Logo Berliner Mietergemeinschaft e.V.
MieterEcho 392 / Dezember 2017

„Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt“

Interview mit Hans Joachim Scholz vom Mieterbeirat „Anton-Saefkow“ aus Lichtenberg

MieterEcho: Sie waren schon zu DDR-Zeiten mit Mieterfragen befasst?


Hans Joachim Scholz: Ja, als Parteigenosse bekam ich den Auftrag, mich im Wohngebiet zu engagieren. Da ich damals Sportler und Schiedsrichter war und so ein Gerechtigkeitsgefühl hatte, bot es sich an, in den Wohnbezirksausschuss (WBA) zu gehen. Da kamen viele Probleme aus dem Wohngebiet zusammen, bei denen man vermitteln musste. Und man konnte, zumindest im Einzelfall, durchaus etwas bewirken.


Wie sah denn die Arbeit im WBA aus?


Zum einen organisierte der WBA Arbeitseinsätze im Wohnumfeld, zu denen die Mieter/innen aufgerufen waren. Da ging es um Reinigungsarbeiten, Sperrmüllentsorgung und solche Sachen. Zum anderen vermittelte der WBA bei Nachbarschaftskonflikten und organisierte das soziale Zusammenleben im Wohngebiet. Und er hatte natürlich die Aufgabe, bei Problemen der Mieter/innen mit der kommunalen Wohnungsverwaltung (KWV) tätig zu werden. Da ging es etwa um Fragen der Miethöhe und Instandhaltung. In solchen Fällen wurde dann der Vermieter zur Stellungnahme hinzugezogen und nach einer Lösung gesucht. Da musste man manchmal schon etwas kreativ und trickreich sein. Der WBA bestand aus zehn Personen und zwei Nachrücker/innen. Die Wahl wurde vom Bezirk ausgerufen. Das Ganze hatte schon etwas von einem demokratischen Mäntelchen, war aber besser als nichts. Wir waren als Mieter/innen zufrieden, dass wir diesen, wenn auch begrenzten, Einfluss hatten.


Was änderte sich für die Mieter/innen nach der Wende?


In der Wendezeit ging erst einmal alles drunter und drüber und es war sehr konfus. Allerdings zeigte sich schnell, wohin die Reise für die Mieter/innen gehen sollte. Hervorzuheben ist hier das Altschuldenhilfe-Gesetz. Laut Einigungsvertrag sollte das zur Wohnungsversorgung genutzte volkseigene Vermögen mit gleichzeitiger Übernahme der darauf lastenden Schulden in das Eigentum der Kommunen übergehen. Die sogenannten Altschulden waren aber eigentlich gar keine echten Schulden, sondern Buchkredite der Staatsbank der DDR. Es handelte sich also um in der DDR erwirtschaftetes Vermögen, mit dem der Wohnungsbau finanziert wurde. Nachdem die Staatsbank aufgelöst und die Bestände der volkseigenen KWVen in privatrechtlich organisierte städtische Wohnungsbaugesellschaften überführt worden waren, lasteten diese Verbindlichkeiten nun auf den neuen Gesellschaften. Um eine Teilentlastung aus dem Erblastentilgungsfonds zu erhalten, mussten sich die Wohnungsunternehmen verpflichten, mindestens 15% ihrer Bestände zu verkaufen. Das war eine riesige Privatisierungsorgie, die viele „Miethaie“ auf den Plan rief. Auch meine eigene Wohnung wurde verkauft, an einen Investor aus Bayern. Westdeutsches Fluchtkapital habe ich das immer genannt. Und damit begannen dann die Probleme.


Wie konnten Sie dem neuen Eigentümer entgegentreten?


Unseren alten WBA gab es ja nicht mehr und wir fragten uns, was wir tun sollten. Ich redete mit meinem Nachbarn und der hatte eine Idee: Wir machen eine Mieterinitiative! Er hatte irgendwo gelesen, dass es so etwas andernorts schon gab. Also zogen wir los und holten uns aus jedem der betroffenen Häuser in der Straße jemanden ran. Die Leute kannten wir noch aus dem WBA, der hatte ja überall seine Verantwortlichen, die für die einzelnen Aufgänge zuständig waren, sitzen. Das Ziel war es, geschlossen gegenüber dem Investor auftreten, um mit ihm verhandeln zu können. Der Investor lud dann zu einer Veranstaltung ein, um über anstehende Modernisierungsmaßnahmen zu informieren. Wir sind dort hingegangen und es kam zum ersten Eklat. Wer wir seien, fragte er. Er kenne keine Mieterinitiative und wir seien auch nicht eingeladen. Einer der Nachbarn, der damals auch Bezirksverordneter war, drohte ihm, die Bezirkspolitik gegen ihn aufzubringen. Seitdem waren wir als Gesprächspartner anerkannt. Wir konnten einiges bewirken, vor allem bei der Verhinderung von unnötigen Modernisierungen. Da musste man teilweise ganz schön tricksen, um sich nicht ins Bockshorn jagen zu lassen. Aber das ist ja heute nicht anders. Als dann die ersten Mieterhöhungen kamen, waren sie dennoch happig. Teilweise 40% und mehr wollte er haben.


