Dunkelziffer bleibt hoch
Ferienwohnungen im Zeichen des Wohnungsmangels und neue Strategien von Vermietern
Von Jutta Blume
Seit dem Ende der Übergangsfrist für Ferienwohnungen sind vielleicht tausend Wohnungen wieder auf dem regulären Wohnungsmarkt verfügbar. Die Bezirksämter stehen vor einem Berg von Arbeit, gleichzeitig klagt die Vermieterlobby gegen das Land Berlin.
Seit dem 1. Mai dürfte es berlinweit nicht viel mehr als 87 Ferienwohnungen geben. Theoretisch. Für diese Anzahl wurden bis Ende 2015 Ausnahmegenehmigungen vergeben, ein paar mehr mögen bis zum 30. April hinzugekommen sein. Für alle übrigen Ferienwohnungen ist die zweijährige Übergangsfrist abgelaufen und sie müssen wieder entweder regulär vermietet oder von den Eigentümer/innen selbst genutzt werden. Allein die bekannten Vermietungsportale Wimdu und Airbnb verfügten jedoch noch Anfang Juni jeweils über 1.000 Angebote unter der Kategorie „ganze Wohnung“, bei der Vermietungsplattform 9flats waren es über 800. Unabhängig von der Frage, ob sich die Angebote auf den Portalen überschneiden oder nicht: Die gesetzliche Anforderung und die Realität klaffen weit auseinander. Die meisten Berliner/innen in den Innenstadtbezirken wissen auch zwei Monate nach dem Inkrafttreten des Verbots noch von Ferienwohnungen in ihrem Haus oder ihrer Straße. Fast jede/r kennt Betroffene, die sich über Müll, nächtliche Partys und achtlosen Strom- und Wasserverbrauch von Feriengästen beklagen. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung ruft die Berliner/innen explizit zur Mithilfe bei der Suche nach illegalen Ferienwohnungen auf und stellte im April ein Online-Meldeformular für mutmaßliche Zweckentfremdungen ins Netz. Die Bezirksämter sollen zu den 34 bestehenden Stellen im Bereich Zweckentfremdung 30 weitere erhalten. Mit der Änderung des Zweckentfremdungsverbotsgesetzes vom 6. April wurden die maximalen Bußgelder von 50.000 auf 100.000 Euro erhöht. Ist es dem Senat also ernst mit dem Zweckentfremdungsverbot und nur noch eine Frage der Zeit, bis sich die Zahl der Angebote deutlich reduziert?
„Von außen ein normales saniertes Altbau-Mehrfamilienhaus mit normalen Klingelschildern (ausgedachte Namen, z.B. Rosa Luxemburg). Läuft aber bei Booking.com oder Expedia als Hotel. Zusätzlich werden Wohnungen als ‚möblierte Apartments‘ vermietet. Alles im Milieuschutzgebiet Boxhagener Platz.“ *
Bezirke melden erste Erfolge
Nach Angaben der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung wurden den Bezirksämtern 6.300 Wohnungen als Ferienwohnungen gemeldet. Die Dunkelziffer aller Ferienwohnungen dürfte in den vergangenen Jahren das Zwei- bis Dreifache betragen haben. Und auch im Juni wurden vermutlich noch mehr als 10.000 Ferienwohnungen angeboten.
„Die Partyzone kolonialisiert die Wohnumgebung. Die Stadt ist aus Sicht der Erlebnisgastronomie weniger eine Stadt, in der Menschen leben, als eine Tourismus-Destination und Feiermeile. Die Anwohner sind in dieser Perspektive höchstens ein lästiger Störfaktor.“ **
Einige Bezirke melden zurzeit erste kleine Erfolge. In Friedrichshain-Kreuzberg wurden nach Angaben des Bezirksamts seit dem 1. Mai 475 Ferienwohnungen wieder dem normalen Wohnungsmarkt zugeführt. Im Bezirk Pankow sind es rund 100 und im Bezirk Neukölln 40. Von 276 weiteren Wohnungen konnte der zuständige Neuköllner Baustadtrat Thomas Blesing (SPD) zum Zeitpunkt der Anfrage des MieterEchos nicht sagen, ob sie sich noch im Antragsverfahren zur Weitergenehmigung der Zweckentfremdung befinden oder bereits wieder Wohnzwecken zugeführt wurden. In Mitte sind es je nach Sichtweise 200 bis 500 Wohnungen, die wieder regulär vermietet werden. „Bei rund 200 ehemaligen Wohnungen ist uns die langfristige Vermietung belegt, bei 300 Wohnungen hatten nicht die Eigentümer, sondern die Nutzer die Anträge auf Bestandsschutz gestellt“, erklärt der Stadtrat für Soziales und Bürgerdienste, Stephan von Dassel. Diesen Antrag auf Bestandsschutz dürfen aber nur die jeweiligen Eigentümer/innen stellen. Damit sind berlinweit insgesamt vielleicht 1.000 Ferienwohnungen wieder auf dem Mietwohnungsmarkt aufgetaucht. Die Frage ist nun, was mit den restlichen Wohnungen geschieht, die den Bezirken von den Anbieter/innen selbst angezeigt wurden.
