Mehr Prinzip Hoffnung als tatkräftiges Anpacken
Obwohl Wohnungspolitik im Wahlkampf eine große Rolle spielte,
fehlen in der Koalitionsvereinbarung durchgreifende Ansätze
Von Rainer Balcerowiak
Die Wahlkampfschlachten sind geschlagen, die Tinte unter dem Koalitionsvertrag ist getrocknet und die neuen Senatoren und Staatssekretäre haben ihre Amtsräume bezogen. Berlin behält mit Michael Müller (SPD) zwar seinen bisherigen Regierenden Bürgermeister, doch statt mit der CDU regiert die SPD künftig mit den Parteien Bündnis90/Die Grünen und Die Linke.
Die Wohnungspolitik hat im Wahlkampf eine gewichtige Rolle gespielt. Die Parteien des sich bereits frühzeitig abzeichnenden Regierungsbündnisses versprachen mehr oder weniger durchgreifende Maßnahmen gegen die dramatische Wohnungsknappheit und die Verdrängung einkommensschwächerer Mieter/innen aus innerstädtischen Quartieren. Bereits die Vorgängerregierung hatte nach langen Jahren der wohnungspolitischen Untätigkeit erste Schritte in Richtung eines verstärkten Neubaus von Wohnungen unternommen und einige Regularien zur Mietpreisdämpfung auf den Weg gebracht.
In der Koalitionsvereinbarung nimmt die Wohnungspolitik viel Raum ein. In der Präambel heißt es: „Wohnen ist für uns ein Grundrecht. Wir erkennen die innerstädtischen Verdrängungsprozesse als Herausforderung und wissen um die Sorgen der Menschen, sich im prosperierenden Berlin ihre Wohnungen nicht mehr leisten zu können. Ein Schwerpunkt der rot-rot-grünen Koalition ist deshalb die Sicherung und die zusätzliche Schaffung von bezahlbaren Wohnungen. Diese wichtige Aufgabe werden primär unsere landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften, aber auch Genossenschaften und innovative Wohnprojekte leisten. Private Bauvorhaben müssen zukünftig eine höhere Sozialrendite durch Schaffung von neuen bezahlbaren Wohnungen, Kita- und Schulplätzen sowie Grünflächen als Ausgleich für zusätzliche Versiegelung leisten.“
Liegenschaftspolitik und Baulandentwicklung
Das zeigt die Schwerpunkte an. Der Bestand der städtischen Gesellschaften soll in den kommenden Jahren um 55.000 Wohneinheiten auf rund 360.000 erweitert werden, davon 30.000 durch Neubau und 25.000 durch Ankauf, vor allem aus den Beständen des alten sozialen Wohnungsbaus, der peu à peu aus der bestehenden Mietpreisbindung fallen wird. Der Schlüssel für den Wohnungsneubau soll eine neue Liegenschaftspolitik sein, durch die mehr Direktvergaben von im öffentlichen Besitz befindlichen Baugrundstücken realisiert werden können. Derartige Vergaben soll es aber auch an Genossenschaften, Baugruppen und andere „gemeinwohlorientierte Nutzergruppen“ geben, unter anderem durch eine „kleinteilige Parzellierung von Flächen, transparente Verfahren und Konzeptvergaben in Erbbaurecht“, um einen „niederschwelligen Zugang zu Liegenschaften“ zu ermöglichen. Allerdings bleibt im Dunkeln, in welchen Größenordnungen städtisches Bauland besonders in den Innenstadtbezirken überhaupt noch zur Verfügung steht, da die Vorgängerregierungen alles getan haben, dieses an private Investoren zu verramschen.
Auch der private Wohnungsbau soll angekurbelt werden, wobei in Bebauungsplanverfahren und Vereinbarungen zur kooperativen Baulandentwicklung höhere Anteile für „bezahlbare Wohnungen“ und geschützte Segmente für Transferleistungsbeziehende verankert werden sollen. Dafür stehen auch entsprechende Mittel zur Verfügung. Ab 2018 sollen auf diese Weise bis zu 5.000 neue Wohnungen pro Jahr gefördert und anschließend im unteren Preissegment angeboten werden. Allerdings werden die Fördermittel bereits jetzt nicht ausgeschöpft, da viele private Bauherren angesichts der derzeit extrem niedrigen Kapitalkosten überhaupt kein Interesse daran haben, Fördermittel in Anspruch zu nehmen, die ihre Gestaltungsfreiheit bei der Vermarktung und Vermietung der Wohnungen einschränken.
