Katastrophenmeldungen auf 1.200 Seiten
Untersuchungsausschuss zum BER-Debakel hat Abschlussbericht vorgelegt
Von Benedict Ugarte Chacón
Seit September 2012 tagte der Untersuchungsausschuss zum Flughafen BER und am 23. Juni dieses Jahres fand im Abgeordnetenhaus die abschließende Debatte zu seinem Abschlussbericht statt. Während der letzten dreieinhalb Jahre werteten die Abgeordneten und ihre Mitarbeiter/innen rund 1.700 Aktenordner mit Beweismaterial aus. Hinzu kamen mehrere Daten-DVD mit weiteren Dokumenten und Tausenden E-Mails. Zudem wurden über 70 Zeug/innen vernommen, manche – wie der ehemalige Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) oder die ehemaligen Flughafengeschäftsführer Rainer Schwarz und Manfred Körtgen – auch mehrmals. Die Protokollseiten, die aus den Vernehmungen resultierten, gehen ebenfalls in die Tausende. Damit gilt der Untersuchungsausschuss zum BER als der bisher materialstärkste in der Geschichte des Abgeordnetenhauses. Auch sein Bericht ist mit insgesamt 1.200 Seiten umfangreicher als der zum Skandal um die Bankgesellschaft Berlin.
Neben dem von der Ausschussmehrheit aus SPD und CDU maßgeblich beeinflussten Hauptbericht gehören auch die Sondervoten der Fraktionen von Linken und Grünen sowie des Ausschussvorsitzenden Martin Delius (parteilos) zum zweibändigen Gesamtbericht. Diese Sondervoten verfasste die Opposition, weil sie durch die Einflussnahme der Koalitionsfraktionen die tatsächlich im Ausschuss zutage geförderten Erkenntnisse nicht angemessen im Mehrheitsbericht vertreten sah. Generell legten es SPD und CDU während der gesamten Ausschussarbeit darauf an, Verantwortliche mit dem jeweiligen Regierungsparteibuch möglichst aus der Schusslinie zu nehmen. Insbesondere die beiden Aufsichtsratsmitglieder Klaus Wowereit (SPD) und Frank Henkel (CDU) sollten durch diese Arbeitsweise geschont werden – wobei gerade letzterer wohl zu den größten Versagern unter den im Aufsichtsrat der Flughafengesellschaft vertretenen Politikern zählen muss. So ging aus den Unterlagen Henkels zur Vorbereitung für die Aufsichtsratssitzungen im Jahr 2012 deutlich hervor, dass der Senator sich seine Informationen im Vorfeld zum Teil aus Presseberichten zusammensuchen ließ. Auch fanden sich in Henkels Unterlagen wiederholte Klagen darüber, dass die Senatskanzlei von Klaus Wowereit nur eingeschränkt mit der Senatsverwaltung für Inneres kooperierte. So sollen zum Teil Informationen nicht weitergegeben worden sein. Dass zwei Politiker unterschiedlicher Parteien sich gegenseitig nichts gönnen, mag zunächst nachvollziehbar sein. Jedoch widersprach dieses Vorgehen den von der Senatsverwaltung für Finanzen herausgegebenen Hinweisen für die vom Land Berlin entsandten Aufsichtsratsmitglieder. Diese haben sich auf eine gemeinsame Auffassung über die Unternehmensaufsicht zu verständigen, jedoch hielten Wowereit und Henkel samt ihrer Verwaltungen dies offenbar nicht für nötig. Für dieses Kontrollversagen sind Wowereit und Henkel klar verantwortlich, auch wenn SPD und CDU seit Jahren an der Legende stricken, die Aufsichtsräte hätten sich zwar redlich bemüht, seien aber von der Geschäftsführung schlecht informiert worden. Letzteres ist zwar richtig, kann aber ein Aufsichtsgremium nicht von der Pflicht entbinden, sich seine Informationen zur Not eigenständig zu beschaffen. Die Flughafen Berlin Brandenburg GmbH gehört zu jeweils 37% den Ländern Berlin und Brandenburg sowie zu 26% dem Bund. Demnach stand der Untersuchungsausschuss vor dem verfassungsrechtlichen Problem, dass er als Ausschuss des Berliner Landesparlaments weder Angelegenheiten Brandenburgs noch des Bundes untersuchen konnte. Dieser Umstand wurde bereits in der Anfangsphase der Ausschusstätigkeit von der Koalition dazu genutzt, das Instrument des Untersuchungsausschusses wegen der angeblichen Verfassungswidrigkeit einiger seiner Untersuchungsfragen offen in Frage zu stellen. Im Nachhinein erwiesen sich die unter anderem im Rechtsausschuss pathetisch vorgetragenen verfassungsrechtlichen Bedenken als Teil einer Schmierenkomödie von SPD und CDU. Denn bei der Abstimmung im Plenum des Abgeordnetenhauses hatten beide Fraktionen der Einsetzung des Ausschusses zugestimmt. Wären die rechtlichen Bedenken wirklich so erheblich gewesen, wie sie damals vorgetragen wurden, hätte die Koalition dem Ausschuss gar nicht zustimmen dürfen.
