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MieterEcho 381 / Juni 2016

Belastung oder Chance?

Fehler bei der geplanten Unterbringung von Geflüchteten und Möglichkeiten für Berlin

Von Philipp Kuebart          

                                         

Der Berliner Senat plant an etwa 60 Standorten den Neubau von 24.000 Unterbringungsplätzen für Geflüchtete. Mindestens 4.500 Plätze sollen in sogenannten Modularen Unterkünften für Flüchtlinge (MUF) nach einem Entwurf der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt entstehen. Anstelle solcher Wohnheime, die die Ausgrenzung und Stigmatisierung der Bewohner/innen befördern, sollte die Chance ergriffen werden, die bereitgestellten Mittel und Grundstücke für einen kommunalen Wohnungsbau zu nutzen, der sowohl den Geflüchteten als auch der zukünftigen Quartiersentwicklung dient.                     

                           
Bundesweit ist Berlin für die schlechte Unterbringung von Geflüchteten in den Schlagzeilen. In den Notunterkünften, allen voran den ehemaligen Flugzeughangars am Flughafen Tempelhof, ist es für Hunderte in einem Raum Untergebrachte über Wochen und Monate fast unmöglich, Schlaf zu finden. Aber auch die oft Monate oder Jahre andauernde reguläre Sammelunterbringung belastet die psychische Gesundheit der dortigen Bewohner/innen und verhindert, dass Geflüchtete ein selbstbestimmtes Leben führen können.                
Bei den nun geplanten Modularen Unterkünften für Flüchtlinge (MUF) geht es um mindestens 4.500 Menschen, die – zusätzlich zu Bewohner/innen der ohnehin bestehenden und geplanten Sammelunterkünfte und Containeranlagen – in neu gebauten Wohnheimen statt in Wohnungen leben müssten. Mit der sozialen Ausgrenzung verbindet sich die Gefahr, in Form der MUFs die sozialen Brennpunkte von morgen zu schaffen. Aus den Erfahrungen der 1990er Jahre wird außerdem deutlich, dass bestehende Wohnheime auch dann weiter belegt werden, wenn die Asylantragszahlen sinken. Je mehr Plätze geschaffen werden, die nicht als reguläre Wohnungen gebaut (oder zumindest einfach in Wohnungen umwandelbar) sind, desto eher werden die Wohnstandards für Geflüchtete in Berlin auf Jahrzehnte als Sammelunterbringung festgeschrieben.          

                                 

Teurer als normaler Wohnraum                

Dabei war es noch vor wenigen Jahren in Berlin üblich, Geflüchtete im Asylverfahren oder mit Duldungsstatus in Wohnungen zu vermitteln. Dies ist meist auch die kostengünstigere Alternative. Die Berliner Ausführungsvorschrift über die Anmietung von Wohnraum nach dem Asylbewerberleistungsgesetz nimmt daher auch auf die wirtschaftlichen Vorteile der Wohnungsunterbringung Bezug. Die Tagessätze (jeweils reine Unterbringungskosten) für Privatwohnungen liegen bei ca. 8,80 Euro/Tag, bei Sammelunterkünften je nach Betreiber und Vertragslaufzeit bei ca. 15 Euro/Tag. Containerunterkünfte sind sogar noch teurer, sofern sie nicht für viele Jahre angemietet werden.                             
Nur während der ersten Monate nach der Ankunft oder in Ausnahmefällen wurden Geflüchtete früher in Sammelunterkünften untergebracht. Seit ca. 2010 jedoch wurden in Berlin bei steigenden Asylantragszahlen zahlreiche neue Sammelunterkünfte und seit 2015 vor allem Notunterkünfte eröffnet, sodass die Wohnungsquote für Flüchtlinge in Berlin von ca. 75% im Jahr 2009 bis 2013 auf etwa 58% gesunken war und heute nochmals deutlich niedriger liegt. Etwa 50.000 Geflüchtete müssen zurzeit (Stand: Februar 2016) in Sammelunterkünften leben, davon allein 10.000 in den 47 zur Notunterbringung genutzten Turnhallen. Nur wenige können in Privatwohnungen vermittelt werden. Landeseigene oder andere bezahlbare Wohnungen sind Mangelware. Bei privat vermitteltem Wohnraum scheitert ein Umzug oft daran, dass die Verwaltung nicht rechtzeitig die entsprechenden Kostenübernahmedokumente unterzeichnet.                                      