Noch nicht über alle Klagen entschieden
„Einige Bezirke scheinen nicht gegen die Betreiber vorzugehen, solange die Klagen mehrerer großer Kanzleien gegen das Zweckentfremdungsverbot laufen“, meint Katrin Schmidberger (B90/Grüne). So haben verschiedene Vermieter von Ferienwohnungen, unterstützt von den Betreibern des Portals Wimdu und dem Verein „ApartmentAllianz“, Klagen gegen das Land Berlin eingereicht und bislang wurde noch nicht über alle Klagen entschieden bzw. sind die Urteile noch nicht rechtskräftig. Die Betreiber von Wimdu argumentieren, dass das Berliner Gesetz verfassungswidrig sei, da in die Eigentumsfreiheit und in die Berufswahlfreiheit eingegriffen werde. Die Ferienwohnungsanbieter/innen sehen sich gegenüber anderen Berufsgruppen wie Ärzt/innen oder Anwält/innen im Nachteil. Schließlich nutzten diese auch Wohnungen für ihre Praxen oder Kanzleien, genössen nach dem Gesetz aber Bestandsschutz. Am 8. Juni wurden die ersten vier Klagen vom Verwaltungsgericht Berlin abgewiesen und die Rechtmäßigkeit des Zweckentfremdungsverbots somit bestätigt. Dutzende weiterer Klagen sind noch anhängig, zudem wurde angekündigt, Berufung einlegen zu wollen.Auf Anfrage des MieterEchos im Juni 2016 erklärten die Bezirksämter Neukölln und Pankow, bislang noch keine Bußgelder gegen Anbieter/innen illegaler Ferienwohnungen verhängt zu haben. Der Pankower Bezirksstadtrat Torsten Kühne (CDU) sagte, „entsprechende Verfahren sind in der Bearbeitung“. In Friedrichshain-Kreuzberg seien in 18 Fällen Bußgelder verhängt worden, die jeweilige Höhe richte sich nach der Dauer der in der Vergangenheit betriebenen Zweckentfremdung, so Bezirksstadtrat Knut Mildner-Spindler (Die Linke). Der Bezirk Mitte hat Buß- und Zwangsgelder zwischen 10.000 und 30.000 Euro mit einer bisherigen Gesamtsumme von 730.000 Euro eingefordert.
„Wenn die Stadt zur Bühne und zur Kulisse der Erlebnisindustrie wird, bleiben für die Menschen, die in dieser Stadt leben und sie altmodischerweise lieber für eine Stadt als für einen Freizeitpark halten würden, Risiken und Nebenwirkungen nicht aus.“ **
Die innerstädtischen Bezirksämter sind aber noch immer damit beschäftigt, die Anträge auf Bestandsschutz abzuarbeiten und einer Vielzahl von Hinweisen aus der Bevölkerung nachzugehen.
