Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 386 / Februar 2017

Luxuslofts statt selbstorganisierter Projekte

Das dänische Immobilienunternehmen Taekker will die Lausitzer Straße 10/11
in Kreuzberg für 19,4 Millionen Euro verkaufen

Von Jutta Blume                                      

 

Die Lausitzer Straße 10 ist eine Art Institution in Kreuzberg. Zur Straße hin ein Wohnhaus, hinter dem sich ein Fabrikgebäude der Jahrhundertwende mit mehreren Höfen verbirgt. Wo ehemals Kartons, Metall und Glas hergestellt wurde, sind seit 20 Jahren zahlreiche linke Vereine und Initiativen angesiedelt, wie etwa das Antifaschistische Pressearchiv Apabiz, das Bildarchiv Umbruch, die Filmkollektive Autofocus und Leftvision sowie die kritischen Stadtforscher/innen von Metrozones. Über die Jahre ist dort ein wichtiger Ort der politischen Arbeit und Vernetzung entstanden. Doch der Hauseigentümer Taekker will den Gebäudekomplex Lausitzer Straße 10/11 für 19,4 Millionen Euro verkaufen.      

 

Nach dem Verkauf wird es in der Lausitzer Straße 10 keinen Raum mehr für unkommerzielle Projekte geben. Als die ersten Projekte dort einzogen, befand sich das Fabrikgebäude im Besitz des Landes Berlin. Der Bezirk selbst wollte den Initiativen eine Perspektive im Kiez bieten. Doch 2006 verkaufte das Land Berlin an Taekker und stellte seine Mieter/innen damit vor eine ungewisse Zukunft. Auch wenn es zunächst noch zehn Jahre mehr oder weniger gut ging. „Im Sommer 2015 gab es eine Welle von Vertragskündigungen, verbunden mit dem Angebot, zu einem höheren Mietpreis neue Verträge abzuschließen. Alle diese Verträge waren befristet bis zum Sommer 2017. Damals sind wir schon stutzig geworden“, berichtet Peter Fuhs* von der Videowerkstatt Autofocus. Nach seinen Plänen befragt, behauptete Hauseigentümer Taekker seinerzeit, er wolle die Immobilie halten. Doch im Dezember 2016 begannen im Gebäude Begehungen von Maklern und potenziellen Investoren. Im Exposé des Maklerbüros Engel & Völkers wird der Gebäudekomplex unter anderem damit angepriesen, dass eine Wohn-Baugenehmigung für den Loftkomplex und alle Dachgeschosse vorliege. „Insgesamt sind 20 Wohneinheiten unterschiedlicher Größe geplant“, ist weiterhin zu lesen. Die Lausitzer Straße 10 verfügt über eine Gesamtnutzfläche von über 5.000 qm, 500 davon sind bestehende Wohnungen im Vorderhaus – die geplanten Lofts werden also nicht gerade klein ausfallen. Die vorliegende Genehmigung zur Umwandlung in Wohnungen ist ein nicht unwichtiges Detail, denn im Sommer 2015 beschloss die BVV Friedrichshain-Kreuzberg, dass Gewerbeflächen in Milieuschutzgebieten nicht mehr so einfach in Wohnungen umgewandelt werden dürfen (MieterEcho Nr. 376/ September 2015). Denn der Ausbau ehemaliger Fabriketagen zu Luxuslofts verdrängt nicht nur das Gewerbe aus dem Kiez, er treibt auch den Mietspiegel in die Höhe und trägt damit zur Verdrängung von Mieter/innen bei. Rechtliche Möglichkeiten zur Umsetzung des BVV-Beschlusses werden weiterhin geprüft.                                    