Ein MUF für alle Fälle                    

Für den Bau neuer Unterkünfte werden nun von Bund und Land Geldmittel und gleichzeitig Grundstücke zur Verfügung gestellt. Was und wie aber soll gebaut werden? Diese Frage betrifft neben der Architektur in erster Linie stadtplanerische und gesellschaftspolitische Vorstellungen. Der Senat beantwortete die Frage aus seiner Perspektive mit den im Jahr 2015 beschlossenen MUFs. Diese sollen mit minimalem Planungsaufwand eine Pauschal-Lösung bieten, die unabhängig von grundstücksspezifischen Besonderheiten funktioniert. Es handelt sich um vier- bis fünfgeschossige Gebäude in Betonfertigteilbauweise mit einer Fassade aus Betonsandwichelementen. Ein „Modul“ misst ca. 18 m mal 18 m. In den Obergeschossen sind Wohngruppen für jeweils 15 Personen (sieben Doppelzimmer mit ca. 16 qm und ein Einzelzimmer mit ca. 11 qm) mit Gemeinschaftsküche, Aufenthaltsraum und nach Geschlechtern getrennten Bad- und WC-Bereichen vorgesehen. Im Erdgeschoss befinden sich vier kleine Wohnungen (mit zwei Betten pro Zimmer) sowie Gemeinschaftsräume. Pro Standort sollen etwa sechs Module mit einer Gesamtbelegung von 450 Personen gebaut werden, dazu ein eingeschossiger „Kopfbau“ mit Pforte, Waschküche, Unterrichts- und Beratungsräumen.          

                                     

MUFs sollen 100 Jahre halten                

Der Senat bewirbt die MUFs als „qualitativ hochwertige, nachhaltige Gebäude“ für „flexible Wohnsituationen (…) auf allen zur Verfügung stehenden Grundstücken“. Die Gebäude werden energetisch auf aktuellem Stand sein und sollen 100 Jahre halten. Zumindest in Hinblick auf die unhaltbaren Zustände in den Notunterkünften scheint dies ein Schritt in die richtige Richtung. Doch welches Bild von der zukünftigen Stadt und ihrer Bewohner/innen steht hinter dem Entwurf?             
Die Unterkünfte sind nicht als sozial und baulich integrierte Stadtbausteine geplant, sondern als weitgehend in sich abgeschlossene Inseln. Sie liegen teils am Rand bestehender Wohngebiete oder gar in Gewerbegebieten. Durch Erleichterungen im Bauplanungsrecht lassen sich Flüchtlingsunterkünfte auch dort errichten, wo keine reguläre Baugenehmigung möglich wäre, weshalb der Senat die MUFs zum Teil als „Pionierbauten“ für spätere Wohngebiete nutzen möchte.            
Die Module sind groß und unflexibel, weshalb ihre Anordnung nur sehr begrenzt auf ein Grundstück und die Umgebung Rücksicht nehmen kann. 1,60 Meter hohe Zäune und der obligatorische Gang zur Pforte erschweren den alltäglichen Kontakt von MUF-Bewohner/innen und Nachbarschaft und verhindern, dass die angebotenen Freiflächen zum Ort der Begegnung werden. Vor allem bieten die MUFs nicht mehr als ein vorübergehendes Obdach. Wer immer sich nach Erhalt der Aufenthaltserlaubnis eine Wohnung suchen darf, wird die MUFs schnellstmöglich verlassen.      