Wie kam es, dass Sie dann Mitglied eines Mieterbeirats wurden?


Ich war in der Zwischenzeit umgezogen. Weg von dem Bayern, hin zur Wohnungsbaugesellschaft Lichtenberg. Da ich früher immer einen guten Draht zur alten KWV hatte, streckte ich meine Fühler auch in der neuen Wohnungsbaugesellschaft aus und stieß dort durchaus auf offene Türen. Bisher hatten wir als Mieterinitiative informell gearbeitet. Dann standen plötzlich die Wahlen von Mieterbeiräten an, wie es sie auch bei den städtischen Wohnungsbaugesellschaften im Westen gab. Also habe ich wieder die alten Aktiven zusammengetrommelt, die ich aus dem WBA und der Mieterinitiative kannte. Wir haben kandidiert und sind auch alle gewählt worden. So entstand unser Mieterbeirat „Anton Saefkow“. Er gehört heute zur Howoge, die die Wohnungsbaugesellschaft Lichtenberg 1997 übernommen hatte und ist zuständig für die Bestände des Kundenzentrums am Fennpfuhl.


Klappte es nun besser mit dem Vermieter?


Eigentlich ja. Wir waren beim Vermieter gut angesehen und kamen auch persönlich mit den Mitarbeiter/innen und den Chefs gut zurecht. Das Problem war aber, dass die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften nun zur Melkkuh für den Senat wurden. Die hohen Abführungen an den Berliner Landeshaushalt mussten sie natürlich über die Mieten reinholen. Insofern hatten wir auch hier viel zu tun, vor allem was Mieterhöhungen anging. Die waren oft nicht ganz sauber, nach dem Motto: Wo kein Kläger ist, ist auch kein Richter. Umgekehrt wurde vieles, was Kosten für den Vermieter verursacht oder seinen Gewinn schmälert, erst einmal abzuweisen versucht. Man musste schon viel Kraft aufwenden, um zu seinem Recht zu kommen. Vor allem die Mieter/innen im Osten waren das nicht gewohnt.


Aber diese Probleme hatten die Mieter/innen im Westen auch.


Ja, aber der Umgang war ein anderer. Im Westen kannte man die Marktwirtschaft, man wusste, wie man mit Geld umgehen muss und hatte immer geschaut, wo man sparen kann. Und man war es eher gewohnt, dass man sich im Einzelfall selbst für etwas einsetzen muss. Im Osten mussten wir in dieser Hinsicht den Leuten das Gehen erst wieder beibringen. Ich muss heute sagen, wir haben in der DDR die Leute zur Unselbständigkeit erzogen. Ob bewusst oder unbewusst, das lasse ich mal offen. Man brauchte in der DDR keine Probleme zu lösen, es gab immer andere, die sich darum gekümmert haben, in der Partei war es der Parteisekretär, im Betrieb der Vorsitzende der Betriebsgewerkschaftsleitung. Die Devise, was die da oben machen, wird schon richtig sein, funktioniert aber heute nicht mehr. Dieses Obrigkeitsdenken muss man ablegen und sich selbst aufraffen. Man kriegt das aber schwer aus den Köpfen raus. Vor allem bei den Alten ist das immer noch drin. Und viele Junge sagen wiederum, ich habe genug Geld, ich kann mir das leisten. Und beide merken nicht, dass sie zu viel Miete zahlen.

Ein anderes Problem ist, dass auch der sorgsame Umgang mit Ressourcen in der DDR wenig bekannt war. Nicht nur die Miete, auch die Nebenkosten waren ja verdammt billig. Da guckten sich einige um, gerade was Betriebs- und Heizkosten anging. Da traf noch nicht einmal den Vermieter die Schuld.


Nach welchen Grundsätzen arbeitet der Mieterbeirat heute?


Ich sage immer: Wir handeln nicht gegen die Howoge, sondern für die Interessen der Mieter/innen. Wenn die Howoge etwas gegen die Interessen der Mieter/innen macht, dann scheuen wir die Konfrontation nicht. Von uns aus suchen wir sie aber nicht. Das ist unser Prinzip, bis heute. Man muss eben manchmal Druck machen und sich wehren, mit den Mitteln, die man hat. Das ist das wichtigste, was ich nach 1989 gelernt habe: Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt.


Vielen Dank für das Gespräch.


Das Interview führte Philipp Mattern.

Hans Joachim Scholz war berufstätig als Chemiker und ist heute Rentner. Er war Mitglied der SED und aktiv im Wohnbezirksausschuss (WBA) in Lichtenberg, wo er bis heute lebt. In den 90er Jahren war er aktives Mitglied der Berliner MieterGemeinschaft und gehörte zu den Gründungsmitgliedern des Mieterbeirats „Anton Saefkow“, in dem er heute noch tätig ist.

Weitere Infos: www.mieterbeirat-fennpfuhl.de


MieterEcho 392 / Dezember 2017

Schlüsselbegriffe: Hans Joachim Scholz, Mieterbeirat „Anton-Saefkow“, Lichtenberg, Wohnbezirksausschuss, WBA, kommunalen Wohnungsverwaltung, KWV, DDR, städtische Wohnungsbaugesellschaften, Modernisierungen, Mieterhöhungen