Was es nicht geben wird, ist allerdings klar: Kommunalen Wohnungsbau in unmittelbarer Trägerschaft des Landes, wie er beispielsweise seit Jahrzehnten erfolgreich in Wien praktiziert wird, und wie ihn zuletzt in Berlin die rot-grüne Koalition aus SPD und Alternativer Liste (AL) angestrebt, aber nicht realisiert hat.
Inwieweit diese angesichts des rasanten Bevölkerungswachstums ohnehin nur mäßig ambitionierten Neubauziele realistisch sind, lässt sich dem Koalitionsvertrag allerdings nicht entnehmen. Verwiesen wird auf die bereits ausgewiesenen elf Planungsgebiete für bis zu 37.000 Wohnungen und die Fortschreibung des Stadtentwicklungsplans zur Ermittlung der Wohnungsbaupotenzialflächen. Dazu kommen „behutsame Nachverdichtungen“, Aufstockungen und Umwidmungen im Flächennutzungsplan, die in der Koalitionsvereinbarung aber nicht näher quantifiziert werden. Andere Optionen, wie beispielsweise der Ankauf von nicht mehr benötigten Bahnflächen und deren Erschließung für den Wohnungsbau sollen „geprüft“ werden – eine jener berüchtigten Polit-Floskeln, die wenig Hoffnung auf Realisierung machen.
Dass ausgerechnet das zwölfte und größte Planungsgebiet, die Elisabeth-Aue in Pankow mit 5.000 geplanten Wohnungen, auf Betreiben der Grünen und der Linken ersatzlos gestrichen wurde, gibt einen kleinen Vorgeschmack auf das, was die Stadt in der Neubaufrage zu erwarten hat. Grüne und Linke haben sich als Opposition in der vergangenen Legislaturperiode vor allem als Neubauverhinderungsparteien profiliert. Der erfolgreiche Volksentscheid für das Verbot jeglicher Randbebauung des ehemaligen Flughafens Tempelhof erwies sich als Fanal gegen Neubau, das bis heute nachwirkt. Im Koalitionsvertrag wird auch ausdrücklich betont, dass eine Bebauung des Tempelhofer Felds auch künftig ausgeschlossen bleiben soll.
Partizipation bei Bauvorhaben verstärken
Für künftige Bauvorhaben werden generell erweiterte Bürgerbeteiligungsmöglichkeiten in Aussicht gestellt. In der Koalitionsvereinbarung heißt es dazu: „Die Koalition misst der politischen Partizipation der Bürger*innen große Bedeutung zu. Deshalb stärkt die Koalition die Möglichkeiten der direkten Demokratie. Zudem wird sie neue Formen der Bürger*innenbeteiligung und neue Formate der Kommunikation des Senats mit der Bürger*innengesellschaft nutzen.“ Besonders erwähnt werden die Beteiligung „an der Planung von Infrastrukturprojekten, die Evaluierung der Möglichkeiten der direkten Einflussnahme der Berliner*innen auf Landes- und Bezirksebene durch Elemente der direkten Demokratie oder die Sicherung der Mitverantwortung der Einwohner*innen bei der Gestaltung der Stadtquartiere“. Zur Umsetzung wird auch die Änderung des Gesetzes zur Ausführung des Baugesetzbuchs (AGBauGB) geprüft. Öffentliche Unternehmen und Träger sollen bei Bauvorhaben zu einer „angemessenen Bürger*innenbeteiligung“ verpflichtet werden.
Wer die Auseinandersetzungen um Bauprojekte in den vergangenen Monaten und Jahren verfolgt hat, ahnt, was diese Zielvorstellungen für Konsequenzen haben können. So manche Nachverdichtung, Lückenschließung und Brachflächennutzung könnte auf diesem Weg von „Kiezschützern“ zumindest beträchtlich verzögert werden, von möglichen Bürgerbegehren und -entscheiden gegen einzelne Projekte ganz zu schweigen. Wie der Spagat zwischen der notwendigen Forcierung der Neubautätigkeit und kiezegoistischen Interessen bewältigt werden soll, ist der Koalitionsvereinbarung jedenfalls nicht zu entnehmen. Ob der Senat in dieser Konstellation künftig seine Durchgriffsrechte auf Bauvorhaben von gesamtstädtischer Bedeutung – und das betrifft angesichts der Lage auf dem Wohnungsmarkt eigentlich jedes Vorhaben – überhaupt noch wahrnehmen kann und will, bleibt jedenfalls abzuwarten.