 

Luxuslofts und Start-ups sorgen für Verdrängung            

Verdrängung von alteingesessenem Gewerbe durch Umwandlung in Luxuslofts ist die eine Seite, die andere die Ansiedlung von neuen Arbeitsmodellen. Zuerst kamen die Coworking-Spaces, in denen einfach ein Schreibtisch gemietet werden kann. Nun entstehen unternehmensdominierte Varianten der geteilten Arbeitsräume, wie die Factory Berlin, in der sich Start-ups um eine Mitgliedschaft bewerben können, oder der geplante Google-Campus im Umspannwerk an der Ohlauer Straße/ Ecke Paul-Lincke-Ufer in Kreuzberg. Kürzlich mussten die Gewerbemieter/innen der Lohmühlenstraße 65 in Treptow ihre Räume verlassen. Gekauft hat die JoLo Berlin Liegenschafts GmbH, mittlerweile umgewandelt in die L65 Grundbesitz GmbH, die vermutlich in Zusammenhang mit der Factory Berlin steht (MieterEcho Nr. 385/ Dezember 2016). Hier traf es kleine Selbstständige wie Übersetzer/innen und Physiotherapeut/innen. Die Lausitzer Straße 10 ist ein weiterer, besonders emblematischer Fall, doch die Verdrängung von Gewerbemieter/innen entwickelt sich in einigen Bezirken schon seit Längerem zum Problem. In Kreuzberg seien die Gewerbemieten in den letzten drei Jahren um 34% gestiegen, schreibt die Abgeordnete Katrin Schmidberger (Bündnis 90/ Die Grünen) und lägen nun bei 14,30 Euro/qm. Das führt zur Verdrängung von sozialer und kultureller Infrastruktur, denn Kitas, Vereine und soziale Projekte nutzen vielfach Gewerberäume. Ein Antrag von Bündnis 90/ Die Grünen zum Schutz von Gewerbemieter/innen fand im Mai keine Zustimmung im Abgeordnetenhaus. Darin ging es unter anderem um eine Verbesserung des Kündigungsschutzes für Gewerbemieter/innen und eine Ausweitung des Milieuschutzes auf Gewerbe und soziale Infrastruktur. Erste Opfer der Verdrängung gibt es in der Lausitzer Straße 10 bereits. Da sich Taekker in den letzten zehn Jahren kaum um die Instandhaltung der Immobilie gekümmert hat, fällt die Heizungsanlage in den Fabrik-etagen immer wieder aus. Die Ausbildungswerkstatt des Christlichen Jugenddorfwerks Deutschland e.V., die sich im 1. und 2. Stock befand, hat deswegen schon vor einigen Jahren andere Räume gesucht. Nun verlässt auch das Projekt „Flucht nach vorn“ bis Ende März das Gebäude, auch wenn bislang kein Ersatz gefunden wurde. Der Auslöser, den Vertrag nicht zu verlängern, bestand für das Projekt aus der Kombination des schlechten Zustands der Räume und der letzten Mieterhöhung, meint Fuhs. „Flucht nach vorn“ bietet Deutsch- und Mathematikkurse für minderjährige unbegleitete Geflüchtete an. Die Kurse sind komplett ausgelastet, es wäre daher fatal, wenn sie aufgrund von Raummangel plötzlich wegfallen würden. Die anderen Projekte sind jedoch entschlossen zu bleiben, auch wenn sie rechtlich kaum eine Handhabe haben. „Die neuen Investoren werden mit dem Haus ein Problem haben. Keiner wird das Gebäude kampflos aufgeben“, prognostiziert Fuhs. „Es ist nicht so, dass wir uns hier naiv ausgeruht hätten. Wir sind schon einige Zeit im Haus vernetzt“, ergänzt die Gewerbemieterin Nenuschka Niptzowa. So gründeten die Mieter/innen nach Bekanntwerden der Verkaufspläne schnell den Hausverein „Lause bleibt“ und führen Hausversammlungen durch. Auch mit stadtpolitischen Kämpfen und medialer Arbeit kennt man sich im Haus bestens aus. Eins der Themenfelder der Videowerkstatt Autofocus war von Anfang an Stadtpolitik, das Filmkollektiv Leftvision produziert unter anderem Dokumentationen zum Thema Zwangsräumungen. „Die Mobilisierung gegen die Zwangsräumung von Familie Gülbol in der Lausitzer Straße 8 wurde hier angeschoben“, berichtet Kollektivmitglied Arthur Roth. Um potenzielle Käufer einzustimmen, ziert eine Fotoausstellung über Mieterproteste seit Kurzem das Treppenhaus.                           

