Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 389 / Juli 2017

Kunstmäzen sorgt für Verdrängung

Die Immobilienfirma des Milliardärs und Kunstfreunds Nicolas Berggruen wirft
Kulturschaffende raus, auch sein Mitgesellschafter Samuel Czarny ist nicht zimperlich

Von Ralf Hutter                                        

 

Es ist einer der Erfolge des mietenpolitischen Aktivismus, der Anfang des Jahres im östlichen Kreuzberg aufflammte: Der Buchladen Kisch & Co in der Oranienstraße darf bleiben. Doch „die Kuh ist noch nicht vom Eis“ , wie Frank Martens bei der dritten „Kiezversammlung“ im Mai dieses Jahres im Konzertsaal SO36 die Lage bewertete. Martens ist Mitbetreiber des Buchladens. Der ist nun nach einer Protestkampagne für drei Jahre gesichert – vorher gab es 5-Jahres-Verträge. Die Betreiber bleiben misstrauisch, denn die Firma Nicolas Berggruen Immobilien GmbH, der das Haus gehört, macht auf sie nicht den Eindruck, als werde sie sich langfristig mit der Situation zufrieden geben.  

 

Die fünf Menschen, die im Buchladen arbeiten, standen kurz vorm Ende, nachdem sie im Januar die Mitteilung erhielten, der Ende Mai auslaufende Vertrag werde nicht erneuert. Die GmbH hatte vorher eine Mieterhöhung von rund 16% auf 20 Euro/m² verlangt, Kisch & Co bot aber nur eine Erhöhung auf 18 Euro/m² an. Daraufhin kam die Absage. Nach kurzer Zeit wurde bekannt, dass ein Brillenladen einen Mietvertrag über die Räumlichkeiten abgeschlossen hatte. Die Eigentümer verteidigten ihr Vorgehen im März auf Anfrage so: „Obwohl wir seit Jahren regelmäßig von Maklern auf die wirtschaftlich deutlich höhere Vermietbarkeit des Ladens angesprochen wurden, haben wir der Buchhandlung Kisch & Co ein faires Angebot zur Verlängerung des Mietvertrags bis zum 31. Juli 2022 vorgelegt.“ Daraufhin habe der Buchladen „ausführlich“ erklärt, „dass Umsatzrückgänge im Buchhandel, angestiegener Wettbewerb und die Konkurrenz durch neu hinzugekommene Buchhandlungen in der Umgebung, Gentrifizierung und Touristisierung in der Oranienstraße, sowie die gesetzliche Preisbindung von Büchern ihm leider keine Möglichkeit bieten, auf unser faires Angebot einzugehen.“ Eine Immobilienfirma, die sich nett vorkommt, weil sie die Mieterhöhung nicht auf die nach eigener Aussage in der Umgebung üblichen 25 bis 35 Euro/m² treibt – das dürfte nicht ungewöhnlich sein. Allerdings gibt sich diese Firma ein anderes Image. In ihrer Selbstdarstellung schreibt sie: „Immobilien sind für uns mehr als nur ein Investment. Architektur, Ästhetik und Kunst interessieren uns ebenso wie der ‚cashflow‘.“ Die „hohe Liquidität“ der Firma mache sie „frei von kurzfristigem Erfolgsdruck“. Teil der Firmenstrategie sei „die effiziente Zusammenarbeit mit den Mietern, nach deren Bedürfnissen maßgeschneiderte Lösungen angemessen umgesetzt werden“.         

 

Berggruen: Umtriebiger Mäzen        

Der Namensgeber der Firma, Nicolas Berggruen, ist zudem Vorsitzender des Förderkreises des Museum Berggruen Berlin e.V.. Die in dem Museum im Stadtteil Charlottenburg ausgestellte berühmte Gemäldesammlung hat sein Vater Heinz Berggruen Berlin vermacht. Der Sohn ist ebenfalls Kunstsammler und sagte 2008 dem Tagesspiegel, er habe bereits als Kind „ganz natürlich, ja selbstverständlich“ mit Kunst gelebt und er bewundere Kunst nun „instinktiv“. Ein halbes Jahr vorher hatte die Berliner Zeitung in einem Artikel über Berggruen resümiert, die Kunst habe ihn stets „fest im Griff“. Auch in wichtigen Museen in Los Angeles, London und New York ist er aktiv. Dem Kreuzberger Künstlerhaus Bethanien stellte Berggruen laut Berliner Zeitung schon mal eine Zeit lang ein Haus mietfrei zur Verfügung. In jungen Jahren, nach Marx- und Anarchismus-Lektüre, wollte der spätere Gründer eines Hedgefonds sogar den Kapitalismus bekämpfen (MieterEcho Nr. 342/ August 2010). Heute hat er eine „wohltätige Stiftung“ und einen „Think Tank“, der „gute Politikgestaltung“ fördern will. Da ist es umso auffälliger, dass der Kunstfreund Nicolas Berggruen nicht nur einen Buchladen (der übrigens auch eine Ecke mit großen Kunstbänden umfasst) beseitigen wollte. Der Maler Reinhard Stangl verlor 2014 nach 30 Jahren sein Atelier in der Oranienstraße 185. Der Gewerbehof liegt fast schräg gegenüber von Kisch & Co und gehört ebenfalls Berggruens Immobilienfirma. Wie Stangl erging es damals noch einer Handvoll anderer Menschen mit Ateliers, berichtet der Maler – und für die habe sogar der Senat im Rahmen eines Förderprogramms einen Teil der Miete übernommen, was eine große Sicherheit für Vermieter bedeutet habe. Die Firma interessierte das offensichtlich nicht. „Wir sind alle rausgeworfen worden“, sagt Stangl. Ein Angebot zur Vertragsverlängerung sei ihnen nicht gemacht worden, als der Mietvertrag auslief. Als er ein paar Monate später an seinem ehemaligen Atelier vorbeikam, habe er durch die Glastür gesehen, dass dort ein Start-up rund 30 vor Computern sitzende Leute in den Raum gepresst habe. Von anderen Mietern im Haus habe er gehört, dass diese Firma 21 Euro/m² zahlte – das Dreifache seiner ehemaligen Miete. Berggruen Immobilien sagte dazu bis Redaktionsschluss trotz zweier schriftlicher Anfragen nichts. Reinhard Stangl hat sein Atelier nach Großbeeren verlegt, wohnt aber noch in einer anderen Ecke Kreuzbergs. „Die Oranienstraße hat sich verändert, die kleinen Läden gehen ein“, ist seine Erfahrung. „Bald gibt es nur noch Kneipen und Döner.“ Der 66-Jährige wundert sich, „dass die Verantwortlichen das erlauben“.                                