Bei aller Kritik und allen Zweifeln lässt sich dennoch festhalten, dass die Pläne der Koalition für die Mietengestaltung in den städtischen Wohnungsbaugesellschaften und für den deutlichen Ausbau des wenigstens temporär mietpreisgebundenen Segments bei Neubauten öffentlicher und privater Träger für viele Mieter/innen eine Verbesserung bedeuten würden. So werden Mieterhöhungen bei den landeseigenen Wohnungsunternehmen auf 2% pro Jahr begrenzt und Modernisierungsumlagen auf 6%. Auch die angepeilten Lösungen für die Bestände des alten sozialen Wohnungsbaus, in denen nach Wegfall der Bindung enorme Mietsteigerungen drohen, könnten für viele Betroffene Erleichterungen bringen.
Wohnungsämter für mehr Mieterschutz?
Eher blumig und wenig praxistauglich wird es im Koalitionsvertrag allerdings, wenn es um jene große Mehrheit der Berliner Mieter/innen in Bestandswohnungen geht, deren Wohnungen sich in Privatbesitz befinden. Im Koalitionsvertrag heißt es dazu: „Die Koalition wird den Mieter*innen- und Wohnraumschutz ausbauen, um zu verhindern, dass Menschen aus ihrem vertrauten Wohnumfeld wegziehen müssen oder keinen angemessenen Wohnraum finden. Es soll in jedem Bezirk ein Wohnungsamt geben. Für den Vollzug werden in den Bezirken ausreichend Stellen zur Verfügung gestellt.“ Zwar sind eine Reorganisation der Wohnungsämter und deren personelle Aufstockung tatsächlich absolut dringlich. Schleierhaft bleibt allerdings, was diese Institutionen denn gegen Verdrängung durch Mietsteigerungen bewirken könnten, wenn schlicht die Wohnungen fehlen, um Betroffene zu versorgen. Auch zur Zweckentfremdung finden sich ein paar Sätze. Das Zweckentfremdungsverbot soll „verschärft“ und „in Bezug auf Abriss und angemessenen Ersatzwohnraum, Leerstand, Trägerwohnungen, Zweitwohnungen, Urlaubsvermietung, Sanktionen und Monitoring überarbeitet werden“. Konkreter wird es nicht.
Im nächsten Abschnitt geht es um den Schutz „vor den Folgen von lmmobilienspekulation, Luxussanierung und Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen“. Dafür will man „stadtweit die Ausweisung von Sozialen Erhaltungsgebieten“ fördern. Auch dies ist kaum als Paukenschlag gegen Spekulation und Verdrängung zu werten. Zwar wird in der Koalitionsvereinbarung ausdrücklich auf die Unterbindung der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen in Erhaltungsgebieten hingewiesen, doch der zugrunde liegende § 172 Baugesetzbuch öffnet mehrere Schlupflöcher, die durch Erhaltungssatzungen nicht geschlossen werden können. So muss die Umwandlungsgenehmigung erteilt werden, wenn sich der Hauseigentümer verpflichtet, die Wohnungen in den kommenden sieben Jahren ausschließlich an die Mieter/innen zu veräußern. Auch bei der Vererbung von Häusern oder bei bereits vor Erlass der Erhaltungssatzung im Grundbuch vermerkten Ansprüchen auf Teileigentum in den betreffenden Häusern greift das Umwandlungsverbot nicht.
Wenig Hoffnung auf Wende bei Verdrängungsdruck
Angekündigt wird ferner, das Vorkaufsrecht für Häuser in Erhaltungsgebieten verstärkt wahrzunehmen. Davon abgesehen, dass es auch dabei zahlreiche rechtliche Tricks gibt, dies zu verhindern (beispielsweise durch Insolvenzen oder durch Aufteilung in Eigentümergemeinschaften), bleibt im Koalitionsvertrag offen, in welcher Größenordnung Mittel für die Ausübung des Vorkaufsrechts bereitgestellt werden.
