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WOHNUNGSPOLITIK – Ist der Abbau unaufhaltsam?

Soziale Wohnraumförderung in Deutschland

Von Stefan Kofner

 

Der soziale Wohnungsbau führt in Deutschland nach Jahrzehnten der Vernachlässigung nur noch ein Schattendasein. Er ist aber das einzige Instrument, das im Kampf gegen die immer mehr um sich greifende Wohnungsnot Erfolg verspricht. Dabei geht es nicht nur um mehr Geld. Ein „back to the roots“ bei der Ausgestaltung der Förderung ist erforderlich, damit die Fehler der Vergangenheit sich nicht wiederholen.


Die im internationalen Vergleich hervorstechendsten Eigenschaften des deutschen Wohnungssystems sind:

- der Aufbau eines großen Mietwohnungsbestands durch eine Kombination aus Regulierung und hohen, insbesondere steuerlichen Wohnungsbausubventionen in der Vergangenheit

als Gegenstück dazu eine äußerst niedrige Wohneigentumsquote (43% bundesweit, Berlin 15%)

- die ausgeprägte Wohnformneutralität der Wohnungsbauförderung in Verbindung mit einer seit 10 Jahren nur noch sehr geringen Subventionsintensität

- die lediglich temporäre Subventionierung des sozialen Wohnungsbaus    

- der sehr große private Vermietungssektor, der 80% des Mietwohnungsbestands und 44% des gesamten Wohnungsmarkts entspricht (Berlin: 72% bzw. 60%)

- der sehr kleine soziale Wohnungssektor: entspricht 6% des Mietwohnungsbestands und 3,3% des gesamten Wohnungsmarkts (Berlin: 8% bzw. 6%)

Der private Sektor ist in Deutschland also 13 Mal so groß wie der soziale Sektor. Da Deutschland außerdem eine sehr niedrige Wohneigentumsquote aufweist, ist ein sehr großer Teil der Haushalte im Hinblick auf seine Wohnverhältnisse ziemlich direkt und ungefiltert den volatilen Marktkräften ausgesetzt. Das gilt in besonderem Maß für die Berliner Bevölkerung.

 

Ungebremster Abstieg des sozialen Wohnungsbaus

Die Eigentümer des deutschen Sozialwohnungsbestands sind ganz überwiegend gewinnorientierte Unternehmen aus dem öffentlichen und dem privaten Sektor. In Berlin kontrolliert der private Sektor inzwischen 70% aller Sozialwohnungen. Auch von den meisten kommunalen Wohnungsunternehmen wird erwartet, dass sie Gewinne erzielen und ausschütten. In Berlin haben die 6 städtischen Unternehmen zusammen ihre Mieten seit 2007 stärker gesteigert als die 3 großen börsennotierten Wohnungsunternehmen in ihren Berliner Beständen.

Der soziale Wohnungsbau befindet sich  deutschlandweit inmitten eines Schrumpfungsprozesses. Wir hatten einmal über 4 Millionen sozial gebundene Mietwohnungen und seit 1950 wurden 10 Millionen Wohnungen gefördert. Fast jede vierte deutsche Wohnung war oder ist eine Sozialwohnung. Aktuell gibt  es in Deutschland aber nur noch knapp 1,4 Millionen Sozialmietwohnungen plus einer hohen sechsstelligen Zahl an laufenden Eigentumsmaßnahmen. Die ständig abnehmende Bedeutung des sozialen Wohnungsbaus ist zum einen dem ständigen Abbau der Subventionen und zum anderen dem temporären Charakter der Subventionierung zu verdanken. Die Bindungsdauern sind im Lauf der Jahre immer kürzer geworden. Als Folge übersteigt die Zahl der Sozialwohnungen, die aus der Bindung fallen, seit Jahrzehnten die Zahl der jährlich neugeschaffenen Sozialwohnungen deutlich.