 

Czarny: Aktiver Immobilienverwerter    

Wohnungseigentümern ist so einiges erlaubt und Nicolas Berggruens Geschäftspartner Samuel Czarny nutzt das nicht nur aus, sondern geht allem Anschein nach auch mal darüber hinaus. Czarny ist seit 1994 für über ein Dutzend Immobilien- und Vermögensverwaltungsgesellschaften tätig gewesen. 2005 war er Mitgründer der Nicolas Berggruen Immobilien GmbH, die in weniger als zehn Jahren rund 100 Berliner Häuser kaufte. Laut Selbstdarstellung ist er für deren „Tagesgeschäft“ verantwortlich. Czarny hat zudem zum 1. Oktober 2016 mittels des Unternehmens „Czarny & Schiff Taborstraße 4 GbR“, das der Firma den Namen gebende Haus im Kreuzberger Wrangelkiez gekauft. Bereits am 1. November beschwerten sich die rund 20 Mietparteien der Taborstraße 4 in einem Brief an den Bezirk über das „aggressive Verhalten“ des neuen Vermieters. Drohungen, erhöhte Mietforderungen, Rausschmiss des Ingenieurbüros im Ladenlokal und sogar eine nicht genehmigte Modernisierung der beiden Maisonette-Wohnungen im Seitenflügel samt saftigem Aufschlag bei deren Neuvermietung erlebte die Hausgemeinschaft (MieterEcho Nr. 386/ Februar 2017).  In einem Fall in Friedrichshain hat Czarnys Entmietungsdruck gerichtliche Unterstützung erhalten. In der Grünberger Straße hat die Firma „Czarny, Schiff, Süsskind, Rokeach GbR“ jüngst nach langem juristischem Tauziehen einen Mieter aus der Wohnung klagen können. Grund: Die Wohnung war mit Büchern, Zeitungen und anderen Gegenständen dermaßen zugestellt, dass es irgendwann der Hausverwaltung auffiel. Die Kündigungsklage hatte vor dem Amtsgericht keinen Erfolg, da die Richterin bei ihrer Wohnungsbegehung keine Gefährdung von Statik, Hygiene oder Brandschutz gegeben sah. Auf der Grundlage ihres schriftlichen Berichts entschied dann aber die Richterin am Landgericht in der zweiten Instanz gegenteilig. Sie warf dem Mieter, der eine andere Meldeadresse hat, die Zweckentfremdung der Wohnung als Lager vor und las aus dem Bericht ihrer Kollegin heraus, dass der Brandschutz erheblich beeinträchtigt sei. Revision ließ sie nicht zu. Am 2. März kam es zur Räumung (nachdem der erste Termin wegen einer Blockade durch solidarische Menschen gescheitert war). Die 34-Quadratmeter-Wohnung, die an der Ecke zur touristisch geprägten Simon-Dach-Straße liegt, wird zukünftig sicherlich viel mehr Miete als die bisherigen 154 Euro nettokalt abwerfen. Auf die Frage, in welcher Beziehung die „Czarny & Schiff Taborstraße 4 GbR“ und die „Czarny, Schiff, Süsskind, Rokeach GbR“ zur „Nicolas Berggruen Holdings GmbH“ stehen, antwortet letztere, es gebe da „keine Geschäftsbeziehungen“. Ein weiterer Schauplatz für die Vermietungspolitik von Berggruen Immobilien ist bereits bekannt: Einem Restaurant am Lausitzer Platz, ein paar Hundert Meter von Kisch & Co entfernt, hat die Firma eine Mieterhöhung in Aussicht gestellt. Dort stehen die Verhandlungen noch aus. Der Brillenhersteller Ace & Tate, der nach Bekanntwerden der Vorgeschichte Abstand davon nahm, in den Laden von Kisch & Co einzuziehen, musste übrigens für die Vertragsauflösung mit Berggruen eine Entschädigung bezahlen, möchte zu der Höhe aber nicht Stellung nehmen.      

 

 

 


MieterEcho 389 / Juli 2017

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