Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 386 / Februar 2017

Wohnraumbedarf unbekannt?

Neuer Senat verdrängt die eigenen Forschungsergebnisse

Von Sebastian Gerhardt                                                    

 

Vor zwei Jahren erreichte ein ziemlich dickes Buch eines Ökonomen unerwartete hohe Verkaufszahlen: „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ des Franzosen Thomas Piketty. Das Buch wie die Debatte drumherum hat viel zur Aufklärung über die wachsende Ungleichheit im modernen Kapitalismus beigetragen. Das lag vor allem daran, dass Piketty nicht nur Theorien und Bewertungen vortrug, sondern gründlich an der Darstellung der tatsächlichen Lage gearbeitet hat: Wer ist arm? Wer ist reich? Wem gehört was und wie viel? So geht Aufklärung. Der letzte Satz seines Buchs gehört ins Poesiealbum aller aufmerksamen Zeitgenossen: „Von den Zahlen nichts wissen zu wollen, dient selten der Sache der Ärmsten. “                                                      

 

Die Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen, Katrin Lompscher (Die Linke), sieht das ein wenig anders, wenn sie behauptet, dass die Zahl der benötigten Wohnungen unklar sei und es „keine Erkenntnisse dazu gebe, wie groß der Leerstand wirklich ist“. Der Koalitionsvertrag legt fest: Bis zum Jahr 2025 soll es 400.000 Wohnungen im Bestand der sieben Berliner öffentlichen Wohnungsunternehmen geben. Schon in den nächsten 5 Jahren sollen 55.000 Wohnungen zum öffentlichen Bestand hinzukommen, davon etwa 30.000 durch Neubau. Das klingt nach Wachstum. Nur zeigt der Vergleich mit den Vorhaben des Vorgängers Andreas Geisel (SPD): Daran ist nichts neu. Und ein Vergleich mit der Berliner Realität zeigt: Als Antwort auf den Wohnungsmangel sind diese Pläne völlig unzureichend. Um das zu wissen, muss man nicht der laufenden Berichterstattung im MieterEcho vertrauen. Man muss auch nicht auf den „Stadtentwicklungsplan Wohnen 2030“ warten, den der neue Senat ausarbeiten will. Es reicht aus, ein Gutachten zu lesen, das der von Katrin Lompscher anfänglich berufene Staatssekretär Andrej Holm im Mai 2016 im Auftrag der Fraktion Die Linke im Abgeordnetenhaus vorgelegt hat: „Sozialer Wohnraumversorgungsbedarf in Berlin“.                                     

 

Deutlich mehr Haushalte als Wohnungen        

Darin untersucht Holm erstens die Wohnversorgungsquote, also wie viele Wohnungen für wie viele Haushalte vorhanden sind. Sein Ergebnis: Im Jahr 2000 entfielen auf 1,82 Millionen Haushalte insgesamt 1,86 Millionen Wohnungen, Wohnversorgungsquote 102%. 2007 waren es 1,94 Millionen Haushalte und 1,89 Millionen Wohnungen, Wohnversorgungsquote nur noch 97%. In einigen Bezirken überstieg die Nachfrage bereits deutlich das Angebot. 2014 gab es für inzwischen 1,96 Millionen Haushalte nur 1,86 Millionen Wohnungen, Wohnversorgungsquote 94,4%. Der Wohnungsmangel hat sich auf alle Berliner Bezirke ausgeweitet. Soviel zum Thema „Leerstand“. Bereits Ende 2014 fehlten etwa 100.000 Wohnungen. Da ist der neuere Zuzug nach Berlin noch gar nicht eingerechnet. Nur für die Geflüchteten, die etwa zwei Jahre nach ihrer Ankunft tatsächlich auf dem Wohnungsmarkt ankommen werden, schätzt Holm den Bedarf auf etwa 25.000 Wohnungen.  In der Studie beschreibt Holm weiterhin die Folgen des engen Wohnungsmarkts für Sozialleistungsbeziehende, welche die „angemessenen“ Unterkunftskosten nach der AV Wohnen nicht überschreiten dürfen. Für 1-Personen-Haushalte beziffert er das rechnerische Defizit auf 55.000 Wohnungen mit „angemessenen“ Mieten. Schließlich geht es um „leistbare“ – also erschwingliche – Mieten für Geringverdienende. Als leistbar gelten Mieten, die maximal 30% des Haushaltsnettoeinkommens betragen. Holm kommt zum Ergebnis, dass das Defizit leistbarer Wohnungen in Berlin mehr als 130.000 Wohnungen beträgt. Die Fakten liegen also auf dem Tisch. Warum Katrin Lompscher trotzdem so tut, als sei der Umfang des Wohnungsmangels in Berlin unbekannt, ist kein Geheimnis. Die Linke hat sich in Berlin schon vor einiger Zeit in vorauseilender Koalitionsdisziplin aus der Diskussion um den kommunalen Wohnungsbau verabschiedet (MieterEcho Nr. 373/ März 2015). Deshalb kann sie die unzureichende SPD-Politik heute bruchlos fortsetzen.  

 

 Download der Studie: http://www.linksfraktion-berlin.de/fileadmin/linksfraktion/download/2016/Bericht_Wohnraumversorgungsbedarf_Berlin_Holm_2016.pdf

 

 


MieterEcho 386 / Februar 2017

Schlüsselbegriffe: Katrin Lompscher, öffentliche Wohnungsunternehmen, Wohnungsmarkt, Andrej Holm, Sozialer Wohnraumversorgungsbedarf, Berlin, Gutachten, Wohnungsmangel

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