Dem Markt ausgeliefert
Der Kiezladen Friedel54 wurde geräumt und damit zu einem weiteren Opfer
der jahrelangen verdrängungsfördernden Wohnungspolitik der SPD
Von Ralf Hutter
Das Ladenlokal in der Nordneuköllner Friedelstraße 54 bietet noch in der zweiten Julihälfte einen ungewöhnlichen Anblick. Auf dem Absatz von Tür und Schaufenster stehen zahlreiche Grablichter und einige Blumensträuße in Flaschen. An den Rollläden kleben ein handgeschriebenes Plakat, das über die Zwangsräumung vom 29. Juni 2017 informiert, und einige ebenfalls handgeschriebene Zettel, auf denen zu lesen ist: „Neukölln ohne Friedel ist Scheiße“ , „Friedel kommt bald wieder“ , und „Ich werde dich vermissen“ .
Die Friedhofsstimmung gilt dem „Kiezladen Friedel54 – Soziales Zentrum in Nordneukölln“, der wenige Straßenblocks von Kreuzberg entfernt 13 Jahre lang Raum für – vor allem politische und kulturelle – Veranstaltungen bot. Den Kiezladen, meist „Friedel54“ oder auch „F54“ genannt, verwalteten und gestalteten mehrere Gruppen, die unkommerzielle Kneipenabende mit Vorträgen, Volksküchen und Filmvorführungen anboten sowie die Räume für Treffen nutzten. Auch eine Siebdruckwerkstatt zum Bedrucken von Textilien gab es.
Doch Immobilien im Reuterkiez erfuhren in den letzten Jahren eine immense Wertsteigerung und im Dezember 2013 wurde dieses Haus von der Wiener Immobilienspekulationsfirma Citec Immo Invest gekauft, die dem Kiezladen zum 30. April 2016 kündigte. Gegen die Kündigung begann eine große Kampagne und irgendwann war Citec tatsächlich zum Verkauf des Hauses bereit. Im Frühjahr und Sommer 2016 entwickelte die aus 16 Haushalten bestehende Hausgemeinschaft mithilfe der Mietshäuser Syndikat GmbH und einer Stiftung ein Konzept für den Kauf. An einem runden Tisch bei der Bezirksbürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) verhandelte die Hausgemeinschaft mit Citec über den Kaufpreis und bot zuerst 1,4 Millionen Euro, dann 1,6 Millionen, was bereits für etliche der Haushalte eine beträchtliche Mietsteigerung bedeutet hätte. Doch Citec war das nicht genug. Noch während die Verhandlungen vermeintlich liefen, verkaufte Citec das Haus an die Luxemburger Briefkastenfirma Pinehill. Der mittlerweile bekannte Kaufpreis betrug 2 Millionen Euro. Die Kündigung des Kiezladens blieb bestehen.
Vorkaufsrecht im Milieuschutzgebiet
Da kurz vorher die soziale Erhaltungssatzung zur Einrichtung eines Milieuschutzgebiets im Reuterkiez in Kraft getreten war, hatte der Bezirk ein Vorkaufsrecht, auch zugunsten Dritter. Deshalb bat die Hausgemeinschaft der Friedelstraße 54 am 19. Juli 2016 Bezirksbürgermeisterin Giffey, das Vorkaufsrecht anzuwenden und den im Kaufvertrag – der dem Bezirk vorlag – fixierten Kaufpreis mitzuteilen, damit die beteiligte Stiftung prüfen konnte, ob und wie der Ankauf für sie in Frage kam. Bereits zwei Tage später kam die Antwort in Form eines zweiseitigen Briefs von Baustadtrat Thomas Blesing (SPD). Darin stand neben viel Allgemeinem, dass der von Citec verlangte Preis von 2 Millionen Euro „nicht signifikant überhöht erscheint“, also auch vom Bezirk oder der Stiftung bezahlt werden müsse. Dafür sei allerdings kein Geld da. Dass 2 Millionen der tatsächliche Verkaufspreis war, teilte Blesing nicht mit.
Das bis zuletzt weitergenutzte, also besetzte, Lokal wurde am 29. Juni 2017 von einem riesigen Polizeiaufgebot mit insgesamt 770 Einsatzkräften, das zum Teil brutal gegen zwei Sitzblockaden vorging, geräumt. Am selben Tag sagte Giffey in der RBB-Abendschau, das Vorkaufsrecht sei nicht angewendet worden, weil weder der Bezirk noch die Hausgemeinschaft die nötigen 2 Millionen Euro gehabt hätten. Deshalb wirft das Kiezladenkollektiv dem Bezirksamt bis heute vor, nicht einmal versucht zu haben, den Hausverkauf an Pinehill auf formalem Weg zu verhindern und den Preis zu drücken.
