Gut, aber nicht gut genug
In Milieuschutzgebieten wurde Vorkaufsrecht angewendet, jedoch fehlen für das Instrument finanzielle Mittel
Von Rainer Balcerowiak
Angesichts dramatischer Wohnungsknappheit und zunehmendem Verdrängungsdruck in begehrten innerstädtischen Quartieren erlebt der lange Zeit im Dornröschenschlaf schlummernde Milieuschutz derzeit eine gewisse Renaissance. Aktuell sind für 33 Gebiete mit insgesamt über 300.000 Bewohner/innen soziale Erhaltungssatzungen nach § 172 Baugesetzbuch erlassen, weitere werden folgen.
Allerdings hat dieses in Berlin erstmals 1991 eingesetzte Instrument viel von seiner Schutzwirkung für die jeweiligen Kiezbewohner/innen verloren. Durch mehrere Gerichtsurteile wurde festgelegt, dass Modernisierungen, die der Schaffung des sogenannten allgemein üblichen Standards dienen, nicht unter Genehmigungsvorbehalt gestellt werden dürfen. Ebenfalls keiner Genehmigung bedürfen die besonders kostenaufwändigen energetischen Modernisierungen. Auch können gebietsspezifische Mietspiegel zur Begrenzung der Modernisierungsumlagen nicht mehr ohne Weiteres eingesetzt werden. Ob die aktuellen Versuche mehrerer Bezirke, dieses Instrument des gebietsspezifischen Mietspiegels wieder „behutsam“ zu nutzen, vor Gericht Bestand haben werden, bleibt abzuwarten. Bislang sind keine Verfahren anhängig. Auch die besonders in Mitte und Friedrichshain-Kreuzberg sehr restriktiv formulierten Prüfkriterien für die Genehmigung von Modernisierungen werden mit hoher Wahrscheinlichkeit zu juristischen Auseinandersetzungen führen, die sich um die Definition des allgemein üblichen bzw. zeitgemäßen Ausstattungsstandards drehen werden. Jedenfalls haben die Industrie- und Handelskammer Berlin und die großen Immobilienverbände bereits un-missverständlich erklärt, dass sie sich mit allen Mitteln gegen „investitionshemmende Maßnahmen“ zur Wehr setzen würden.
Bezirke und Opposition fordern Fonds für Vorkaufsrecht
Auch das ebenfalls im Baugesetzbuch verankerte Vorkaufsrecht der Gemeinden als flankierende Maßnahme zur Erreichung der Ziele einer sozialen Erhaltungssatzung wird derzeit intensiv diskutiert. Eingesetzt wurde es bislang lediglich wenige Male. Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg wandte das Vorkaufsrecht zum ersten Mal im Dezember 2015 für das Grundstück Wrangelstraße 66 an. Im Juni 2016 folgte – ebenfalls im Kreuzberger Milieuschutzgebiet Luisenstadt – das Grundstück Glogauer Straße 3. Die Anwendung des Vorkaufsrechts bei dem Block Katzler-/Großgörschenstraße in Schöneberg ist recht pikant (siehe auch folgenden Beitrag). Der bisherige Eigentümer, die Immobiliengesellschaft des Bundes (Bima), hat gegen den vom Bezirk verfügten Verkauf an eine landeseigene Wohnungsbaugesellschaft zum Verkehrswert Klage eingereicht. Die direkt dem Bundesfinanzministerium unterstehende Bima macht einen Vermögensschaden in Millionenhöhe geltend, da der anhand des Verkehrswerts gezahlte Kaufpreis deutlich unter dem vorliegenden Angebot eines privaten Investors gelegen habe. Sollte sich diese Rechtsauffassung durchsetzen, würde das zarte Flämmchen Vorkaufsrecht wohl schnell erlöschen, da weder die Bezirke, noch das Land und seine Wohnungsbaugesellschaften willens und in der Lage sind, die derzeit in begehrten Lagen gebotenen spekulativen „Mondpreise“ für Mietshäuser zu bezahlen. Davon abgesehen: Damit das Vorkaufsrecht in Berliner Milieuschutzgebieten tatsächlich Wirkung entfalten könnte, müssten entsprechende Mittel zur Verfügung stehen. Doch bislang zeigt der Senat den chronisch klammen Bezirken, die auf die Schaffung eines landesweiten Fonds zur Finanzierung derartiger Ankäufe drängen, unter Verweis auf die Haushaltslage die kalte Schulter. Ein entsprechender Antrag der Oppositionsparteien Grüne, Linke und Piraten wurde von der Regierungsmehrheit von SPD und CDU im Abgeordnetenhaus abgeschmettert. Und es gibt einen weiteren Haken. Bei Zwangsversteigerungen von Immobilien greift das Vorkaufsrecht der Bezirke zum Verkehrswert prinzipiell nicht. Das könnte so manche Eigentümergemeinschaft mit Hilfe findiger Anwälte auf die Idee bringen, diesen – letztendlich profitableren – Weg des Hausverkaufs zu wählen.
Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen genehmigungspflichtig
Aber immerhin gibt es seit März 2015 ein aktiviertes Instrument des Milieuschutzes, das einhellig begrüßt wird. Seitdem kann in Erhaltungsgebieten durch die Umwandlungsverordnung die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen unterbunden werden. Doch auch hier ist nicht alles Gold, was glänzt. Laut ersten Untersuchungen von Immobilienportalen und -verbänden führt die Umwandlungsverordnung dazu, dass Investoren verstärkt auf Gebiete ohne Milieuschutz ausweichen – was den Druck auf die dortigen Bewohner/innen entsprechend erhöht. Man kann es also drehen und wenden, wie man will: Ohne eine radikale Wende in der Wohnungspolitik, die auch weitgehende Eingriffe in die Rechte der Eigentümer nicht scheut, bleiben Regulierungen wie der Milieuschutz nur Stückwerk.
MieterEcho 383 / September 2016
Schlüsselbegriffe: Milieuschutzgebiete, Wohnungsknappheit, § 172 Baugesetzbuch, Modernisierungen, Vorkaufsrecht, Wrangelstraße 66, Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg, Immobiliengesellschaft des Bundes, Bima, Umwandlungsverordnung, Eigentumswohnungen