Kiezspaziergang in Friedrichshain
Rund 90 Anwohner/innen besuchen Orte der Verdrängung
Von Peter Nowak
Gemeinsam mit aktiven Mieter/innen aus dem Viertel hatte die Bezirksgruppe Friedrichshain der Berliner MieterGemeinschaft für den 12. Juni 2016 zu einem Spaziergang durch den Friedrichshainer Nordkiez eingeladen. Rund 90 Anwohner/innen aus der Nachbarschaft beteiligten sich am zweistündigen Rundgang und suchten Orte der Verdrängung und des Widerstands von Mieter/innen auf.
Den Treffpunkt bildete das neue Luxusbauprojekt „Carré Sama Riga“ der CG-Group in der Rigaer Straße 71. In den Wochen zuvor war es wiederholt zu Protesten gegen den Nobelbau gekommen. Am Vortag des Spaziergangs forderten ca. 80 Anwohner/innen bei einem vom Investor anberaumten Informationstag den Baustopp des Projekts. Als der Investor die Protestierenden als dumm und vernagelt beschimpfte und erklärte, er werde auf jeden Fall bauen, auch wenn ein Sicherheitsdienst das Gelände Tag und Nacht bewachen müsse, hatte er die Nachbarschaft endgültig gegen sich aufgebracht. Entsprechend viele dieser Anwohner/innen waren beim Kiezspaziergang wieder dabei. Entlang der Route berichteten Betroffene über unterschiedliche Formen der Verdrängung. Neben Mieter/innen sind von Verdrängung auch Betreiber/innen kleiner Läden, die sich die teure Miete nicht mehr leisten können, betroffen, hieß es in einem Redebeitrag. Eine Bäckerei, ein Blumenladen und ein Zeitungskiosk, die für die Versorgung der Bewohner/innen des Kiezes wichtig waren, mussten schließen. Diese Läden wurden ersetzt durch Schnellimbisse und Spätverkäufe, die Tourist/innen anlocken und für besonders prekäre Arbeitsbedingungen berüchtigt sind.
Gemeinsam gegen Verdrängung
An mehreren Orten berichteten Bewohner/innen verschiedener Häuser vom erfolgreichen Widerstand gegen Verdrängungsversuche. Die Voraussetzung sei dabei immer gewesen, dass sich die Betroffenen organisierten und gegenüber den Vermietern geschlossen auftraten. Von diesen Erfahrungen berichteten auch die Bewohner/innen verschiedener ehemals besetzter Häuser in der Rigaer Straße und der Liebigstraße. Auch die Mieter/innen eines Hauses in der Schreinerstraße konnten erfolgreich eine Modernisierung verhindern, nach der die Miete so stark gestiegen wäre, dass sie sich die Wohnungen nicht mehr hätten leisten können. Sie hatten sofort nach der Ankündigung der Modernisierung mit der Berliner MieterGemeinschaft Kontakt aufgenommen und eine Hausversammlung organisiert (siehe Seite 25). Von solchen Erfahrungen können Nachbar/innen profitieren, die sich aktuell gegen Vertreibung wehren. Dazu gehören etwa die Mieter/innen der nur wenige Meter entfernten Schreinerstraße 57. Seitdem sich das Haus im Eigentum der Fortis Wohnwert GmbH und Co. befindet, werden die Mieter/innen zum schnellen Auszug gedrängt. Dabei wird auch auf die Dienstleistungen des Entmietungsspezialisten AMB Agentur für Mieter und Bauherren GmbH zurückgegriffen (siehe MieterEcho Nr. 377/ Oktober 2015).Gegen Ende des Spaziergangs schilderte eine ehemalige Bewohnerin der Voigtstraße 39, wie dort im vergangenen Jahr Menschen rabiat aus ihren Wohnungen vertrieben wurden, die sie über mehrere Jahre still besetzt und eingerichtet hatten. Eines Morgens kam ein privater Sicherheitsdienst und erklärte ihnen, sie hätten die Wohnungen innerhalb von zwei Stunden zu verlassen. Persönliche Gegenstände wurden aus dem Fenster geworfen und vernichtet. Einige der Vertriebenen sind noch heute obdachlos. „Wir hatten damals keine Kontakte und wussten nicht, wo wir Unterstützung bekommen können“, beschreibt die ehemalige Bewohnerin die damalige Hilflosigkeit. „Der Kiezspaziergang soll auch dazu dienen, dass sich die Nachbarschaft besser kennenlernt und es möglich wird, gegen Vertreibung Widerstand zu leisten“, lautete der Wunsch eines anderen Anwohners. Aufgrund der positiven Resonanz sind weitere Kiezspaziergänge in Planung. Interessierte sind herzlich eingeladen, zu den Treffen der Bezirksgruppe zu kommen und an der Vorbereitung mitzuwirken.
MieterEcho 382 / August 2016
Schlüsselbegriffe: Kiezspaziergang, Friedrichshain, Luxusbauprojekt „Carré Sama Riga“, CG-Group, Rigaer Straße 7, Verdrängung, Entmietungsspezialisten, AMB Agentur für Mieter und Bauherren GmbH, Vertreibung, Widerstand, Nachbarschaft