Mietpreisbremse versagt
Mieten steigen weiter und von den wenigen angebotenen Wohnungen sind immer mehr möbliert
Von Rainer Balcerowiak
Der Berliner Wohnungsmarkt war auch 2016 von dramatischen Mietsprüngen geprägt. Laut dem Ende Januar vorgestellten „Wohnmarktreport 2017“ des Immobilienfinanzierers BerlinHyp und des Weltmarktführers für Immobiliendienstleistungen CBRE stiegen die Angebotsmieten im vergangenen Jahr um 5,6 % auf einen Mittelwert von 9 Euro/qm nettokalt. Bei Neubauten sind es 12 Euro/qm. 2015 hatte die Steigerungsrate lediglich 2,3% betragen.
Bei den Zahlen handelt es sich nicht um Durchschnitts- sondern um Medianwerte. Das heißt, jeweils 50% der Objekte liegen darunter oder darüber. Für den Wohnungsmarktreport wurden 83.000 Mietangebote ausgewertet. Laut Schätzungen werden somit 55 bis 60% der gesamten Fluktua-tion auf dem Wohnungsmarkt abgebildet.Verantwortlich für diese deutschlandweit einmalige Dynamik ist laut BerlinHyp-Vorstand Gero Bergmann vor allem die rasante Bevölkerungsentwicklung bei gleichzeitig unzureichender Neubautätigkeit. So wuchs die Einwohnerzahl zwischen 2005 und 2015 um 270.000 Menschen, im gleichen Zeitraum wurden aber lediglich 73.000 Wohnungen gebaut. Dem im Vergleich zu anderen Großstädten überproportionalen Anstieg der Angebotsmieten steht in Berlin eine geringere Kaufkraft gegenüber. Diese ist in München 42,5% höher als in Berlin, in Frankfurt a.M. 23,7% und in Hamburg 18,6%. Der Branche ist das egal. Man sehe aufgrund der großen Anziehungskraft Berlins „nach wie vor Luft nach oben“, so der Deutschland-Chef von CBRE, Henrik Baumunk. Angesichts der im nationalen und europäischen Vergleich immer noch moderaten Miet- und Kaufpreise, den aufgrund der Nullzinspolitik günstigen Finanzierungsmöglichkeiten und der „politischen Instabilität in vielen EU-Ländern“ bleibe Berlin für viele Investoren eine „heiße Adresse“. Da die Preise für Eigentumswohnungen und Mehrfamilienhäuser mit 9,6 bzw. 15,7% erneut deutlich stärker als die Mieten gestiegen sind, ist absehbar, dass die Mieten weiter rasant steigen werden. Allerdings ist die immer weiter auseinander klaffende Schere zwischen Kaufpreisen und Mietentwicklung auch ein Indiz für eine drohende „Blasenbildung“. Als „gesund“ gelten bei Mehrfamilienhäusern allgemein Kaufpreise, die das 12- bis 14-fache der Jahresnettokaltmiete betragen. Gezahlt wird in begehrten Lagen aber oft das 20-fache und auch deutlich mehr. Zwar sind die Mieterhöhungspotenziale besonders durch energetische Modernisierung enorm und auch die Umwandlung in Eigentumswohnungen bietet nach wie vor große Renditechancen, da der Run auf „Betongold“ angesichts der anhaltenden Niedrigzinspolitik ungebrochen ist. Doch wenn die Wertsteigerungsspirale abflacht, wie es in einigen Bezirken bereits zu beobachten ist, kann es ein böses Erwachen geben. Und das nicht nur für die Investoren, sondern auch für Mieter/innen. Denn bei Zwangsversteigerungen von Eigentumswohnungen entfällt der allgemein gültige zehnjährige Schutz vor Eigenbedarfskündigungen.
Die Entwicklung der Median-Angebotsmieten verläuft in Berlin laut Bericht wie bereits in den vergangenen Jahren nicht einheitlich. Die höchsten Steigerungen weisen 2016 die Bezirke Neukölln und Marzahn-Hellersdorf mit 17,1 bzw. 10,2% auf. Am Ende der Liste stehen Tempelhof-Schöneberg und Charlottenburg-Wilmersdorf mit 3,6 bzw. 2,7%. Am teuersten wohnt man in Friedrichshain-Kreuzberg und Mitte, vergleichsweise günstig dagegen in Marzahn-Hellersdorf und Spandau. Auch innerhalb der Bezirke gibt es deutliche Unterschiede. Unter den fünf Quartieren mit den höchsten Anstiegen befinden sich drei in Nord-Neukölln. Spitzenreiter ist der Richardplatz mit 32,4%. Dagegen scheint in einigen hochpreisigen Lagen in Prenzlauer Berg und in Friedrichshain-Kreuzberg „ein gewisser Sättigungsgrad“ erreicht zu sein, so Bergmann. Vergleichsweise wenig Einfluss auf die Angebotsmieten haben laut Report Instrumente wie die Mietpreisbremse und der Milieuschutz.
