sozialen Wohnungsbau der Zuschlag fast nur für 1-Personen-Haushalte und Alleinerziehende greifen, kritisiert Wahle.   

Auf die wachsende Wohnungslosigkeit und die akute Wohnungsnot in der Stadt ist die Neuregelung der AV-Wohnen trotz einiger kleiner Nachbesserungen eine vollkommen unzureichende Antwort. Zwar wurde der Neuanmietungszuschlag von 20% für Wohnungslose und von Wohnungslosigkeit Bedrohte entfristet. Auch wurden die Nachweise für Neuanmietungsbemühungen im Fall eines Kostensenkungsverfahrens konkretisiert und Mietschulden sollen fortan auch bei 100%iger Sanktionierung übernommen werden.    

                       

Kein Mittel gegen Wohnungslosigkeit            

Diese Maßnahmen dürften aber angesichts des dramatischen Anstiegs der Wohnungslosigkeit kaum Wirkung erzielen. Zwischen 2015 auf 2016 wuchs die Zahl der offiziell untergebrachten Wohnungslosen von 10.655 auf 18.045 Haushalte. Viele haben Mietschulden und mussten ihre Wohnungen räumen. In nahezu allen Fällen zahlte das Jobcenter zuvor die Miete. Die Wohnungssuche mit einem Schufa-Eintrag ist so gut wie hoffnungslos. Angesichts der Wohnungsnot sind die Obdachlosenheime von einer Zwischenlösung zu einer Dauerunterbringungsform geworden. Nur noch 25% der Betroffenen verweilen weniger als drei Monate in den Unterkünften. Es gibt schlicht zu wenige Wohnungen mit dauerhaft preisgünstigen Mieten. Der Senat will das wachsende Heer der Wohnungslosen künftig in modularen Unterkünften für Geflüchtete unterbringen und deren Neubau fortan an 25 neuen Standorten forcieren. Die Forderung nach guten Wohnungen für alle beantwortet der Senat mit Schlichtunterkünften für die Armen.             

 

 


Schlüsselbegriffe: Neuregelung, AV-Wohnen, Ausführungsvorschriften Wohnen, innerstädtische Verdrängung, Wohnungslosigkeit, Härtefallzuschläge, ALG-II-Beziehende, Wohnungsknappheit, Wohnungsmarkt, Privatwirtschaftlicht, Mietschulden, Obdachlosenheime

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