Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 384 / Oktober 2016

„Die mieterfeindliche und kapitalfreundliche Entwicklung angeprangert“

Interview mit Aktionskünstler Kurt Jotter

MieterEcho: Du machst seit Jahrzehnten politische Kunst – warum ist das Thema Wohnen so zentral?

Kurt Jotter: Es gehört zu den Grundstandards der Menschlichkeit, eine Wohnung zu haben. Mit der Plakatkunst wollte ich der Realitätsferne der K-Gruppen entkommen und habe Serien produziert zu Umwelt, Gerechtigkeit und Politik, beispielsweise Berufsverboten. Es hat sich dann richtig verbreitert mit der Anti-AKW-Bewegung. Mir ist es immer um zwei Punkte gegangen, einerseits Gerechtigkeit – als Inhalt, um den man kämpft – und andererseits Effektivität – der Grad an Wirkung, den man erzielen kann.

Wie lief  die Verbreitung und wie war die Sichtbarkeit deiner Kunst in Berlin?

Über direkte Aktionen, Veranstaltungen, Großdemonstrationen in Westdeutschland, über die Technische und Freie Universität in Berlin. In Kneipen, Wohnungen und Fluren wurden die Plakate aufgehängt. Es gab Plakate zum Verkauf und Mobilisierungsplakate für die Bewegung. Gerade die zum Häuserkampf wurden in der ganzen Stadt geklebt, wie das berühmte Plakat mit Innensenator Lummer, der einen Polizeiknüppel schwingt und in einer Sprechblase sagt: „Alle kommen zur Demo und wehe einer fehlt!“

Gab es zum Wohnen größere Aktionen?  

Richtig kampagnenmäßig haben wir gegen den Weißen Kreis gearbeitet, zusammen mit Gewerkschaften und vielen anderen (siehe Seite 17). Für das Bürgerbegehren zur Mietpreisbindung klebte stadtweit ein Plakat in Din A0. Die Lichtkunstkampagne „Berlin wird helle“ war ein riesiges Ereignis und hat Mieter/innen und Künstler/innen vernetzt. Mit Projektionen auf Häuserwänden wurde deutlich gemacht, dass die Wohnung die dritte Haut des Menschen ist und Bedeutung für die gesamte Existenz hat. Die mieterfeindliche und kapitalfreundliche Entwicklung wurde so angeprangert. Bis hin zur Tagesschau berichteten alle.

Wie würdest du deinen Stil beschreiben?

Meine Arbeit ist getragen von einer starken satirischen Komponente. Für mich ist John Heartfield ein Idol der Fotomontage, auch mir geht es um Biss und Satire. Das Bild als Gesamtmontage, als theatralische Inszenierung mit Humor, sodass das Lachen im Hals stecken bleibt, Bewusstsein entsteht und der Anreiz, sich mit der Sache zu befassen. Es geht auch darum, ein Gefühl der Befreiung zu erzeugen, ganz im Sinne von Dario Fo: „Es wird ein Lachen sein, was sie beerdigt.“

Von  Hausbesetzungen und Großsiedlungen in den 70er und 80er Jahren über Hauptstadtbeschluss in den 90er Jahren zum Wohnraummangel heute, wie hat sich Deine Kunst entwickelt?

Schon zur Reagan-Demo habe ich mit Montagen im öffentlichen Raum begonnen. Bis heute geht es um mediale Schärfe und darum, neue Darstellungsmöglichkeiten zu erschließen sowie Irritationen zu erzeugen, zum Beispiel mittels Straßentheater, Maskenaktionen und Solo-Performances. Beim Mietenvolksentscheid habe ich befürchtet, dass der Senat das Ganze aufkaufen wird und mich entschieden, direkt mit den betroffenen Mieter/innen und Initiativen Widerstandsaktionen zu entwickeln.

In Schmargendorf, in Pankow, am Hansa-Ufer, vorm Reichstag oder bei der jüngsten Demo wurde mit der Dämmplattenperformance die energetische Modernisierung skandalisiert: Der/die Mieter/in am Pranger in der Dämmplatte. Für mich ist das ein wichtiges Thema, da ich mich immer für erneuerbare Energien eingesetzt habe, verarbeitet in dem Plakat „Klimaschutz kontra Mieterschutz, nein Danke“.

Was denkst Du, ist aktuell nötig?

Nach den Häuserkämpfen und der behutsamen Stadterneuerung haben wir jetzt auch in Berlin die weltweit agierende Spekulationsmafia. Die Gesetze sind gemacht von Leuten, die zu großen Teilen ebenfalls Hausbesitzer sind und sie werden verteidigt von Richtern, die auch Hausbesitzer sind. In gigantischer Art und Weise wird sich selbst bedient. Dagegen werden nur Rezepte mit größtmöglichem Druck greifen. Die Leidtragenden dieser Entwicklung werden mehr, deswegen muss für das Recht der Mieter/innen wieder ein Zusammenwachsen der verschiedenen Kräfte stattfinden.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Matthias Coers

Kurt Jotter hat zusammen mit der 2014 verstorbenen Aktionskünstlerin Barbara Petersen das Büro für ungewöhnliche Maßnahmen gegründet und seit 1987 betrieben. Der 1950 geborene Plakatkünstler ist weiter mit Gruppen- und Einzelperformances aktiv.


MieterEcho 384 / Oktober 2016

Schlüsselbegriffe: politische Kunst, Plakatkunst, Anti-AKW-Bewegung, Wohnsituation, Innensenator Lummer, Bürgerbegehren, Mietpreisbindung, Lichtkunstkampagne „Berlin wird helle“, Weißer Kreis, Hausbesetzungen, Großsiedlungen, Häuserkämpfe, Stadterneuerung

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