Bußgelder als unternehmerisches Risiko
Ob das inoffizielle Angebot an Ferienwohnungen aus Angst vor drakonischen Strafen zurückgegangen ist, darüber lässt sich bislang weitgehend nur spekulieren. Alsino Skowronnek und Jonas Parnow vom Projekt „Airbnb vs. Berlin“ wollten es genauer wissen und ließen ein Computerprogramm zwischen dem 26. April und dem 25. Mai 2016 täglich mehrfach die Ferienwohnungsangebote auf der Vermietungsplattform Airbnb abrufen. Dabei zeigte sich, dass das Angebot zum 1. Mai nur leicht zurückgegangen ist, von über 12.000 Zimmern und Wohnungen auf etwa 11.000. Die Zahl der kompletten Wohnungen, also das, was unter das Zweckentfremdungsverbot fällt, ist im betreffenden Zeitraum von 6.760 auf 5.860 zurückgegangen. Die Zahl der kommerziellen Anbieter/innen, die mehr als eine Wohnung vermieten, sank von 372 auf 303, die der scheinbar nicht kommerziellen Anbieter/innen um über 700. Einen viel stärkeren Rückgang habe es im Februar gegeben, als Airbnb Briefe an die Anbieter/innen verschickte und ihnen mitteilte, dass ihre Angebote nicht den Vorschriften entsprächen, meint Skowronnek. Wahrscheinlich ging es darum, das Portal wieder so aussehen zu lassen, als handle es sich überwiegend um Angebote von Privatpersonen, die nur gelegentlich Gäste beherbergen. Wie von Ferienwohnungsanbieter/innen immer wieder angemerkt wird, ist die Anzahl der Ferienwohnungen gemessen am gesamten Berliner Wohnungsbestand marginal. Wird die vom Projekt „Airbnb vs. Berlin“ erhobene Anzahl ins Verhältnis zu den 1,89 Millionen Wohnungen in der Stadt gesetzt, beträgt der Anteil 0,3%. In Wahrheit dürfte der Anteil von Ferienwohnungen etwas höher sein, denn nicht jedes Angebot findet sich bei Airbnb wieder. Jedoch verschärft die Zweckentfremdung eine ohnehin bestehende Mangelsituation. Dem Stadtsoziologen Andrej Holm zufolge fehlen in Berlin derzeit 120.000 Wohnungen, die Wohnraumversorgungsquote erreicht nur noch 95,7%, das heißt 4,3% der Berliner Haushalte finden keine eigene Wohnung mehr. Angesichts dieser Mangelsituation sieht Holm zwei Strategien der Ertragssteigerung aufseiten der Vermieter – entweder durch Neuvermietung, bei der deutlich höhere Einkünfte erzielt werden können als im Bereich der Bestandsmieten, zum anderen durch die „extralegale Ertragssteigerung“ in Form der Vermietung als Ferienwohnung. Durch letztere können 15 bis 20 Euro/qm erzielt werden. Ein Bußgeld auferlegt zu bekommen, fällt dann in den Bereich des unternehmerischen Risikos. Wenngleich der Anteil der Ferienwohnungen gemessen am Gesamtbestand berlinweit gering ist, tragen Ferienwohnungen vor allem lokal zur Verknappung des Wohnraums bei. So wurden beispielsweise im Kreuzberger Postleitzahlbereich 10999 am 26. Mai 2016 auf Airbnb 310 Ferienunterkünfte angeboten. Gleichzeitig gibt es in diesem Gebiet kaum noch Wohnungen, die den Angemessenheitskriterien des Jobcenters gerecht werden.
„Die Gäste stören nicht, sind meist ruhig. Nachbarn sind lauter. Aber nicht gut ist, dass Wohnraum entzogen wird, dass Mieter dafür ausziehen mussten, dass Menschen hier keine bezahlbaren Wohnungen finden.“ *
Neue Geschäftsmodelle?