Der soziale Mietwohnungsbestand ist sehr ungleichmäßig auf die einzelnen Bundesländer verteilt. Die Sozialwohnungsquote (gemessen am Anteil an den bewohnten Mietwohnungen 2011) bewegt sich zwischen 1,2% (Saarland) und 13,3% (Brandenburg). Besonders niedrig ist der Anteil an Sozialwohnungen außerdem in den ostdeutschen Bundesländern (Ausnahmen: Brandenburg, Berlin) sowie in Niedersachsen, Bremen, Bayern und Baden-Württemberg. Die niedrigen Quoten im Osten sind darauf zurückzuführen, dass in den neuen Ländern nur wenige Jahre eine intensive Förderung betrieben wurde und die Förderprogramme überwiegend nur kurze Bindungsfristen vorgesehen hatten. In Baden-Württemberg hat die Schwerpunktbildung bei den Eigentumsmaßnahmen eine wesentliche Rolle gespielt. Berlin kam im Jahr 2011 mit knapp 150.000 Sozialmietwohnungen noch auf eine Sozialwohnungsquote von etwa 10%, wobei sich bereits ein großer Teil dieser Wohnungen in den Händen kapitalmarktorientierter Vermieter befand. 2016 gab es in Berlin nur noch 117.000 Sozialwohnungen. Seit 1988 sind zwei Drittel der Berliner Sozialwohnungen verlorengegangen. Die Bewilligungsstatistik schließt Eigentumsmaßnahmen ebenso mit ein wie geförderte Modernisierungen, die den Wohnungsmarkt nicht entlasten. Die absolute Zahl der neu errichteten Sozialmietwohnungen stagniert seit 2008 zwischen 10.000 und 15.000 Einheiten im Jahr – für ganz Deutschland. Es werden immer noch viel mehr Modernisierungsmaßnahmen gefördert und dies auch in Brennpunkten des Wohnungsbedarfs wie Berlin und Hamburg. Von den 51.000 im Jahr 2015 in Deutschland bewilligten Sozialwohnungen waren nicht mal ein Drittel neu gebaute Mietwohnungen. Die Neubauquote unter den Bewilligungen liegt schon lange Zeit sehr niedrig (seit 2006 durchweg unter 40%, seit 2013 etwa bei einem Drittel).

In Berlin entsprach die Zahl der neugeschaffenen Sozialwohnungen im Jahr 2015 nur 0,6% der bewohnten Mietwohnungen (Hamburg: 0,9%). Der Anteil der Neubaumaßnahmen ergibt im Fall Berlins nur als Promilleangabe Sinn, denn es wurden fast 8 Mal mehr Bestandsmaßnahmen gefördert. Im Zeitraum 2007 bis 2012 wurden in Berlin gar keine Neubaumaßnahmen gefördert und ein großer Teil der Berliner Sozialwohnungen ist bekanntlich an Finanzinvestoren verkauft worden. Es hat hier also nicht nur ein weitgehender Ausverkauf stattgefunden, sondern der Senat hat sich auch bis jetzt als unfähig erwiesen, das Ruder wieder herumzuwerfen – trotz des sprunghaften Anstiegs des Außenwanderungssaldos ab 2011. Berlin ist insoweit ein exemplarischer Fall, der den dringenden und grundsätzlichen Reformbedarf der sozialen Wohnraumförderung verdeutlicht.

Als Folge der Privatisierung vieler ehemals werksgebundener und öffentlicher Wohnungsunternehmen zwischen 1997 und 2008 hat sich der Anteil der „privaten Sozialvermieter“ wesentlich erhöht. Nur etwa rund 40% der Sozialwohnungen werden heute noch von genossenschaftlichen und kommunalen Wohnungsunternehmen gehalten. Von börsennotierten Wohnungsunternehmen werden 20% kontrolliert und die restlichen 40% von Privatpersonen und freien Wohnungsunternehmen. Diese Strukturen reflektieren die Marktnähe des deutschen Systems der sozialen Wohnraumförderung.

 

Förderung ‚light‘ statt sozialer Wohnungsbau

Schon seit langer Zeit besteht ein grobes Missverhältnis zwischen der Zahl der Wohnberechtigten und der Zahl der verfügbaren Sozialwohnungen. Das ist auch eine Folge der seit Jahrzehnten anhaltenden Gewichtverschiebung von der Objektförderung (Subventionierung der Wohnraumherstellung, z. B. durch zinsverbilligte Darlehen) zur Subjektförderung (Subventionierung der Mietzahlungsfähigkeit, z. B. durch Wohngeld). Neuerdings lassen sich unter dem Druck der Wohnungsmarktverhältnisse zarte Ansätze für eine politische Akzentverschiebung beobachten. Die Bundesmittel für die soziale Wohnraumförderung wurden in zwei Schritten von 518,2 Millionen auf 1.518,2 Millionen Euro pro Jahr erhöht. Die Mittelverteilung trägt den unterschiedlichen regionalen Bedarfssituationen in den Bundesländern aber nach wie vor nicht Rechnung. Davon abgesehen fließen die Bundesmittel nur noch bis 2019. Ab dem Jahr 2020 stehen den Ländern zusätzliche Umsatzsteuermittel zur Verfügung. Ob die Länder ihrer „politischen Pflicht“ zum Bau von neuen Sozialwohnungen ohne Zweckbindung in ausreichendem Maß nachkommen werden, darf bezweifelt werden. Die Wohnungsbauprogramme der Wiederaufbauzeit zielten auf eine effektive Milderung der allgemeinen Wohnungsnot ab. Erst später wurden die Programme auf bestimmte Zielgruppen ausgerichtet und ihr Anteil an den gesamten Wohnungsfertigstellungen begann zu fallen. Diese Transformation setzte bereits Mitte der 60er Jahre nach der Überwindung der großen Wohnungsnot ein. Die moderne soziale Wohnraumförderung ist schlank, kosteneffizient und dezentral.    

