Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 389 / Juli 2017

Kein Allheilmittel

Kommunales Vorkaufsrecht soll Mieter/innen vor Verdrängung schützen

Von Rainer Balcerowiak                                    

Die nicht mehr ganz neue Berliner Landesregierung und einige Bezirke wollen verstärkt eines der wenigen rechtlichen Instrumente gegen die Verdrängung von Mieter/innen durch spekulative Hausverkäufe nutzen. Denn in Milieuschutzgebieten sieht das Baurecht ein Vorkaufsrecht der Kommune vor. Das Verfahren ist allerdings kompliziert, birgt erhebliche rechtliche Risiken und kostet vor allem viel Geld.            

 

Zwar sieht § 24 Baugesetzbuch ein Vorkaufsrecht vor, koppelt dieses aber an ein nicht näher definiertes „Wohl der Allgemeinheit“ und formuliert zudem zahlreiche Ausschlussgründe. Juristisch umstritten ist vor allem der zugrunde zu legende Kaufpreis, der nach den Vorstellungen vieler Eigentümer deutlich über dem Verkehrswert liegen soll. Außerdem gilt für die Bezirke nach Bekanntwerden eines geplanten Verkaufs eine Frist von nur zwei Monaten, in denen sie dieses Recht wahrnehmen können. Und so gibt es bislang nur sehr wenige Versuche der Anwendung. In Tempelhof-Schöneberg sollte auf diese Weise der Verkauf von drei Häusern der bundeseigenen Liegenschaftsgesellschaft Bima im Karree Katzler-/Großgörschenstraße an einen Investor verhindert werden. Doch das Landgericht Berlin gab dem Einspruch der Bima im März 2017 statt. Die Senatsverwaltung prüft derzeit, ob sie gegen dieses Urteil in Berufung geht. Vollzogen wurde das Vorkaufsrecht dagegen in zwei Kreuzberger Häusern, in der Glogauer Straße 3 und der Wrangelstraße 66, wo allerdings der Rechtsstreit um den zu entrichtenden Kaufpreis noch nicht abgeschlossen ist. Nicht weiter verfolgt wurden dagegen Pläne für den Erwerb der Wrangelstraße 21. Dort sei die Rechtslage „zu kompliziert gewesen“, so die Kreuzberger Abgeordnete und mietenpolitische Sprecherin der Grünen im Abgeordnetenhaus, Katrin Schmidberger, gegenüber dem MieterEcho. Derzeit läuft ein weiteres Verfahren für die Zossener Straße 48, das die Probleme mit diesem Instrument exemplarisch deutlich macht. Denn dem Bezirk fehlt das Geld und Haushaltsmittel des Landes stehen noch nicht zur Verfügung. Zwar wird gemäß den Ankündigungen im Koalitionsvertrag über die Einrichtung eines entsprechenden Fonds debattiert, doch mit der Festlegung einer entsprechenden Summe ist vor den Verhandlungen zum nächsten Haushalt, die im Herbst beginnen werden, nicht zu rechnen. Schmidberger schwebt eine Summe im mittleren zweistelligen Millionenbereich vor. Ohnehin geht es dabei nicht um den tatsächlichen Ankauf von Häusern durch das Land, sondern um eine Art Zwischenfinanzierung für Dritte. Diese Dritten sollen in erster Linie – aber nicht zwingend – städtische Wohnungsbaugesellschaften sein.                          

 