Falscher Standort
Ein Komplex, der zu Beginn der Tätigkeit des Untersuchungsausschusses eher zum Missfallen von SPD, CDU und Die Linke ausführlich behandelt wurde, war die frühe Phase des Projekts BER und dabei insbesondere auch die Wahl des Flughafenstandorts Schönefeld. Dass es sich bei dieser Wahl um eine folgenreiche Fehlentscheidung handelte, wollten SPD und CDU in dieser Klarheit nicht im Abschlussbericht festgehalten wissen. Entsprechende Änderungsanträge der Oppositionsfraktionen wurden abgeschmettert. Der stadtnahe Standort, der vormals als einer der ungeeignetsten für einen neuen Flughafen galt, hat zur Folge, dass zahlreiche Anwohner/innen unter dem Lärm an- und abfliegender Flugzeuge leiden werden. Der Standort geht letztendlich auf politische Ränkespiele von SPD und CDU in Berlin sowie der Länder Berlin und Brandenburg zurück und hat keine tiefer gehende fachliche Begründung. Der Flughafen sollte ursprünglich bereits im Jahr 2011 in Betrieb genommen werden, jedoch war es schon zuvor zu Verzögerungen gekommen. So wurden durch eine 2010 erlassene Verordnung der Europäischen Kommission zum Mitführen von Flüssigkeiten Umplanungen und Umbauten im Check-in-Bereich notwendig. Die einzubauenden Flüssigkeitsscanner brauchten mehr Platz, als in den ursprünglichen Planungen vorgesehen war. Ein weiterer Rückschlag war die Insolvenz des Architekturbüros IGK IGR im Februar 2010. Das Unternehmen war Teil der Planungsgemeinschaft BBI (pg bbi) und für die Innenausbauplanung zuständig. Die verbliebenen Unternehmen der pg bbi – Gerkan, Marg und Partner (gmp) und JSK – versicherten damals gegenüber der Flughafengesellschaft, die Leistungen der IGK IGR künftig selbst erbringen und somit die Folgen der Insolvenz auffangen zu können. Die Flughafengesellschaft wiederum verließ sich auf diese Zusicherungen der pg bbi und hielt am damals schon ambitioniert erscheinenden Inbetriebnahmetermin 3. Juni 2012 fest. Zusätzlich verschärft wurde die Situation durch zahlreiche Änderungsanordnungen der Geschäftsführung, die diese im Verbund mit dem Aufsichtsrat durchsetzte. Die Planungsgemeinschaft wiederum nahm die zusätzlichen Aufträge gern an – auch wenn sich das schließlich übrig gebliebene Architekturbüro gmp nach dem Rauswurf der Planungsgemeinschaft im Sommer 2012 über die vielen Änderungswünsche, die einen ordnungsgemäßen Planungs- und Bauablauf stark beeinträchtigt hätten, beschwerte.
Frühe Warnungen ignoriert
Flughafengesellschaft und Politik hielten am 3. Juni 2012 als Termin für die Inbetriebnahme bis Mai 2012, als die Verschiebung öffentlich bekannt gemacht wurde, unbeirrt fest. Und dies, obwohl seit spätestens Ende 2011 innerhalb der Flughafengesellschaft klar war, dass der anvisierte Termin ernsthaft gefährdet war. Die im Zuge des Probebetriebs beauftragte Unternehmensberatung McKinsey schrieb hierzu im März 2012 an die Geschäftsführung: „Wie in den letzten Wochen und Tagen mehrfach besprochen liegen wir insgesamt deutlich hinter unserem Plan für die Inbetriebnahme am 3. Juni 2012 zurück; der Zeitverlust von aktuell fast vier Monaten ist bis zur Inbetriebnahme nicht aufzuholen.“ Die schriftlichen Warnungen erreichten nicht alle Mitglieder des Aufsichtsrats. Rainer Schwarz behauptete später unter anderem vor dem Landgericht Berlin, er habe die Briefe am 30. März 2012 mit Wowereit besprochen. Dieser wiederum behauptete vor dem Untersuchungsausschuss das Gegenteil. Einer von beiden sagte demnach die Unwahrheit und machte sich damit strafbar. Wohlgemerkt: Bei diesen Warnungen ging es noch gar nicht um die Entrauchungsanlage, die heute als einer der Hauptgründe für die Verschiebung gilt. Bei dieser war es ebenfalls zu Verzug gekommen, sodass die Planer dem zuständigen Bauordnungsamt eine „Mensch-Maschine-Schnittstelle“ als „Interimslösung“ schmackhaft machen wollten. Dabei sollten bestimmte Entrauchungsszenarien im Ernstfall manuell ausgelöst werden. Zwar gab die Geschäftsführung gegenüber dem Aufsichtsrat immer wieder an, dass mit dem Genehmigungsprozess schon alles gut werden würde, aber dass es schriftliche Hinweise des Bauamts gab, die deutlich in die gegenteilige Richtung wiesen, ver- schwieg sie gegenüber dem Gremium. Somit deckte der Ausschuss auch eine der größten Lügen der Verantwortlichen auf, nämlich jene, dass man seitens der Flughafengesellschaft und ihres Aufsichtsrats im Mai 2012 völlig überrascht über den Zustand des Projekts gewesen sei und deshalb kurzfristig den Eröffnungstermin absagte.