Der aktuelle Baustadtrat Jochen Biedermann (B90/Grüne) teilt diese Kritik nicht. Er meint, dass der Bezirk den Verkauf damals wohl wirklich nicht hätte verhindern können und zeigt die Vorgeschichte auf. So habe erst er in der Verwaltung in Sachen Milieuschutz „das nötige Knowhow aufgebaut“. Das im September 2015
beschlossene Milieuschutzgebiet trat Ende Juni 2016 in Kraft, weil erst dann das nötige Personal eingestellt war. „Ich hätte mich früher um Personal gekümmert“, sagt Biedermann im Gespräch mit dem MieterEcho. „Es wäre früher möglich gewesen, denn der politische Wille für ein Milieuschutzgebiet war früher erkennbar.“ Der Baustadtrat weist auf die „Schmöckwitzer Erklärung“ der Neuköllner SPD hin. Nach einer internen Tagung in Berlin-Schmöckwitz hatte die Bezirks-SPD festgehalten: „Die Vor-Voruntersuchung zum Einsatz einer sozialen Erhaltungssatzung im Reuterkiez hat gezeigt, dass dort ein hoher Aufwertungsdruck sowie die Gefahr der Verdrängung von Teilen der Gebietsbevölkerung bestehen. Die SPD Neukölln spricht sich deshalb dafür aus, zügig die notwendigen Voruntersuchungen zu beginnen.“ Das Dokument trägt das Datum 7. September 2014.
Marlis Fuhrmann, stellvertretende Vorsitzende der Fraktion Die Linke in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV), meint gegenüber dem MieterEcho: „Spätestens 2013 hat der Quartiersrat Reuterkiez auf die Vertreibung von Mieter/innen aufmerksam gemacht und vom damaligen SPD-Baustadtrat Gegenmaßnahmen gefordert. Auf die Brandbriefe wurde mit Spott reagiert bzw. der Kontakt seitens der Verwaltung abgebrochen.“
Das Bezirksamt blockierte das Milieuschutzgebiet also jahrelang. Der Milieuschutz kam erst, als ihn neben der BVV-Opposition über 3.000 Menschen forderten, die einen Einwohnerantrag zur Einrichtung mehrerer Schutzgebiete unterschrieben hatten. Bis dahin erfolgten viele mietsteigernde Modernisierungen und Umwandlungen in Eigentumswohnungen, die heute genehmigungspflichtig wären. Möglicherweise war gerade das in der SPD gewünscht. Eine Politik des Bevölkerungsaustauschs zur Aufwertung von „armen“ Vierteln hatte sie zuvor jahrelang unter dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit und unter Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky verfolgt.
Erhebliche Rechtsunsicherheit
Unter diesen Voraussetzungen war wohl im Juli 2016 nichts gegen den Verkauf der Friedelstraße 54 zu machen. Baustadtrat Biedermann hält fest, das Vorkaufsrecht des Bezirks geltend zu machen, sei „kein einfacher Verwaltungsakt“ und in der gesetzlich vorgegebenen Frist von zwei Monaten generell schwierig, unter anderem, weil der Verkaufspreis und die Finanzierung geklärt werden müssten (Mieter-Echo Nr. 389/ Juli 2017). Es bestehe „erhebliche Rechtsunsicherheit“ über die Festlegung eines angemessenen Kaufpreises. Prinzipiell muss die öffentliche Hand nämlich den Preis zahlen, den der im Vertrag vorgesehene Käufer zu zahlen bereit ist. Das Land Berlin geht derzeit gegen ein Gerichtsurteil in Berufung, wonach ein Verkaufspreis, der 23% über dem liegt, was ein Verkehrswertgutachten ermittelte, nicht überhöht sei. Auch dabei geht es um einen Fall in einem Milieuschutzgebiet.
Kurz: Wenn der Markt explodiert und Gerichte das für normal erklären – obwohl solche Preise mit den Mieten gar nicht refinanziert werden können und es daher um Spekulation geht –, kann die öffentliche Hand nicht mehr mithalten. Strengt sie im Einzelfall einen Gerichtsprozess gegen einen Verkaufspreis an, läuft sie angesichts der hohen Streitwerte Gefahr, im Fall einer Niederlage erhebliche Gerichtskosten tragen zu müssen, wie Biedermann festhält.
Aufgrund der jahrelangen verdrängungsfördernden Wohnungspolitik des Bezirks Neukölln waren der Kiezladen und die Hausgemeinschaft der Friedelstraße 54 also dem Markt ausgeliefert. Wegen der allgemeinen Marktdynamik gilt das auch für die öffentliche Hand, denn der Verkehrswert bezieht die Marktentwicklung ein. „Die Armen können den Reichen nicht ständig die Häuser abkaufen“, sagte ein Sprecher des Kiezladens am Vorabend der Räumung bei der Vorführung des Films „Mietrebellen“ vor der Friedelstraße 54, zu der rund 400 Menschen gekommen waren. Solange die Regierungen von Land und Bezirken nicht ihr Ausgeliefertsein an den Markt bekennen, kann ihr mit vielen Beschwichtigungen versetzter wohnungspolitischer Aktionismus nur als Politiksimulation gewertet werden.
Wie das Friedel54-Kollektiv nun weitermacht, ist unklar. Ein Teil der Gruppen sucht oder hat bereits neue Räumlichkeiten. Eine Option ist, die Kampagne um das geräumte Lokal weiterzuführen und jegliche kommerzielle Nutzung zu stören, um Pinehill mürbe zu machen. Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Die Linke) hat sowohl vor als auch nach der Räumung Hilfe bei der Suche nach einem Ersatzraum zugesagt.
MieterEcho 390 / August 2017
Schlüsselbegriffe: Kiezladen Friedel54, Citec Immo Invest, Mietshäuser Syndikat GmbH, Mietsteigerung, Briefkastenfirma, Pinehill, Milieuschutzgebiet, Reuterkiez, Vorkaufsrecht, Quartiersrat Reuterkiez, Einwohnerantrag, Schutzgebiet, Baustadtrat Biedermann, verdrängungsfördernde Wohnungspolitik