 

Sozialwohnungen als existentielle Frage für angespannte Märkte

Die deutsche Wohnungspolitik ist derzeit mit einer ständig wachsenden Zahl an angespannten Wohnungsmärkten konfrontiert (z. B. Hamburg, München und Frankfurt mit marktaktiven Leerstandsquoten von 0,2 bis 0,6%). Auch immer mehr mittelgroße Städte sind von den fallenden Wohnungsleerständen betroffen. Im bundesweiten Durchschnitt ist der Leerstand bereits 9 Jahre in Folge gefallen und die Quote liegt mittlerweile bei 3% (Stand: Ende 2015).

Die Angebotsmieten (Neuverträge) sind im Zeitraum 2011 bis 2016 in den kreisfreien Städten deutlich schneller gestiegen als im Landesdurchschnitt. In mehr als der Hälfte aller deutschen Städte und Landkreise steigen die Angebotsmieten aktuell um mehr als 4% im Jahr und in 22% liegt die Zuwachsrate bereits über  6%. In Berlin sind die Angebotsmieten für Wohnungen 2016 um 5,6% auf 9 Euro/m² und Monat gestiegen und der Anteil möblierter Mietwohnungsangebote hat deutlich zugenommen. Kein Wunder, dass die Erschwinglichkeit der Mieten sich in den letzten Jahren vielerorts deutlich verschlechtert hat. Das betrifft zunächst besonders die Neuvertragsmieten (z. B. in Dresden, Leipzig und Essen). Da die Bestandsmieten mit einer gewissen Verzögerung folgen, ist das Ergebnis vielerorts und besonders auch in Berlin eine sich immer weiter verschärfende Marktspaltung. Vor diesem Hintergrund kann von einer Revitalisierung der sozialen Wohnraumförderung ein Beitrag zur Förderung wichtiger wohnungspolitischer Ziele erwartet werden:

- Entspannung angespannter Wohnungsmärkte,

- Dämpfung des Mietpreisanstiegs,

- gezielte Versorgung benachteiligter Bevölkerungsschichten mit bezahlbarem Wohnraum.

Die immer wieder genannten Alternativen zur sozialen Wohnraumförderung sind in Wirklichkeit keine:

- Allgemeine Subventionen für den Mietwohnungsneubau (z. B. in der Form von Abschreibungserleichterungen), die zu Mitnahmeeffekten führen und mangelnder räumlicher und zielgruppenbezogener Treffsicherheit unterliegen;

- Ankauf von Belegungsrechten, die am teuersten sind, wenn sie am dringendsten gebraucht werden und keine angebotsausweitende Wirkung entfalten;

- Subjektbezogene Wohnbeihilfen, deren Erhöhungen an angespannten Wohnungsmärkten in erster Linie zu steigenden Mieten führen.


Grundsätzlich ist es in der derzeitigen Situation angemessen, die Bundes- und Landesmittel für den sozialen Wohnungsbau deutlich zu erhöhen und für eine räumlich gezieltere Verteilung zu sorgen. Eine Steigerung der jährlichen Fertigstellungsleistung an Sozialmietwohnungen um das 10-fache auf 150.000 Wohnungen im Jahr wäre geeignet, um einen spürbaren Beitrag zu der dringend erforderlichen Entlastung der besonders angespannten räumlichen Teilmärkte zu leisten. Die Bundesmittel für die soziale Wohnraumförderung sollten auf 4,5 Milliarden Euro pro Jahr verdreifacht werden und eine strenge Zweckbindung sollte auch über 2019 hinaus gewährleistet sein.

