Besondere Härten
Wohnungsmangel gefährdet Menschen in besonderen Lebenslagen
Von Joachim Maiworm
Die Angst vor dem Verlust der eigenen Wohnung als Hort der persönlichen Sicherheit reicht bekanntermaßen bis weit in die Mitte der Gesellschaft hinein. Die Diskussion über die Folgen der wohnungspolitischen Defizite der letzten Jahre oder Jahrzehnte blendet dabei jedoch einen Aspekt weitgehend aus: die Situation der Wohnungssuchenden, insbesondere derjenigen, die aus unterschiedlichen Gründen auf Hilfe bei der Versorgung mit Wohnraum angewiesen sind. Geflüchtete, von Zwangsräumung Bedrohte bzw. Betroffene, unter häuslicher Gewalt leidende Frauen und Kinder, in betreuten Wohnungen lebende Menschen, von Hostel zu Hostel ziehende Personen oder auf Sofas von Bekannten nächtigende Studierende – sie alle sind Teil der Bevölkerung, bleiben im wohnungspolitischen Diskurs jedoch oft unsichtbar und melden sich selten direkt zu Wort.
Anfang 2017 wandte sich die Stattbau Stadtentwicklungsgesellschaft mbH an die Mitglieder des Paritätischen Wohlfahrtsverbands in Berlin, um mehr zu erfahren über deren Schwierigkeiten, bezahlbaren Wohnraum für ihre Klient/innen zu finden. 95% der befragten sozialen Träger, die antworteten, gaben an, einen Bedarf an zusätzlichem oder neuem Wohnraum zu haben, insbesondere wegen einer erhöhten Nachfrage nach Wohnungen zur Unterbringung ihrer Klient/innen. Als besonderes Problem stellten sich sogenannte verstopfte Wohnungen heraus. Demnach haben viele der Bewohner/innen keine Chance, die von den Trägern angemietete Wohnung zu verlassen, obwohl sie eigentlich nicht länger betreut werden müssten. Sie dürfen bleiben, weil sie nach Beendigung des Betreuungsverhältnisses nicht auf die Straße gesetzt werden sollen.
Der Senat dagegen scheint angesichts des Ausmaßes an fehlenden und überbelegten Wohnungen zu kapitulieren. Denn er inszeniert sich als Problemlöser, indem er eine neue Generation von Modularen Unterkünften für Flüchtlinge („MUF 2.0“) als Wohnform der Zukunft für weite Teile der Bevölkerung (Studierende, Menschen mit geringem Einkommen) vorsieht. Und er zeigt sich geschickt darin, selbst große Sozialverbände für seine Politik einzuspannen. Denn die sparten Anfang des Jahres im Rahmen einer gemeinsamen Strategiekonferenz von Senat, sozialen Trägern und weiteren Sachverständigen nicht mit Lob für die Pläne von Rot-Rot-Grün. Vertreter/innen von Caritas und Liga der freien Wohlfahrtspflege ließen keinen Zweifel daran, dass es angesichts der Wohnungsknappheit völlig illusorisch sei, alle Wohnungs- und Obdachlose in reguläre Wohnungen unterzubringen und applaudierten dem Bau der modularen Schlichtwohnungen.
Unsichtbare Wohnungssuchende
Gerade die kritische Haltung von einzelnen kleinen Sozialträgern gegenüber den Folgen der wohnungspolitischen Versäumnisse der letzten Jahre lässt aber hoffen. Sie wehren sich deshalb gegen Versuche des Berliner Senats, Teile der Wohnungspolitik in den Zuständigkeitsbereich der Sozialsenatorin zu verschieben und damit zum Problem der Sozialpolitik und der Sozialarbeit zu erklären. Sie verweisen darauf, dass soziale Arbeit für auf Hilfe angewiesene Menschen nur funktionieren kann, wenn ein sicherer Wohnraum für die Betroffenen gewährleistet ist.
Noch bleiben die sozial und im öffentlichen Diskurs weitgehend ausgegrenzten Menschen auf der Suche nach Wohnraum weitgehend „unsichtbar“ und „ungehört“. Ihnen eine vernehmbare Stimme zu geben, setzt ein gemeinsames widerständiges Vorgehen der betroffenen Bevölkerungsgruppen, der mit ihnen arbeitenden professionellen Kräfte und kooperierenden Initiativen voraus. Der verbindende Kitt könnte die Forderung nach dem Ausbau eines öffentlich finanzierten Wohnungsbaus sein – nicht zuletzt, um immer mehr Menschen die kräfteraubende Angst vor einem Wohnungsverlust zu nehmen und ihnen die erfolglose Suche nach einer dauerhaften Bleibe zu ersparen.
MieterEcho 397 / August 2018