Controllingbericht geschönt
Es ist wohl richtig, dass in den Aufsichtsratssitzungen nicht über den tatsächlichen Zustand des BER informiert wurde. Hierfür tragen die damaligen Geschäftsführer Schwarz und Körtgen die Verantwortung. Letzterer ließ gar einen Controllingbericht entschärfen, der auf die kritischen Entwicklungen hindeutete. In den Akten des Untersuchungsausschusses fand sich eine E-Mail seines damaligen Referenten an den Chef der Projektsteuerung sowie den Gesamtprojektleiter: „Sehr geehrte Herren, Herr Dr. Körtgen wünscht, dass das Wort ‚äußerst’ bei den kritischen Pfaden im CB (Controllingbericht) entfernt wird.“ Vor dem Untersuchungsausschuss wollte sich Körtgen nicht mehr daran erinnern, solch eine Anweisung gegeben zu haben. Dem Aufsichtsrat sollte, so legt es der Text der E-Mail nahe, ein positiveres Bild vom Zustand des Projekts gezeichnet werden, als es angemessen gewesen wäre. Dass Schwarz und Körtgen den Aufsichtsrat nicht oder falsch informierten, entbindet die Mitglieder dieses Gremiums allerdings nicht von ihrer Verantwortung. Schließlich nahm auch ein Vertreter der Brandenburger Staatskanzlei an den Besprechungen mit dem Bauordnungsamt teil und dieser hätte das Aufsichtsratsmitglied Matthias Platzeck (SPD) über die Ergebnisse informieren können.
Einer der Kardinalfehler im Krisenmanagement nach der Verschiebung der Inbetriebnahme 2012 war die vom Aufsichtsrat gebilligte Entlassung des Generalplaners pg bbi. Die Risiken, die solch ein Rauswurf mit sich bringen würde, waren innerhalb der Flughafengesellschaft zum Zeitpunkt der Entlassung bekannt. So warnte die mit dem Kündigungsprozedere beauftragte Rechtsanwaltskanzlei in einer E-Mail: „Wir hatten bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass eine Beendigung des Vertragsverhältnisses zu pg bbi für uns nicht abschließend übersehbare tatsächliche Folgen auf den Bauablauf haben kann.“ Die unüberlegte Trennung von den Planern führt schließlich zum monatelangen Stillstand auf der Baustelle. In der Rückschau war diese vom Aufsichtsrat unter Wowereit gebilligte Entscheidung ein fataler Fehler, der sich als äußerst schädlich für das Projekt erwies. Dass Wowereit in einer späteren Aufsichtsratssitzung die Entscheidung als „sachlich richtig“ bezeichnete, ist wohl ein Beleg für eine Realitätsverweigerung sondergleichen.
Konsequenzen: keine
Die Geschäftsführung und der Aufsichtsrat der Flughafengesellschaft hatten nach der Verschiebung der Inbetriebnahme kein gesteigertes Interesse, die Verantwortlichkeiten gerichtsfest benennen zu lassen. Zwar wurde eine interne Haftungsprüfung angestrengt, doch aus den Unterlagen des Untersuchungsausschusses ging klar hervor, dass das gewählte Vorgehen hierzu mehr als untauglich war. Schlussendlich hatten mit Geschäftsführung und Aufsichtsrat genau diejenigen Einflussnahme auf die Haftungsprüfung, deren Handeln untersucht werden sollte. Trotz dieses Vorgehens enthielt ein Gutachten einer beauftragten Rechtsanwaltskanzlei klare Feststellungen zu Pflichtverletzungen der Geschäftsführung unter Schwarz und Körtgen. Im Prozess vor dem Landgericht, den Schwarz nach seiner Kündigung gegen die Flughafengesellschaft führte, spielte dieses Gutachten allerdings keine Rolle. Man habe, so der Justiziar der Flughafengesellschaft vor dem Untersuchungsausschuss, im Prozess nicht alle Mittel gegen Schwarz ausgeschöpft. Eine gerichtliche Feststellung von dessen Pflichtverletzungen hätte die Stellung von Unternehmen verbessert, die gegen die Flughafengesellschaft Schadensersatzforderungen aufgrund der verschobenen Eröffnung geltend machen wollen. Schwarz, einer der Hauptverantwortlichen für das BER-Desaster, konnte mit über einer Million Euro Gehaltsnachzahlung nach Hause gehen.
MieterEcho 383 / September 2016
Schlüsselbegriffe: Untersuchungsausschuss, BER, Abschlussbericht, Aufsichtsrat, Klaus Wowereit, Unternehmensaufsicht, Flughafen Berlin Brandenburg GmbH, Flughafenstandort, IGK IGR, Flughafengesellschaft, Entrauchungsanlage, Controllingbericht