SPD entdeckt das Thema Wohnen
Vor den Wahlen im September möchte der Senat mit Wohnungspolitik punkten
Von Benedict Ugarte Chacón
Im Juni des vergangenen Jahres hatten die Initiator/innen des „Mietenvolksentscheids“ rund 50.000 Unterschriften für ihren Antrag beim Senat eingereicht. Nach deren Prüfung wäre es zum Volksbegehren und daran anschließend zum Volksentscheid gekommen. Dieser hätte nach dem Willen der Aktivist/innen am 16. September, dem Tag der Abgeordnetenhauswahl, stattgefunden. Als Reaktion auf den Erfolg des Mietenvolksentscheids erarbeitete der Senat im September den Entwurf eines Gesetzes über die Neuausrichtung der sozialen Wohnraumversorgung in Berlin, kurz: Berliner Wohnraumversorgungsgesetz. Nachdem er eine Stellungnahme des Rats der Bürgermeister eingeholt hatte, beschloss der Senat am 22. September 2015, seinen Entwurf dem Abgeordnetenhaus zur Abstimmung vorzulegen.
Der Entwurf basiere auf den Ergebnissen von Gesprächen, die Aktivist/innen der Initiative Mietenvolksentscheid mit dem Senat und der SPD-Fraktion des Abgeordnetenhauses geführt hätten, hieß es damals in einer Pressemitteilung des Senators für Stadtentwicklung und Umwelt Andreas Geisel (SPD). Die Initiator/innen des Mietenvolksentscheids wiederum sahen das etwas anders und bezeichnen den Gesetzentwurf des Senats auf ihrer Website nach wie vor als „Abfanggesetz“, welches SPD und CDU initiierten, um eine zugespitzte Auseinandersetzung über die Mietenpolitik aus dem Wahlkampf heraus zu halten. Allerdings habe die Prüfung des Gesetzentwurfs der Initiative ergeben, dass dieser möglicherweise mit rechtlichen Mängeln behaftet sei. Eine Fortsetzung des Mietenvolksentscheids müsste deshalb vor dem Landesverfassungsgericht eingeklagt werden. Das „Aktiven-Plenum“ habe deshalb beschlossen, den Mietenvolksentscheid nicht weiter zu führen. Dass jedoch die Landesregierung durch das Mietenvolksbegehren und zahlreiche Kampagnen – von Kotti & Co. über einzelne Kiez-Initiativen bis hin zu „Zwangsräumungen verhindern“ – verunsichert wurde, zeigt nicht zuletzt der Umstand, dass die SPD eigens ein Flugblatt herausgab, um den als „Mietenkompromiss“ bezeichneten Senatsentwurf als „Erfolg für die vielen Mieterinnen und Mieter in Berlin“ zu feiern. Für die Partei, die sich trotz massenhafter Wohnungsprivatisierung, jahrelanger Versäumnisse und Leugnung der Probleme auf dem Berliner Wohnungsmarkt immer noch als „Mieterpartei“ versteht, zeigt die Absage des Mietenvolksentscheids, dass „die direkte Demokratie in Berlin funktioniert, wenn alle Beteiligten an einer Lösung in der Sache interessiert sind“, wie es im Flugblatt heißt. Und auch, dass gezielt preiswerter Wohnraum geschaffen werden muss, scheint bei der SPD mittlerweile angekommen zu sein. Dem Neuen Deutschland sagte Geisel Mitte Februar, dass sich der Senat für 2016 die Errichtung von 15.000 Wohnungen vorgenommen habe. Weiterhin sollen in diesem Jahr 2.500 neue Sozialwohnungen entstehen, im kommenden Jahr sollen es 3.000 sein. Die Mieten sollen sich dabei um 6,50 Euro/qm bewegen. Ihm sei jedoch klar, so der Senator, dass diese Zahl nicht ausreichend sei. Ab 2018 brauche Berlin 5.000 neue Sozialwohnungen pro Jahr.
SPD auf Initiativen-Kurs?