                                                 

Fachleute kritisieren Amtsentwurf            

In Fachkreisen wird die planerische Qualität des Amtsentwurfs angezweifelt. Die Berliner Architektenkammer hat den Entwurf in einer Arbeitsgruppe analysiert und ihr Ergebnis bereits im Herbst 2015 dem Senat dargelegt. Demnach ist die Gebäudetiefe zu groß (aus Gründen der Belichtung sind bei Wohngebäuden 12 m üblich), viele „Wohnungen“ im Erdgeschoss haben dunkle Wohn- und Kochbereiche ohne Fenster (die damit laut Baurecht nicht als Aufenthaltsräume zählen), die Flure sind verschwenderisch groß und ineffizient. Ein späterer Umbau zu Wohneinheiten mit Küche und Bad wäre außerordentlich teuer und der Umbau entsprechend der Richtlinien des sozialen Wohnungsbaus ist praktisch ausgeschlossen. Auch das Ausschreibungs- und Vergabeverfahren steht in der Kritik. Die Beschränkung auf Generalunternehmer und der Ausschluss kostensparender Alternativvorschläge gehen zulasten von Preis und Qualität. Bauunternehmer, darunter Axel Rymarcewicz aus dem Vorstand der Schrobsdorff AG, verweisen darauf, dass zu den geplanten reinen Baukosten von etwa 2.000 Euro/qm durchaus guter regulärer Wohnungsbau machbar wäre.            
Im Januar dieses Jahres kritisierte die Berliner Architektenkammer erneut das Konzept der MUFs: „In Gebieten, wo Baurecht ansonsten nur in langwierigen Verfahren geschaffen werden kann, kann jetzt in kurzer Zeit Wohnraum errichtet werden. Wenn integrierte Stadtentwicklung dabei jedoch aus Zeitgründen nicht vorkommt, kann dies schnell dazu führen, dass genau diese Chancen im wahrsten Sinn des Wortes verbaut werden. Mithilfe neuer Bausünden wird die Integration neuer Mitbürger kaum gelingen! Die Architektenkammer Berlin fordert, dass Steuermittel nur für solche Gebäude ausgegeben werden, deren langfristige Nutzung und Einbindung in das städtische Gefüge gewährleistet ist und deren Planung durch unabhängige Fachleute angemessen begleitet wird. Der scheinbar ‚billige‘ Einkauf wird ansonsten schnell zum Fehlkauf mit teuren Folgen, die wir alle gemeinsam bezahlen müssen.“         

Trotz der Kritik hält der Senat daran fest, zumindest einen Teil der MUFs wie geplant zu bauen. Momentan ist die Rede von 10 MUFs mit insgesamt 4.500 Plätzen. Auf 12 weiteren Grundstücken sollen die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften (u.a. Stadt und Land, Howoge und Gewobag) in eigener Verantwortung Wohnraum errichten. Zugleich sollen der Berlinovo 25 Grundstücke vor allem für Mini-Apartments nach Vorbild von Studentenwohnheimen in Heidelberg und dem Studentendorf Adlershof zur Verfügung gestellt werden. Wie diese Gebäude genau aussehen werden, ist bislang noch nicht veröffentlicht. Da der zwischenzeitlich rapide angestiegene Preis für Wohncontainer wieder etwas gesunken ist, sind bis Herbst 2016 auch weitere 15.000 Plätze in temporären Containerdörfern geplant.    

 

Wohnungen statt Sammelunterkünfte            

Wie sollte Wohnraum für Geflüchtete aussehen? Die Antwort ist nicht schwierig: genauso, wie für die anderen Stadtbewohner/innen! Die Wohnung sollte ein selbstbestimmtes Leben ermöglichen, mit einem Zimmer für die Privatsphäre, je nach Lebenssituation ausreichend Zimmern für Partner/in und Familie, mit einer Küche und einem Badezimmer. Geflüchtete setzen sich daher seit vielen Jahren gemeinsam mit Pro Asyl und den Flüchtlingsräten für die Abkehr von der Sammelunterbringung ein. Und Berlin braucht ohnehin zehntausende bezahlbare Wohnungen. Ein Teil kann so schnell wie möglich durch Umnutzungen leerstehender Wohn-, Gewerbe- und Sozialimmobilien geschaffen werden, der restliche Bedarf muss durch Neubauten gedeckt werden. Vorschläge für kurz-, mittel- und langfristige Maßnahmen wurden im Fahrplan „Alternativen zu Massenlagern jetzt“ (siehe Infokasten) dargestellt.         