 

Wie es besser geht: Nur nachhaltige Förderung wirkt dauerhaft

Die bleibenden Resultate der sozialen Wohnraumförderung sind nicht beeindruckend. Über Jahrzehnte sind enorme öffentliche Mittel in den Sektor gepumpt worden, aber heute, wo sich viele Wohnungsmärkte in einem zunehmend angespannten Zustand befinden, kann die Wohnungspolitik nur über einen sehr kleinen sozial gebundenen Bestand verfügen, der sich zudem überwiegend in den Händen gewinnorientierter Vermieter befindet. Diese Situation ist hauptsächlich auf folgende Einflussfaktoren zurückzuführen:

- die temporäre Natur der Subventionierung, die immer wieder Ersatzbedarfe generiert und damit auch die Kosten der Förderung immer weiter nach oben treibt;

- die deutliche Verkürzung der Bindungsdauern, die bereits Mitte der 60er Jahre einsetzte;

- den sukzessiven  Abbau der Subventionen des Bundes;

- das ungenügende Engagement der Länder;

- die starke Betonung der  Wohneigentumsförderung unter den Förderzielen;

- den „Beutecharakter“ eines großen sozialen Mietwohnungsbestands aus der Sicht von Privatisierungsbefürwortern. Die soziale Wohnungsbauförderung der Zukunft sollte daher auf den nachhaltigen Wiederaufbau eines angemessenen sozial gebundenen Wohnungsbestands abzielen. Das erfordert im Einzelnen:

1. eine klare Schwerpunktbildung bei der Förderung von Neubaumaßnahmen,

2. sehr lange (im Zweifel ewig währende) Bindungen mittels der Vergabe von tilgungsfreien Festdarlehen,

3. Bauträgerschaft in erster Linie durch kommunale Wohnungsgesellschaften und Wohnungsgenossenschaften,

4. institutionelle Absicherung der Unverkäuflichkeit der Sozialwohnungen im Eigentum dieser Träger sowie der Unternehmen selbst.

Um die spezifischen Probleme angespannter Wohnungsmärkte mit dem Instrument der sozialen Wohnraumförderung zu adressieren, empfiehlt es sich im Besonderen:

- einen Schwerpunkt bei der Förderung von Mietwohnraum zu bilden (weniger Wohneigentumsförderung),

- verbilligtes Wohnbauland für die geförderten Projekte einzusetzen,

- sich kosteneffizienter Bauweisen zu bedienen,    

- die Anstiegsdynamik der Sozialmieten durch eng gefaßte Obergrenzen für die Herstellungskosten pro m2 und die Orientierung an einer zu reformierenden Kostenmiete nachhaltig zu begrenzen,

- die individuelle Belastung der Sozialmieter/innen durch eine strikte Orientierung der Förderprogramme an den Einkommensverhältnissen der Mieter/innen im Rahmen zu halten (20% Mietbelastung gemessen an der Nettokaltmiete als Richtlinie, ggf. Differenzierung nach Einkommensklassen),

- sozial gemischte Bevölkerungsstrukturen durch eine kleinräumige Verteilung der Sozialwohnungen zu bewahren,

- durch planungsrechtliche Gestaltungen einen bestimmten Anteil an Sozialwohnungen bei Neubauprojekten zu erzwingen (nach dem Vorbild der sozialgerechten Bodennutzung in München).Um sicher zu stellen, dass die Sozialmieten auch an den Brennpunkten des Wohnungsbedarfs erschwinglich bleiben, müssen die Städte in der Lage sein, die Baulandpreise  bzw. Grundstückskosten direkt zu beeinflussen. Das kann in erster Linie durch die konditionierte Bereitstellung von Wohnbauflächen (Konzeptvergabe) erreicht werden. Der Schlüssel ist eine vorausschauende Bodenvorratspolitik, die die anfallenden Planungsgewinne sozialisiert und erschwingliches Wohnbauland für zielgruppenorientierte Neubaumaßnahmen zur Verfügung stellt. Die Städte müssen frühzeitig und vorausschauend Entwicklungsflächen auf der Basis von politischen Entscheidungen ankaufen, um effektiv Einfluss auf die Grundstückskosten beim Neubau von Sozialwohnungen nehmen zu können.

 

Prof. Dr. rer. pol. Stefan Kofner ist Professor für Wohnungs- und Immobilienwirtschaft an der Hochschule Zittau/Görlitz. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören der private Vermietungssektor und speziell die Auswirkungen des Verkaufs öffentlicher und ehemals werksverbundener Wohnungsunternehmen, die Verbesserung der Wohnraumversorgung benachteiligter Bevölkerungsschichten sowie die Finanzialisierung der unternehmerischen Wohnungswirtschaft. Er ist unter anderem Corporate Member of the Chartered Institute of Housing (MCIH) und Mitglied des Koordinationskomitees des European Network for Housing Research.


Schlüsselbegriffe: soziale Wohnraumförderung, sozialer Wohnungsbau, Wohnungsnot, Wohnungsbauförderung, Privatisierung, Objektförderung, Subjektförderung, Neuvertragsmieten, Bestandsmieten, Subventionen, Mietwohnungsneubau, kommunale Wohnungsgesellschaften, Kostenmiete