Wohnungen statt Lager
Berliner Flüchtlingsrat fordert 50.000 bezahlbare neue Wohnungen pro Jahr
Von Elisabeth Voß
Geflüchtete leiden unter menschenunwürdiger Unterbringung und Diskriminierung. Der Flüchtlingsrat Berlin kritisiert die Senatspolitik und legte im September einen 32 Seiten starken Forderungskatalog an die neue Landesregierung vor.
Am 7. September 2016 feierte der Flüchtlingsrat Berlin seinen 35. Geburtstag in der Kreuzberger Flüchtlingskirche in der Wassertorstraße. Rita Kantemir, die damals der ersten Fraktion der Alternativen Liste (AL, später Die Grünen) im Abgeordnetenhaus angehörte, schilderte die Entstehung des Flüchtlingsrats aus kirchlichen Kreisen. Es ging darum, Abschiebungen zu verhindern und die auch damals schon menschenunwürdige Unterbringung von Flüchtlingen anzuprangern. Sie erinnerte an den 23-jährigen Kemal Altun, der sich aus Angst vor seiner drohenden Abschiebung vor fast genau 33 Jahren aus dem Fenster des Verwaltungsgerichts in den Tod stürzte. Sie erinnerte auch an das Feuer in einem Abschiebegefängnis zum Jahresende 1983, bei dem sechs Menschen in ihren Zellen verbrannten.
Jens Uwe Thomas berichtete über die 2003 gestartete Bleiberechtskampagne „Hier geblieben!“, aus der das Grips-Theater ein gleichnamiges Theaterstück entwickelte. Das seit 2005 bestehende Netzwerk „Jugendliche ohne Grenzen“ hat seinen Ursprung in der Kampagne und dehnte sich bundesweit aus. Es wird von Jugendlichen selbst organisiert, die sich unter anderem gegen die Unterbringung Geflüchteter in Lagern, gegen Gutscheine und gegen Kettenduldungen engagieren, wie einer der Gründer, Mohammed Jouni, erläuterte. Georg Classen leitete mit einigen Ausführungen zur Entwicklung der Situation von Geflüchteten in Berlin in den letzten Jahren zu den Forderungen des Flüchtlingsrats zu den Abgeordnetenhaus-Wahlen über. Er erklärte: „Die Berliner Politik hat zu menschenunwürdigen Massenunterkünften geführt. Flüchtlinge werden beim Zugang zu Wohnraum, Bildung und Gesundheit massiv diskriminiert. Besonders katastrophal versagt der Senat bei der Versorgung und Betreuung von Kinderflüchtlingen.“
„Senat muss soziales Wohnungsbauprogramm umsetzen“
Georg Classen legte den anwesenden Politiker/innen von Grünen und Linken ans Herz, die Forderungen des Flüchtlingsrats mit in die Koalitionsverhandlungen zu nehmen. Die erste Forderung lautet: „Menschenwürdiges Wohnen“. In seinem Forderungspapier weist der Flüchtlingsrat auf die Ursachen des Wohnungsmangels hin: „In Berlin ist durch den Verkauf zahlreicher landeseigener Wohnungen, das Fehlen bedarfsentsprechender sozialer Neubauprogramme und die zunehmend ungleiche Einkommensverteilung bezahlbarer Wohnraum zum Objekt spekulativ bedingter Knappheit geworden.“ Er betont: „Die zusätzliche Nachfrage Geflüchteter hat das Wohnungsproblem nur marginal verschärft.“ Der Flüchtlingsrat fordert „Wohnungen statt Lager“, und weil die Wohnraumnot alle betrifft, sowohl die Einheimischen als auch die Geflüchteten, fordert er ganz konkret: „Der Senat muss ein soziales Wohnungsbauprogramm für alle sofort in großem Stil umsetzen, statt immer neue, Menschen ausgrenzende und stigmatisierende Not- und Obdachlosenunterkünfte zu errichten. Berlin braucht 50.000 bezahlbare neue Wohnungen pro Jahr.“ Weitere Forderungen sind die „Schließung der menschenunwürdigen Massenunterkünfte im Flughafen Tempelhof und anderswo“, sowie rechtskonformer Schutz und Versorgung insbesondere für Kinderflüchtlinge, unbegleitete Minderjährige und besonders Schutzbedürftige. Für alle Geflüchteten soll der Zugang zu Kita, Schule, Hort, beruflicher Qualifizierung, Studium und Arbeit gesichert werden. Der Flüchtlingsrat Berlin erwartet von den Parteien eine „humanitäre Einwanderungspolitik, die alle Möglichkeiten zur Legalisierung, Erteilung und Verlängerung von Aufenthaltserlaubnissen ausschöpft“ und damit „Bleibeperspektiven für alle“ ermöglicht.
MieterEcho 384 / Oktober 2016
Schlüsselbegriffe: Berliner Flüchtlingsrat, menschenunwürdige Unterbringung, Flüchtlinge, Bleiberechtskampagne, Massenunterkünfte, soziales Wohnungsbauprogramm, Wohnungsmangel, Obdachlosenunterkünfte, Kinderflüchtlinge