Neben gewerblichen Anbieter/innen von Ferienwohnungen existieren auch die vielbeschworenen privaten, die wirklich nur einen Teil ihrer Wohnung zeitweise an Feriengäste vermieten, oder nur dann vermieten, wenn sie selbst im Urlaub oder aus anderen Gründen abwesend sind. Diese Angebote gibt es nicht, weil Berliner/innen ihre Wohnungen gern mit Gästen teilen, wie es Airbnb behauptet, vielmehr sind auch sie eine Folge des Drucks auf dem Wohnungsmarkt. Nach Darstellung von Holm haben sich Wohnkosten und Einkommen in Berlin etwa seit Mitte der 2000er Jahre entkoppelt, das heißt die Wohnkosten sind unverhältnismäßig gestiegen. „Einkommensdefizite werden beispielsweise durch Untervermietung kompensiert. Das Ferienwohnungsgeschäft ist auch ein Indikator für extrem teure Mieten“, erklärt Holm. Von Portalbetreibern wie Airbnb wird bemängelt, dass es für solche Gastgeber/innen keine klaren Regelungen gebe. Auch in den Medien wurde vielfach über Fälle berichtet, in denen Menschen aus der Not heraus an Tourist/innen vermieten. Katrin Schmidberger betont jedoch: „Im Moment geht es erst einmal darum, das Gesetz überhaupt zu vollziehen, Ausnahmeregelungen wären jetzt nicht seriös umzusetzen.“Möglich ist, dass die großen Ferienwohnungsanbieter neue Geschäftsmodelle der temporären Vermietung entwickeln. Bereits 2014 berichtete das MieterEcho über die Berlin Aspire Real Estate GmbH, zu deren Geschäftspraxis nicht nur die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen, sondern auch deren weitere Vermittlung als Ferienwohnungen zählen (MieterEcho Nr. 371/ Dezember 2014). Zu den neueren Fällen von Berlin Aspire gehört neben der Helmholtzstraße 40 (siehe Seite 8) die Karl-Kunger-Straße 26 in Treptow. Nach Berichten von Bewohner/innen erwarb Aspire das damals voll vermietete Haus im September 2013 und bot den Mieter/innen Abfindungen für den Auszug an. Dem Gewerbe im Erdgeschoss wurde gekündigt und die Flächen in Ferienwohnungen umgewandelt. Auch in frei gewordenen Wohnungen gab es schnell Anzeichen von Ferienvermietungen. Nach Beobachtungen der Nachbar/innen werden die Wohnungen nun über Zeiträume von vier bis sechs Wochen und nur noch selten für wenige Tage vermietet. Sie seien komplett möbliert und würden von Reinigungskräften geputzt. Laut „Airbnb vs. Berlin“ hatte der Airbnb-Nutzer „Berlin Aspire“ Anfang letzten Jahres 24 komplette Wohnungen im Angebot. Diese sind inzwischen auf dem Portal nicht mehr auffindbar. 52 möblierte Wohnungen finden sich aber auf der firmeneigenen Internetseite, die Miete ist jeweils als Monatspreis angegeben. So wie Berlin Aspire könnten auch andere Anbieter ihre Wohnungen mittlerweile über andere Plattformen als die drei großen Ferienwohnungsportale vermitteln. Auch auf Immobilien-scout24 wächst das Angebot an möblierten Wohnungen auf Zeit, zum Teil auch für Zeiträume von unter einem Monat.
EU schützt die Share Economy
Ferienwohnungsportale wie Airbnb und Wimdu, aber auch andere Portale der sogenannten Share Economy bzw. Sharing Economy (siehe Seite 14) erhielten Anfang Juni Rückendeckung durch die EU-Kommission. Am 2. Juni legte die Kommission eine „Europäische Agenda für die kollaborative Wirtschaft vor“. Die Leitlinien der Kommission zielen auf einen möglichst ungehinderten Marktzugang. „Plattformen sollten keinen Genehmigungs- oder Zulassungsanforderungen unterliegen, wenn sie lediglich als Vermittler zwischen Verbrauchern und den Anbietern der eigentlichen Dienstleistung auftreten (z. B. Beförderung oder Unterkunft). Außerdem sollten die Mitgliedstaaten zwischen Einzelpersonen, die gelegentlich Dienstleistungen erbringen, und gewerbsmäßigen Anbietern unterscheiden, beispielsweise anhand von Schwellenwerten für den Umfang der Tätigkeit“, teilt die Europäische Kommission mit.
Online-Formular zur Meldung von (möglichen) Verstößen gegen das Zweckentfremdungsverbot von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt:
www.stadtentwicklung.berlin.de/wohnen/zweckentfremdung_wohnraum
Studentisches Projekt an der FH Potsdam „Airbnb vs. Berlin – Was sagen die Daten?“: www.airbnbvsberlin.de
Die im Titelthema verwendeten Zitate hat die Redaktion ausgewählt aus: * Kommentare zu Angaben aus der Online-Umfrage zu Ferienwohnungen der Berliner MieterGemeinschaft e. V. (www.bmgev.de) ** Buch: „Die elfte Plage – Wie Berlin-Touristen die Stadt zum Erlebnispark machen“, Peter Laudenbach, Edition Tiamat, Berlin 201
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MieterEcho 382 / August 2016
Schlüsselbegriffe: Ferienwohnungsportale, Wohnungsmangel, Ferienwohnungen, Wimdu, Airbnb, Zweckentfremdungsverbotsgesetz, Bestandsschutz, Share Economy, EU