Zur Vorlage des Entwurfs des Wohnraumversorgungsgesetzes erklärte Geisel, er habe viele Ziele der Volksentscheids-Initiative „politisch immer geteilt“. Aus diesem Grund sei ihm eine Kooperation mit den Aktivist/innen wichtig gewesen. Mit dem neuen Gesetzespaket würde vor allem einkommensschwachen Haushalten „schnell und effizient“ geholfen. Durch die beabsichtigte Dämpfung von Mietsteigerungen sowie den Wohnungsneubau würden alle Mieter/innen Berlins profitieren. Der Gesetzentwurf, den der Senat im September dem Landesparlament vorlegte, umfasst immerhin 104 Seiten. Seit 2011 steige Berlins Einwohner/innenzahl um jährlich 10.000 bis 50.000 Menschen. Dies habe zu einer zunehmenden Anspannung auf dem Wohnungsmarkt geführt, heißt es im Vorblatt zum Entwurf. Mietsteigerungen und ein vermindertes Wohnungsangebot, das sich auch einkommensschwächere Haushalte leisten können, seien die Folge. Hinzu kämen das Auslaufen der ursprünglichen Fördermaßnahmen im Sozialen Wohnungsbau sowie jährliche Mietanhebungen in diesem Bereich. Das neue Berliner Wohnraumversorgungsgesetz sieht die Änderung dreier bestehender Gesetze sowie die Schaffung von drei neuen Gesetzen vor. So wurde das bestehende Wohnraumgesetz Berlin dergestalt geändert, dass Mieter/innen im Sozialen Wohnungsbau künftig Mietzuschüsse erhalten sollen, wenn die Nettokaltmiete 30% des anrechenbaren gesamten Haushaltseinkommens überschreitet. Dabei kommt das Gesetz auch den Wohnungseigentümern im Sozialen Wohnungsbau entgegen, denn die staatlichen Zuschüsse könnten dazu beitragen, die „geleisteten Mietverzichte“ der Eigentümer zu verringern, wie es in der Gesetzesvorlage heißt. Geändert wurde zudem das Gesetz über die Investitionsbank Berlin, deren Auftrag bei der Prüfung von Miet- und Betriebskosten in den Sozialwohnungen präzisiert wurde. Mit dem neu geschaffenen Gesetz zur sozialen Ausrichtung und Stärkung der öffentlichen Wohnungsunternehmen für eine langfristig gesicherte Wohnraumversorgung sollen die Chancen für einkommensschwächere Haushalte, an eine Wohnung bei den landeseigenen Gesellschaften zu kommen, erhöht werden. So ist beabsichtigt, dass 55% der frei werdenden Wohnungen an sogenannte Härtefälle vergeben werden. Wiederum 20% davon sind für besondere Bedarfsgruppen wie zum Beispiel Wohnungslose oder Flüchtlinge vorgesehen. Auch die Bezahlbarkeit der Mieten für Einkommensschwächere soll gesichert werden. Zudem sollen ehrenamtliche Mieterräte geschaffen werden, die an den Unternehmensentscheidungen beteiligt werden. Vertreter/innen der Mieterräte sollen jeweils einen Sitz im jeweiligen Aufsichtsrat erhalten. Weiterhin sollen die Wohnungsbaugesellschaften darauf ausgerichtet werden, ihre Bestände auszuweiten, was durch Neubau und Zukauf geschehen soll, wobei der Zukauf vorrangig im innerstädtischen Bereich stattfinden soll. Allerdings behalten die Wohnungsbaugesellschaften auch künftig ihre privaten Rechtsformen wie Aktiengesellschaft oder GmbH, was bedeutet, dass sie auch weiterhin einem strengen Wirtschaftlichkeitsgebot unterliegen dürften.
Keine Mitbestimmung der Mieter/innen
Neu geschaffen wurde auch ein „Sondervermögen Wohnraumförderfonds Berlin“, in das künftig die im Landeshaushalt bereitgestellten Mittel zur Wohnungsneubauförderung einfließen sollen. Durch den Fonds sollen Förderprogramme zum Wohnungsneubau sowie zur Modernisierung und Instandsetzung bestehenden Wohnraums und der Erwerb von Belegungsrechten und neuen Wohnungen finanziert werden. Unterstützt werden sollen dabei nicht nur Mieterhaushalte über die Belegungsrechte, sondern auch die Bildung von selbst genutztem Wohneigentum. Zins- und Tilgungsleistungen aus Förderdarlehen des Fonds sollen in den Fonds zurückfließen. Verwaltet werden die Fondsmittel von der Investitionsbank Berlin, die Fachaufsicht über den neuen Fonds soll bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt liegen. Inwieweit das Sondervermögen und die mit ihm eingeleiteten Maßnahmen einer parlamentarischen und öffentlichen Kontrolle zugänglich sein werden, bleibt abzuwarten. Und ebenfalls neu errichtet wurde die „Wohnraumversorgung Berlin – Anstalt des Öffentlichen Rechts“. Deren Aufgabe soll die Entwicklung politischer Leitlinien „in Bezug auf die Wahrnehmung des Versorgungs- und Wohnungsmarktauftrags durch die landeseigenen Wohnungsunternehmen“ sein. Laut Senator Geisel soll sie darüber hinaus auch den Senat in fachlichen Fragen beraten. Zu einem der Vorstände berief der Senat mit Jan Kuhnert unlängst einen der Sprecher des Berliner Mietenvolksentscheids. Die Initiative Mietenvolksentscheid kritisierte in einer Erklärung, dass mit der neu errichteten Anstalt keine Mitbestimmung der Mieter/innen geschaffen wurde. Mit dem Angebot an einen ehemaligen Sprecher der Initiative handle der Senat „vor allem aus machtpolitischen Überlegungen“. Das Abgeordnetenhaus stimmte dem Gesetzentwurf in seiner Sitzung am 12. November 2015 zu, das Wohnraumversorgungsgesetz trat zum 1. Januar dieses Jahres in Kraft. Festzuhalten bleibt, dass das rot-schwarze Gesetzespaket in erster Linie die Problemstellungen tangiert, die sich für Mieter/innen im Sozialen Wohnungsbau und bei den landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften ergeben. Der größte Teil von Berlins Mieter/innen wird von diesen Maßnahmen nicht erfasst.
MieterEcho 380 / April 2016
Schlüsselbegriffe: Mietenvolksentscheid, Gesetz über die Neuausrichtung der sozialen Wohnraumversorgung in Berlin, Berliner Wohnraumversorgungsgesetz, Wohnungsprivatisierung, einkommensschwache Haushalte, Mietsteigerungen