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MieterEcho 381 / Juni 2016

Griff nach Nischenlösungen

Bau von Mitarbeiterwohnungen soll angekurbelt werden

Von Rainer Balcerowiak    

 

Angesichts der dramatischen Wohnungsknappheit in vielen deutschen Großstädten und Ballungsräumen wollen Verbände der Bau- und Immobilienwirtschaft, die IG BAU und der Deutsche Mieterbund ein weitgehend in Vergessenheit geratenes Instrument wiederbeleben: den Werkswohnungsbau.    


Werkswohnungsbau hat in Deutschland eine lange Tradition. Im Zuge der Industrialisierung stampften große Unternehmen Siedlungen bis hin zu ganzen Stadtteilen aus dem Boden, um die Arbeiter/innen standortnah unterzubringen. Auch im rasant wachsenden Berlin sahen viele Unternehmen die Notwendigkeit, Wohnraum für ihre Beschäftigten zu schaffen. Im 19. Jahrhundert begannen stark expandierende Firmen wie die Köpenicker Textilfabrik Spindler mit dem Bau von Reihenhäusern und Backsteinbauten für ihre Arbeiterschaft. Große Konzerne wie Borsig und Siemens zogen nach und auch die Berliner Verkehrsbetriebe errichteten rund um den Betriebsbahnhof Niederschönhausen eine Siedlung für ihre Schaffner.Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte sich die Entwicklung zunächst fort, Ende der 1970er Jahre gab es fast 500.000 Werkswohnungen in Deutschland, auch bei staatseigenen Betrieben wie der Post und der Bundesbahn. Doch im Zuge der angestrebten Konzentration auf das Kerngeschäft und der zeitweiligen Entspannung vieler regionaler Wohnungsmärkte trennten sich die meisten Konzerne von ihren Beständen und verkauften die Wohnungen. Der spektakulärste Fall war der im Jahr 2000 abgeschlossene Verkauf von 114.000 Eisenbahnerwohnungen an Immobilien- und Finanzinvestoren.        

Nach Einschätzung der Verbände war dies ein Fehler. Die historischen Erfahrungen und die Untersuchung aktueller Beispiele zeigen, „dass Mitarbeiterwohnungen einen wichtigen Beitrag zur Versorgung mit preiswertem Wohnraum leisten können“. Dies sei „angesichts des Mangels für viele Unternehmen längst zu einer wichtigen Standortfrage geworden“, heißt in einer Studie der mit der Untersuchung beauftragten Forschungs- und Beratungsfirma RegioKontext. Besonders in extrem hochpreisigen Städten wie München ist selbst für Gutverdienende kaum noch adäquater Wohnraum zu beschaffen. So planen die Stadtwerke München ihren Bestand an Mitarbeiterwohnungen bis 2021 auf 1.100 zu verdoppeln. Von der Schaffung preiswerten Wohnraums kann aber dennoch kaum die Rede sein, denn bei vielen Projekten wird nicht neu gebaut, sondern die Firmen erwerben lediglich Belegungsrechte. Außerdem bewegen sich bei dem Münchener Beispiel die Nettokaltmieten bei 10 bis 12 Euro/qm.    

                                

Verbände sehen Potenzial        

In Berlin sind es derzeit eher kleinere Betriebe, die in dem Bereich aktiv werden. Das wohl auch, weil die meisten großen industriellen Komplexe aus der Stadt verschwunden sind. Doch im „alternativen Milieu“ wird hier und da nach Nischen gesucht wie bei der Demeter-Bäckerei „Märkisches Landbrot“ in Berlin-Neukölln. Das Unternehmen hat ein Haus erworben und vermietet die sanierten Wohnungen für 6 bis 6,50 Euro/qm, während die üblichen Neuvermietungspreise in der Gegend mittlerweile bei 10 Euro/qm und mehr liegen. Eigene Neubauprojekte kann der Betrieb allerdings nicht realisieren.    Dennoch sehen die Verbände ein großes Potenzial für „Mitarbeiterwohnungen“, wie sie jetzt genannt werden. Sie fordern von der Bundesregierung, aber auch von den Ländern und Kommunen, entsprechende Unterstützung. Das betrifft sowohl steuerliche Entlastungen durch Sonderabschreibungen als auch baurechtliche Lockerungen, wie für die Nutzung firmeneigener Gewerbeflächen zu Neubauzwecken. Ferner sollen Werkswohnungen auch in die aktuellen Förderprogramme für preisgebundenen Wohnungsbau einbezogen werden. Aus mietrechtlicher Sicht sind solche Wohnungen nicht unproblematisch, denn ihre Nutzung kann an das Arbeitsverhältnis gebunden werden. Ohnehin bleibt die Frage, ob in der momentanen Lage auf dem Wohnungsmarkt nicht alle Ressourcen für die Schaffung bezahlbaren Wohnraums für alle Schichten der Bevölkerung gebündelt werden müssten – ohne die Bevorzugung einzelner Beschäftigtengruppen.

 

 


MieterEcho 381 / Juni 2016

Schlüsselbegriffe: Bauwirtschaft, Immobilienverbände, Abrissprogramm, Bündnis „Abriss und Neubau“, Pestel-Institut, § 35 Baugesetzbuch, Aufwertung, Stadtteile, IG BAU, Wohnungsknappheit, Wohnraumvernichtung