Logo Berliner Mietergemeinschaft e.V.
MieterEcho 386 / Februar 2017

Bahnflächen prüfen

Verkehrlich nicht mehr benötigte Bahngrundstücke als Potenziale in der Stadtentwicklung

Von Karin Baumert                                                    

 

Die Hoffnungen liegen im Koalitionsvertrag. Jede Zeile ist nummeriert. Ein Papier, mit dem in Zukunft gearbeitet werden soll. Im Abschnitt „Bezahlbares Wohnen für alle“ steht in Zeile 18 und 19: „Für verkehrlich nicht mehr benötigte Bahnflächen wird die Koalition den Ankauf prüfen.“ Hier liegt ein wahrer Schatz für die Chancen einer sozial und ökologisch orientierten Stadtentwicklung. Im Gegensatz zu vielen anderen städtischen Brachflächen kann hier ohne finanzielle Belastungen für die öffentliche Hand ein Bebauungsplan aufgestellt werden.                                              

 

Jedes Grundstück in der Stadt – jede Brache und jedes potenzielle Bauland – wird danach bewertet, wie es bebaut werden kann. Die Zulässigkeit der Bebauung richtet sich in der Regel entweder nach einem öffentlich-rechtlichen Bebauungsplan (B-Plan) oder – wenn für die Fläche kein B-Plan existiert – nach § 34 Baugesetzbuch (BauGB). Fachsprachlich werden diese Gebiete als Innenbereich bezeichnet. Nach § 34 BauGB ist ein Bauvorhaben zulässig, „wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt“. Das bedeutet, Grundstückseigentümer haben ein Anrecht auf eine Bebauung, die der näheren Umgebung entspricht. Diskussionen gibt es immer dann, wenn es unterschiedliche Auffassungen über die Umgebung gibt. Wie weit ist diese zu fassen? Was ist das typische Maß der Bebauung? Aber in der für Berlin typischen Gründerzeitbebauung ist beispielsweise jede Baulücke im Maß der angrenzenden Häuser bebaubar. Wenn Kommunen mit einem B-Plan für solche Grundstücke festlegen, dass sie beispielsweise zu öffentlichen Grünflächen werden oder zukünftig nur in geringerem Maß bebaut werden dürfen, müssen die Kommunen die Grundstückseigentümer für die damit verbundene Wertminderung entschädigen.      

 

Bahnflächen sind „Außenbereich im Innenbereich“    

Ganz anders werden die Bahnflächen bewertet. Sie gelten bauordnungsrechtlich als sogenannter Außenbereich der Städte. Hier öffnet sich nun ein bisher völlig unterschätzter Spielraum für Kommunen. Eine Kommune kann hier wohnungspolitische, soziale und ökologische Ziele durchsetzen. Im Unterschied zum Innenbereich existiert im Außenbereich zunächst kein Baurecht, was bedeutet, dass Bauvorhaben unzulässig sind und keine Genehmigung erhalten würden. Wenn Flächen im Außenbereich bebaut werden sollen, muss erst ein B-Plan aufgestellt werden. Auf ehemaligen Bahnflächen können mit der Aufstellung eines Beschlusses für einen B-Plan städtebauliche Ziele geplant werden, ohne den Finanzsenator um Geld zu bitten, denn bei diesen Flächen muss der Grundstückseigentümer nicht entschädigt werden. Auch gilt für vorhandene Bebauungen auf Bahngeländen kein Bestandsschutz, möglich ist natürlich, Gebäude unter Denkmalschutz zu stellen.                                                    

 

Freie Fahrt für Projekte                    

Aber wird die Vivico, die Immobilienfirma der Deutschen Bahn, die zuständig für die Vermarktung der nicht mehr genutzten Bahnflächen ist, mitspielen? Bisher hat sie Investoren gesucht, die die Flächen für ihre Zwecke entwickeln und somit die Flächen und den Verkauf vergolden. Soweit die Praxis. Wenn aber die Kommune die Planungsziele festlegt, gibt das nicht nur Planungssicherheit, sondern auch noch ein geordnetes Verfahren für alle Akteure. Langjährige Erfahrungen mit dem Sanierungsrecht zeigen, dass die Festlegung auf durch Planungsziele geordnete Grundstückswerte zu einer Beruhigung des Markts führt. Die Stadt Berlin hat hier die einmalige Chance, ihre Ziele der sozialen, ökologischen und partizipativen Stadtentwicklung auszuleben. Aber wo bleibt die Triebkraft der Entwicklung, wenn Gewinne nicht in Sicht sind. Mit wem macht man den städtebaulichen Vertrag? Wer soll zum Träger der sozialen Stadtentwicklung werden? Die Frage ist mehr als nur rhetorischer Natur. Denn Projekte, Vorbilder, Utopien und durchgerechnete Modelle warten nur darauf, Flächen zur Verfügung gestellt zu bekommen. Der Senat sollte also nicht nur den Ankauf verkehrlich nicht mehr benötigter Bahnflächen prüfen. Diese Flächen sollten auch entwickelt werden.                      

 

 

 


MieterEcho 386 / Februar 2017

Schlüsselbegriffe: Bahngrundstücke, Stadtentwicklung, Koalitionsvertrag, öffentlich-rechtlich Bebauungsplan, § 34 Baugesetzbuch, Vivico, partizipative Stadtentwicklung