Wir sollten die Gelegenheit ergreifen, die Weichen für ein gelingendes Ankommen der Geflüchteten zu stellen. Häuser, in denen Geflüchtete gemeinsam mit der Bevölkerung wohnen und in denen sie nach Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis im neugewonnenen sozialen Umfeld wohnen bleiben können, bieten dafür die besten Voraussetzungen. Ein weiterer Vorteil von Wohnbau sowohl für Geflüchtete als auch für andere Gruppen mit Bedarf nach Wohnraum ist die Botschaft, dass diese nicht gegeneinander ausgespielt werden. Größe und Ausstattung (zum Beispiel Barrierefreiheit) der Neubauwohnungen sowie neue Infrastruktur (Kitas, Schulen etc.) und Freiflächenangebote sollten dem langfristigen Bedarf in den Quartieren angepasst werden. Willkommensinitiativen und ganz normale nachbarschaftliche Kontakte haben dort die beste Chance, wo Tür an Tür, nicht Block an Block, zusammen gewohnt wird.                      

 

Keine schlechte Lösung als Dauerlösung        

Der nicht zuletzt durch Stellenstreichungen herbeigeführte Mangel an Planungskapazitäten in der Berliner Verwaltung darf nicht dazu führen, dass nun die Geldmittel und Grundstücke durch schlechte Lösungen verbaut werden. Mit Wettbewerben und Aufträgen für Planer/innen kann Berlin die vielfältigen Möglichkeiten zur Erweiterung der Stadt erkennen und nutzen. Denn mit der richtigen Planung lassen sich selbst an problematischen Standorten lebenswerte Wohnungen bauen, die sogar die Wohnqualität der Nachbarschaft verbessern. Die seit einigen Jahren in München praktizierte Nachverdichtung am mittleren Ring ist dafür ein gutes Beispiel. Initiativen wie die zum Haus der Statistik am Alexanderplatz als Zentrum für Geflüchtete, Soziales, Kunst und Kreative machen deutlich, dass Berlin statt Verlegenheitslösungen auch Ideen für eine gemeinsame Entwicklung der Stadt zu bieten hat. Die Frage ist, was wir daraus machen.                                              

Dipl.-Ing. Philipp Kuebart konzipierte nach seinem Architekturstudium an der Universität Stuttgart und der TU Berlin die Ausstellung „Residenzpflicht – Invisible Borders“ zur Situation von in Deutschland lebenden Flüchtlingen und arbeitete für Büros in Stuttgart, Reykjavík und Berlin. Seit 2015 ist er Mitarbeiter bei „sol•id•ar Architekten und Ingenieure“.


Die Vorschläge für einen Fahrplan „Alternativen zu
Massenlagern jetzt“ wurden in einer gemeinsamen Presseerklärung vom Flüchtlingsrat Berlin, Bündnis Neukölln, Netzwerk Architekten für Architekten, plattformnachwuchsarchitekten.de, Initiative 100% Tempelhofer Feld  unter anderem am 4. Januar 2016 veröffentlicht.

 

 

Weitere Informationen:

www.proasyl.dehttp://www.fluechtlingsrat-berlin.de

www.fluechtlingsrat-berlin.dehttps://hausderstatistik.wordpress.com

https://hausderstatistik.wordpress.com

 

 


MieterEcho 381 / Juni 2016

Schlüsselbegriffe: Neubau, Unterbringungsplätze, Geflüchtete, Modulare Unterkünfte für Flüchtlinge, MUF, kommunaler Wohnungsbau, Notunterkünfte, Sammelunterkünfte, Containeranlagen, Architektenkammer Berlin, Berliner Verwaltung