 

Marode Wohnungen in der Lausitzer Straße 11            

Nicht ganz so akut bedroht sind die Wohnungsmieter/innen im Vorderhaus und in der Lausitzer Straße 11, denn sie verfügen über unbefristete Mietverträge. „Wir sind sieben Mietparteien, manche Leute wohnen dort schon über 45 Jahre“, berichtet Anja Baer*. „Das Haus befindet sich in einem katastrophalen Zustand. Taekker hat in den letzten vier Jahren nie irgendetwas gemacht.“ Es gibt noch Außentoiletten und Kohleöfen und die Fenster verfügen lediglich über Einfachverglasung. Zum Teil haben sich die Bewohner/innen selbst Gas-etagenheizungen eingebaut. Ausziehen will trotz des einfachen Standards niemand, denn die Mieten sind günstig und manche haben viel Arbeit in ihre Wohnungen gesteckt. Baer rechnet nicht damit, dass die Mieter/innen eine Modernisierung überstehen würden. Die Berichte der Mieter/innen und der Zustand des Hauses zeigen: Taekker macht, wenn er seine Preisvorstellungen erzielt, einen gewaltigen Spekulationsgewinn. Es ist davon auszugehen, dass das Gebäude 2006 für rund 2,5 Millionen Euro erworben wurde. Das ist zumindest die Zahl, die als Anlagevermögen in der Unternehmensbilanz der Lausitzer Straße 10 Grundbesitz GmbH im Jahr des Erwerbs auftaucht. Taekker hat für die meisten seiner Häuser eine eigene Grundstücksgesellschaft. Das mindert nicht nur die Gefahr einer Gesamtinsolvenz, sondern ermöglicht auch, die Immobilien im sogenannten Share Deal zu veräußern, wie bei der Lausitzer Straße 10/11 vorgesehen. Das bedeutet, dass der Käufer formal nicht die Immobilie kauft, sondern die Grundstücksgesellschaft erwirbt – in der Regel zunächst einen Anteil von maximal 94,9%. In diesem Fall ist nämlich keine Grunderwerbssteuer zu zahlen. Die Mieter/innen fordern hingegen ein sofortiges Verkaufsmoratorium für das Gebäude und Verhandlungen mit Taekker.  

 

Bei Immobilienverkäufen wird zwischen Asset Deals und Share Deals unterschieden. Der direkte Erwerb einer Immobilie wird auch als Asset Deal bezeichnet und unterliegt der Grunderwerbsteuer (in Berlin 6% des Kaufpreises). Bei einem Share Deal kauft der Erwerber formal nicht die Immobilie, sondern erwirbt die Grundstücksgesellschaft. Wenn bei einem solchen Erwerb zunächst weniger als 95% der Anteile der Grundstücksgesellschaft gekauft werden und die restlichen mehr als 5% erst nach mehr als fünf Jahren, ist der Immobilienkauf von der Grunderwerbsteuer befreit. Diese grunderwerbsteuerfreien Share Deals stellen ein Steuerschlupfloch dar – mit enormen Einnahmeausfällen für die öffentliche Hand.

 

Weitere Informationen:
www.lausebleibt.de
www.facebook.com/Lausebleibt/


MieterEcho 386 / Februar 2017

Schlüsselbegriffe: Luxuslofts, Taekker, Lausitzer Straße 10/11, Fabrikgebäude, Vertragskündigungen, Umwandlung, Apabiz, Bildarchiv Umbruch, Autofocus, Leftvision, Metrozones, Milieuschutz, Gewerbe

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