Was den Verdrängungsschutz für Menschen betrifft, die aufgrund ihrer materiellen Lage faktisch keine Chancen auf dem freien Wohnungsmarkt haben, setzt die Koalition auf das Prinzip Hoffnung. Zitat: „Das Geschützte Marktsegment wird ausgeweitet, indem mehr private Vermieter dafür gewonnen werden.“ Angesichts der derzeitigen Nachfrage ist das wohl wenig mehr als ein frommer Wunsch.
Auch die Passagen zum Verdrängungsdruck durch energetische Modernisierungen sind eher wohlklingende Allgemeinplätze mit zweifelhafter rechtlicher Grundlage. Dort heißt es: „Sanierungs- und Energieeffizienzmaßnahmen dürfen nicht dazu führen, dass aufgrund hoher Mietsteigerungen Mieter*innen verdrängt werden. Die Koalition erarbeitet ein Handlungskonzept für die soziale und ökologische Ertüchtigung des Wohnungsbestands. Hierfür werden Quartiere nach besonderem Städtebaurecht definiert und als deren Gebietsentwicklungsziel auch die energetische Sanierung bei Warmmietenneutralität bestimmt. Bei Bedarf soll ein Sozialplan erstellt werden.“
Der Rest ist Hoffnung auf andere Mehrheitsverhältnisse im Bundestag und im Bundesrat, wo der neue Senat einige Initiativen anstrebt. Diese betreffen unter anderem die Ausgestaltung der Mietpreisbremse. Gefordert wird für Neuverträge eine obligatorische Auskunft über die bisherige Miethöhe. Auch die Forderungen zur Neugewichtung des Mietspiegels unter Berücksichtigung aller Bestandsmieten und zur Senkung von Modernisierungsumlagen sind eher alte Hüte. Und dass in Erhaltungsgebieten flächendeckend gebietsspezifische Mietspiegel eingesetzt werden sollen, um Verdrängungen nach Modernisierungen zu verhindern, ist zwar zu begrüßen, scheitert derzeit aber an der Gesetzeslage und den darauf fußenden höchstinstanzlichen Urteilen.
Eine herbe Enttäuschung ist für viele Aktivengruppen der künftige Umgang mit Zwangsräumungen, denn aus dem Koalitionsvertrag geht eindeutig hervor, dass es diese auch weiterhin geben wird. Angekündigt wird lediglich, dass „zur Prävention von Wohnungsverlusten und Räumungen Kooperationen sowohl verwaltungsintern als auch mit der Wohnungswirtschaft und freien Trägern der Wohlfahrtspflege“ aufgebaut und ein „Informationssystem“ der Bezirke und der Amtsgerichte geschaffen werden sollen. Offensichtlich weiß man in Koalitionskreisen, dass das nicht ausreichen wird, denn „als Grundlage für alle Planungen und Maßnahmen“ soll auch eine Räumungsstatistik erstellt werden. Die durchaus vorhandenen Möglichkeiten der Beschlagnahme von Wohnungen zur Vermeidung von Obdachlosigkeit sollen offenbar nicht intensiv genutzt werden.
Generell gilt für Koalitionsverträge, dass sich ihre Werthaltigkeit erst in der politischen Umsetzung erweist. Doch bereits die Koalitionsvereinbarung selbst macht wenig Hoffnung auf eine „Wende“ in der Berliner Wohnungspolitik. Sie schreibt einige wohlfahrtsstaatliche Ansätze fort, bedient einige spezifische Klientele der beteiligten Parteien, strotzt vor Ungereimtheiten und Widersprüchlichkeiten und bietet auch jede Menge heiße Luft und weiße Salbe. Was sie nicht enthält, ist ein konsequenter Ansatz, der Markt- und Verwertungslogik auf dem Wohnungsmarkt entgegenzutreten. Das war allerdings angesichts der beteiligten Akteure und ihrer bisherigen Praxis auch nicht zu erwarten.
MieterEcho 386 / Februar 2017
Schlüsselbegriffe: Wohnungspolitik, Wahlkampf, Koalitionsvertrag, Neubau, landeseigene Wohnungsbaugesellschaften, Mietpreisbindung, Liegenschaften, Bevölkerungswachstum, Sozialen Erhaltungsgebiete, Verdrängung