Hausgemeinschaft wehrt sich erfolgreich
Wie ein teures Modernisierungsvorhaben und erzwungene Umzüge bis auf Weiteres abgewehrt werden konnten
Von Hermann Werle
Für die Mieter/innen der Friedelstraße 44 in Neukölln war es ein Schock in der Morgenstunde, als sie Ende März 2017 Post von ihrer Wohnungsverwaltung in ihren Briefkästen vorfanden. Es handelte sich um Modernisierungsankündigungen, die Mieterhöhungen von bis zu 300 Euro mit sich bringen sollten.
Weder die Renten der älteren noch die Einkünfte aus häufig prekärer Beschäftigung einiger der jüngeren Mieter/innen hätten für die geforderte Miete ausgereicht. Soll man sich die Miete vom Mund absparen? Oder umziehen, und wenn, wohin? All dies kam für die zehn im Haus lebenden Mietparteien nicht infrage und so kamen sie schnell darüber ins Gespräch, welche Möglichkeiten der Gegenwehr es gibt. Flugs wurde der Kontakt zur Berliner MieterGemeinschaft hergestellt und eine Zusammenkunft der Mieter/innen mit einem Fachjuristen organisiert. Da die Ankündigungen für die energetische Modernisierung nicht fristgerecht zugestellt worden waren, veranlasste der Rechtsanwalt eine einstweilige Verfügung, um die angestrebten Baumaßnahmen auf diesem Weg zu unterbinden. Da der zuständige Richter der rechtlich festgeschriebenen Ankündigungsfrist von drei Monaten keine Wichtigkeit zumaß, scheiterte das Ansinnen in der ersten Instanz vor dem Amtsgericht.Inzwischen waren bereits ein Baugerüst am Haus angebracht und Baustoffe im Hof gelagert worden. Anfang Mai dieses Jahres – noch vor dem angekündigten Baubeginn – begannen Handwerker mit Arbeiten im Hausflur und auf dem Dach. In die Wohnungen, so hatte sich die Hausgemeinschaft geeinigt, sollten die Handwerker keinen Zutritt erhalten, solange die juristische Situation ungeklärt blieb.
Milieuschutz kann helfen
Zu Hilfe kam der Mieterschaft, dass sich die Friedelstraße in einem Milieuschutzgebiet befindet. Zwar sind die Möglichkeiten des auf dem Baurecht beruhenden Milieuschutzes beschränkt, aber die Erhaltungssatzung sieht vor, dass Baumaßnahmen einer Bewilligung bedürfen. Da diese nicht vorlag, verfügte das Bezirksamt einen Baustopp, sodass die Baumaßnahmen seit Anfang Juni ruhen.
Die Hausgemeinschaft ist derweil nicht untätig. Zu weiteren Treffen waren der Bezirksstadtrat Jochen Biedermann (B90/Grüne) sowie Aktive vom inzwischen geräumten Projekt aus der Friedelstraße 54 eingeladen und unterstützten mit Rat und Tat. Darüber hinaus war die Friedelstraße 44 einer der Kundgebungsorte bei der Demonstration „Wem gehört die Stadt?“ am 9. September und Mieter/innen aus dem Haus beteiligen sich bei der örtlichen „Kiezversammlung 44“, die nachbarschaftliche Unterstützung organisiert. Diesen Umfang von politischer Aktivität und nachbarschaftlicher Solidarität hätten sich die Mieter/innen vor einem halben Jahr wohl kaum vorstellen können.
Trotz der positiven Zwischenbilanz ist die Kuh noch nicht vom Eis. Die endgültige Entscheidung des Landgerichts über die Wirksamkeit der Modernisierungsankündigung steht ebenso noch aus wie der Entscheid des Bezirks über die Baugenehmigung. Aber die Chancen sind nicht schlecht, dass die Mieter/innen zu den gleichen oder zumindest zu verträglichen Bedingungen in ihren Wohnungen bleiben können. Hilfreich sind die Erfahrungen dieser Auseinandersetzung allemal und die Empfehlungen der Hausgemeinschaft der Friedelstraße 44 bei der Demonstration vom 9. September sollten Nachahmung finden: „Liebe Nachbarinnen und Nachbarn! Wir können euch nur empfehlen: Setzt euch zusammen, wenn ihr eine Modernisierungsankündigung oder Mieterhöhung erhaltet oder euer Haus verkauft werden soll. Holt euch Rat von der Berliner MieterGemeinschaft. Informiert den zuständigen Stadtrat. Den Kiez erhalten können wir nur durch eigenes Engagement und Handeln. Das wird uns kein Gesetz und kein Politiker abnehmen können. Die Häuser denen, die drin wohnen – bevor Finanzspekulanten und Immobilienhaie die letzten sozialen Zusammenhänge in unserer Stadt zerstören.“
Zum Thema Modernisierung siehe auch Seiten 24 bis 26. Wenn das gesamte Haus modernisiert werden soll, empfiehlt die Berliner MieterGemeinschaft, dass die Mieter/innen Hausversammlungen durchführen.
Die Kiezversammlung 44 ist eine „selbstorganisierte Kiezversammlung zur Mietkrise in Nordneukölln“. (www.kiezversammlung44.de).
MieterEcho 391 / Oktober 2017
Schlüsselbegriffe: Modernisierungsvorhaben, Hausgemeinschaft, Friedelstraße 44, Neukölln, Milieuschutzgebiet, Erhaltungssatzung, Kiezversammlung 44, Bezirksamt, Baustopp