Lange Rechtsstreitigkeiten        

In der Zossener Straße 48 soll das Haus von der Stiftung „Nord-Süd-Brücken“ erworben werden und über einen Verein an die Mieter/innen im Erbbaurecht übertragen werden. Die Stiftung, die vor allem in entwicklungspolitischen Projekten engagiert ist, sieht im Investment nach eigenem Bekunden eine ethisch korrekte Kapitalanlage. Nach Vertragsabschluss bleibt dem Verein, der sich dem Mietshäuser Syndikat angeschlossen hat, ein Jahr Zeit, um durch entsprechende Privat- und Bankdarlehen den Kaufpreis in Höhe von 1,8 Millionen Euro für das Haus aufzubringen und an die Stiftung zurückzuzahlen, die zudem den jährlichen Erbbauzins für das Grundstück kassiert. Als Eigentümer des Hauses soll dann eine GmbH fungieren, die von den Mieter/innen, der Stiftung und dem Mietshäuser Syndikat getragen wird. Die Mieter/innen sollen den Kauf mittel- und langfristig durch entsprechende Aufschläge auf die Miete refinanzieren, genaue Zahlen liegen dazu aber noch nicht vor. Mehr als 8 Euro/m² nettokalt würde es aber für keine/n Mieter/in werden, betont die Vereinssprecherin Yvonne von Langsdorff. Durch entsprechende Verträge sollen ein späterer Verkauf und die Umwandlung in Eigentumswohnungen dauerhaft ausgeschlossen werden. Allerdings hängt das Projekt derzeit in der Schwebe, da der ursprüngliche Eigentümer Widerspruch gegen das geltend gemachte Vorkaufsrecht eingelegt hat und nach dessen Ablehnung voraussichtlich den Klageweg beschreiten wird. Während dieses Verfahren lief, wurde das Haus erneut verkauft, mit einem satten Aufpreis von 800.000 Euro an Finanzinvestoren aus Liechtenstein. Letztendlich werden die Gerichte entscheiden, ob diese Transaktionen Bestand haben. Die Causa Zossener Straße 48 macht noch etwas anderes deutlich. Da die Bezirke und das Land die betroffenen Häuser nicht direkt übernehmen können und wollen, ist keineswegs garantiert, dass auf diese Weise dauerhaft preiswerter Wohnraum gesichert wird, denn bei der Übernahme durch eine GmbH handelt es sich um eine privatwirtschaftliche Konstruktion, die keinerlei politischer Kontrolle unterliegt. Außerdem sind derartige Modelle nur für eine eher betuchte Klientel praktikabel, denn viele Hausgemeinschaften wären kaum in der Lage, Eigen- und Fremdkapital in Höhe von knapp 2 Millionen Euro aufzutreiben, um den Hauskauf finanzieren zu können. Langsdorff macht im Gespräch auch klar, dass es den Mieter/innen in der Zossener Straße 48 nicht um ein „politisches Signal“ gehe. Man sei „weder links noch rechts“ und habe auch grundsätzlich nichts gegen Investoren, wolle sich aber nicht so einfach aus seinem Umfeld vertreiben lassen. Ohnehin sind die Fälle, in denen das Bezirksamt interveniert, nur die Spitze des Eisbergs. Die meisten Hausverkäufe gehen auch in Milieuschutzgebieten relativ reibungslos über die Bühne. Es reicht in der Regel aus, dass die neuen Besitzer eine Abwendungsvereinbarung unterzeichnen, die für 20 Jahre die Umwandlung in Einzeleigentum und kostentreibende Modernisierungen ausschließt. Längere Bindungen seien auf Grundlage des Baurechts nicht möglich, so Schmidberger. Anfang Juni wurde noch ein weiterer Bezirk in Sachen Vorkaufsrecht aktiv. In Neukölln soll die städtische Wohnungsbaugesellschaft Stadt und Land ein Haus mit zwölf Mietparteien in der Liberda-straße 10  im Reuterkiez für einen, wie es heißt, „niedrigen einstelligen Millionenbetrag“ erwerben. Auch in diesem Fall ist möglichweise mit einem langen Rechtsstreit zu rechnen.                 In Pankow gibt es derzeit ein Prüfverfahren für die Danziger Straße 55, die an den börsennotierten Immobilienkonzern Deutsche Wohnen verkauft wurde. Allerdings beträgt der Verkaufspreis 6 Millionen Euro und der Bezirk hat noch keinen Käufer gefunden, für den er das Vorkaufsrecht wahrnehmen könnte.                                    

 

Aushebeln durch überhöhte Kaufpreise                

Klar ist jedenfalls, dass das Vorkaufsrecht nur in wenigen Einzelfällen überhaupt wahrgenommen werden kann und zudem von Investorenseite versucht wird, es mit allen Mitteln auszuhebeln, vor allem durch bis ins Absurde nach oben getriebene Kaufpreise. Ob sich die von den Bezirken und dem Land angestrebten Ankäufe zum Verkehrswert juristisch durchsetzen lassen, ist zweifelhaft. Zwar sieht § 28 Baugesetzbuch vor, dass für die Kommunen ein Vorkaufsrecht zum Verkehrswert besteht, „wenn der vereinbarte Kaufpreis den Verkehrswert in einer dem Rechtsverkehr erkennbaren Weise deutlich überschreitet“. Doch das lässt viel Spielraum für Interpretationen. Außerdem findet bei solchen Verfahren auch eine „Rechtsgüterabwägung“ statt, da eine nachträgliche Herabsetzung des Verkaufspreises einen schwerwiegenden Eingriff in die Eigentumsrechte darstellt. Bislang ist nicht geklärt, ob und in welcher Größenordnung entsprechende Prozessrisiken vom Land Berlin abgesichert werden. Dennoch wird das Vorkaufsrecht von einigen Politikern der rot-rot-grünen Koalition fast schon als so etwas wie der Königsweg gegen explodierende Mieten und Verdrängung angepriesen. So zeigte sich der für Wohnen und Mieten zuständigen Bezirksstadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg, Florian Schmid (Grüne), in einen Interview mit dem Sender RBB überzeugt, dass allein schon die Diskussion darüber, Investoren abschrecke, „die eine Immobilie entmieten wollen, um damit horrende Renditen erwirtschaften zu können“. Er habe auch gehört, „dass das in der Immobilienbranche in aller Munde ist und dass man um Friedrichshain-Kreuzberg einen Bogen macht“. In den Ohren vieler Kreuzberger Aktivist/innen, die sich an allen Ecken und Enden gegen drohende Verdrängung zur Wehr setzen müssen, klingt das vermutlich fast schon zynisch. Aber vielleicht glauben Schmidt und einige seiner Kollegen ja, dass lautes Pfeifen im Wald die erkennbare Konzeptions- und Mutlosigkeit des Berliner Senats in dieser Frage übertönen kann.        


MieterEcho 389 / Juli 2017

Schlüsselbegriffe: Kommunales Vorkaufsrecht, Verdrängung, Bezirke, § 24 Baugesetzbuch, Bima, Katzler-/Großgörschenstraße, Glogauer Straße 3, Wrangelstraße 21, Zossener Straße 48, Modernisierungen, überhöhte Kaufpreise, explodierende Mieten

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