Möblierte Vermietung nimmt berlinweit drastisch zu
Immer mehr Vermieter bieten ihre Wohnungen möbliert an, natürlich mit entsprechenden Aufschlägen. Üblich sind 3 bis 3,50 Euro/qm auf die eigentlich zulässige Kaltmiete, bei kleineren Apartments mitunter deutlich mehr. Theoretisch kann das den Tatbestand des Mietwuchers erfüllen. Tatsächlich aber müssen Mieter/innen vor Gericht nachweisen, dass beim Abschluss des Vertrags „eine Zwangslage, Unerfahrenheit, der Mangel an Urteilsvermögen oder eine erhebliche Willensschwäche“ ausgenutzt wurde und/oder kein angemessener Ersatzwohnraum zur Verfügung stand. Andernfalls gilt jede vereinbarte Miete als zulässig. Damit auch die Mieten bei „Medici Livin“, dem nach eigenen Angaben größten professionellen WG-Anbieter Deutschlands. In Berlin hat das Unternehmen mittlerweile ein breites Angebot von oftmals recht einfach möblierten, sehr kleinen Zimmer in 4- bis 5-Zimmer-Wohnungen mit gemeinschaftlicher Nutzung von Küche und Bad. Für Zimmer von 10 bis 13 qm werden Inklusivmieten von 430 bis 470 Euro verlangt, bei 24 qm knapp 600 Euro.
Es liegt auf der Hand, dass die möblierte Vermietung eines der Instrumente der Vermieter ist, die Mietpreisbremse bei Neuvermietungen auszuhebeln und das Zweckentfremdungsverbot zu umgehen, das nur bei tage- oder wochenweiser Vermietung greift. Die Zahlen machen deutlich, dass es sich keineswegs um ein Randproblem handelt. Im vergangenen Jahr wurden laut Report berlinweit 27,4% aller erfassten Wohnungen möbliert angeboten, Spitzenreiter waren die Bezirke Mitte und Charlottenburg-Wilmersdorf mit 38,1 und 37,4%, Schlusslichter sind Marzahn-Hellersdorf und Spandau mit 8,1 bzw. 11,7%. Zwar gab es derartige Angebote schon immer, weil Studierende und temporär in Berlin beschäftigte Menschen Wohnen auf Zeit und Zimmer in Wohngemeinschaften oder zur Untermiete nachfragen. Aber die Steigerungsrate macht deutlich, dass längst auch herkömmliche Wohnungssuchende in derartige Wohnungen gedrängt werden. Rechnet man befristete Angebote und WG-Zimmer heraus, stieg der Anteil möblierter Wohnungen zwischen 2013 und 2016 von 2,2 auf 5,2%. Der Boom betrifft beileibe nicht nur die beliebten Szenebezirke und kleinere Wohnungen. In Charlottenburg-Wilmersdorf beispielsweise beträgt der Anteil der möblierten Wohnungen an allen Mietwohnungsangeboten 37,6%.
Senat zuckt mit den Schultern
Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen hat sich laut Sprecherin Petra Rohland mit dieser Entwicklung noch nicht beschäftigt. Man habe „derzeit ganz andere Baustellen“, so Rohland. Außerdem sei diese Angelegenheit auch nicht Bestandteil der Koalitionsvereinbarung. Die deutlich gestiegenen Zahlen seien nach ihrer Einschätzung kein Anlass zur Beunruhigung. In einer Stadt wie Berlin bestünde nun mal starke Nachfrage nach temporären Wohnformen. Außerdem gebe es Zuzügler, „die den Aufpreis für eine eingebaute Designerküche gerne zahlen“. Jedenfalls sei „in absehbarer Zeit nicht damit zu rechnen“, dass die Senatsverwaltung in dieser Frage aktiv werde. Im besonders betroffenen Charlottenburg-Wilmersdorf nimmt die Bezirksverwaltung die Zahlen zwar zur Kenntnis, sieht aber keine Möglichkeit, regulierend einzugreifen. „Wir können da gar nichts machen“, erklärte eine Sprecherin der Abteilung Bürgerdienste, Wirtschafts- und Ordnungsangelegenheiten auf Anfrage. Zwar könne sie sich vorstellen, dass vormalige Betreiber von ohnehin möblierten und nunmehr illegalen Ferienwohnungen auf diese Weise überhöhte Mieten erzielen wollen, doch die Zweckentfremdungsverbotsverordnung biete keine Handhabe, um dagegen vorzugehen. Da sei der Senat gefragt.
Ähnlich reagierte auch Ephraim Gothe (SPD), der für Stadtentwicklung zuständige Stadtrat in Berlin-Mitte. Immerhin kündigte er an, das Thema auf der nächsten Konferenz der Stadträte der Berliner Bezirke zur Sprache zu bringen. Doch von den Bezirksverwaltungen ist derzeit in dieser Angelegenheit wenig zu erwarten. Die für Zweckentfremdung zuständigen Stellen sind nach wie vor vollauf damit beschäftigt, die „normalen“ Zweckentfremdungen zu bearbeiten, und haben keine Ressourcen, möglichen Umgehungstatbeständen in Form von befristeten möblierten Vermietungen nachzugehen. Umso unverständlicher ist es, dass offenbar auch der rot-rot-grüne Senat die Hände in den Schoß legen will. Das Mindeste wäre eine Bundesratsinitiative zur Regulierung der möblierten Vermietung. Dies müsste vor allem die Einbeziehung von Möblierungen in den Mietspiegel anhand von Ausstattungsmerkmalen betreffen.
MieterEcho 387 / April 2017
Schlüsselbegriffe: Berliner Wohnungsmarkt 2016, Median-Angebotsmieten, Niedrigzinspolitik, Blasenbildung, energetische Modernisierung, Umwandlung, Eigentumswohnungen, Eigenbedarfskündigungen, möblierte Vermietung, Zweckentfremdungsverbot, Mietpreisbremse