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MieterEcho 383 / September 2016

Bauen am Bedarf vorbei

Freiflächen in Wilmersdorf werden mit Luxuswohnungen zugebaut

Von Gudrun Giese                                    

 

Brachen sehen oft unattraktiv aus. Besonders scheußlich kann allerdings ein Areal wirken, das abgeräumt und in diesem wüsten Zustand längere Zeit sich selbst überlassen bleibt. Insofern war es sehr geschickt von der Berliner Groth-Gruppe, Projektentwickler und Bauträger im Westteil der Stadt seit 1982, dass sie die zur Hälfte geräumte Kleingartenkolonie Oeynhausen im Wilmersdorfer Ortsteil Schmargendorf begrünen ließ. Sonnenblumen wurden ausgesät, um die abgeräumten Kleingärten zu begrünen  und erst einmal keine große Beunruhigung aufkommen zu lassen.                            


Auf der geräumten Teilfläche der Kleingartenkolonie Oeynhausen wird demnächst ein fragwürdiges Bauprojekt realisiert. Groth lässt dort 900 Wohnungen errichten – das Gros als Luxuseigentumsobjekte. Dabei war die insgesamt rund 93.000 qm große Kolonie Oeynhausen im Flächennutzungsplan von 1994 als Grünfläche deklariert. Diese Grünfläche wollte das Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf eigentlich baurechtlich absichern, da der Baunutzungsplan von 1958/60 das Gebiet als Bauland auswies. Die Deutsche Post als frühere Eigentümerin der Kleingartenfläche verkaufte das Areal für 598.000 Euro im Jahr 2008 an die luxemburgische Lorac, eine Tochtergesellschaft des US-amerikanischen Hedgefonds Lone Star. Am Planungsrecht änderte sich nichts, als Lorac bald darauf für einen hohen zweistelligen Millionenbetrag das Gelände an die Groth-Gruppe verkaufte, die auf der bisherigen Grünfläche Eigentumswohnungen errichten will (siehe MieterEcho Nr. 379/ Februar 2016).    

 

Ziemlich fauler Kompromiss        

Das von einer Bürgerinitiative initiierte Bürgerbegehren für den Erhalt der Kolonie Oeynhausen ging im Mai 2014 mit klarer Mehrheit für die Kleingärtner/innen aus. Doch der damalige Eigentümer Lorac drohte mit exorbitanten Entschädigungsforderungen, sollte die Baugenehmigung nicht erteilt werden. Das Bezirksamt erklärte sich für mittel- und machtlos – und der Senat hielt sich vornehm zurück. Am Ende stand ein ziemlich fauler Kompromiss: Die Groth-Gruppe, die das Areal zwischenzeitlich übernommen hatte, bot an, „nur“ die Hälfte der Fläche zu bebauen, allerdings mit 900 statt zunächst geplanten 700 Wohnungen. „Dazu werden auch achtgeschossige Häuser gehören“, berichtet Siegfried Schlosser, Bezirksverordneter in Charlottenburg-Wilmersdorf. Zunächst hatte die maximale Geschosszahl bei sechs gelegen. „Besonders interessant dabei ist, dass nach den bisher bekannt gewordenen Plänen die höchsten Bauten direkt an die verbleibende Hälfte der Kleingartenkolonie Oeynhausen grenzen sollen.“ Dass Schatten weder dem Pflanzenwuchs noch der Aufenthaltsqualität in Gärten zuträglich ist, dürfte beim Bauträger bekannt sein, dem ja auch die Koloniehälfte gehört. „Welches Interesse sollte Groth dauerhaft am Besitz von Kleingärten haben?“, fragt Siegfried Schlosser. Mit Acht-Geschossern neben Lauben dürfte sich das „Problem“ aber eventuell von selbst lösen.                                    

 

Günstige Regelungen für Groth    

Doch im Sommer 2016 besteht die Fläche noch aus einem Sonnenblumenfeld. Frühestens im Herbst sollen Kräne und Bagger anrücken, um den Bau des Mammutprojekts zu starten. Wie zuvorkommend der sowohl mit CDU wie SPD in der Hauptstadt bestens vernetzte Baulöwe Klaus Groth vom Bezirksamt behandelt wird, zeigt sich bei der Sonderregelung zum Anteil der Sozialwohnungen im Gesamtkomplex, der eigentlich bei 25% liegen müsste. Die Anfrage der Abgeordneten Katrin Lompscher von der Fraktion Die Linke erbrachte jedoch die interessante Auskunft der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt, dass „für den Dichtezuwachs ein Anteil von 25% preisgebundenen Sozialraumwohnungen vereinbart“ wurde, wie es in der Antwort der Senatsbaudirektorin Regula Lüscher vom 28. Juni heißt. Das bedeutet, dass Groth nur bei der zusätzlich genehmigten Baufläche Sozialwohnungen anbieten muss. Konkret sind das 65 preisgebundene Wohnungen, die in Relation zum Gesamtbauvolumen von 900 Wohneinheiten auf rund 90.000 qm lediglich einen Anteil von 7% ausmachen. Dass Groth CDU und SPD regelmäßig mit Spenden unterhalb der Offenlegungspflicht bedachte, wie im Frühjahr bekannt wurde, gibt solchen den Bauherren begünstigenden Regelungen einen Beigeschmack (siehe MieterEcho Nr. 382/ August 2016).             

 

Eigentumswohnungen in der Sackgasse                 

Dieses Projekt gehört derzeit zu den größten und umstrittensten in Charlottenburg-Wilmersdorf. Doch es handelt sich keineswegs um das einzige Bauvorhaben, das an dem erheblichen Bedarf nach bezahlbarem Mietwohnungsbau vorbei entsteht. Aktuell werden 136 Eigentumswohnungen an der Fritz-Wildung-Straße 14 bezugsfertig. Die Münchner Grund-Immobilien Bauträger GmbH hat die Gebäude auf frühere Gewerbeflächen und Parkplätze hingeklotzt. Die Fritz-Wildung-Straße ist eine Sackgasse, an deren Ende sich das Eisstadion Wilmersdorf, ein Hallenbad der Berliner Bäder-Betriebe sowie eine Reihe weiterer Sportplätze und -hallen befinden. Mit der Fertigstellung und dem Bezug der 136 Eigentumswohnungen dürfte sich der Charakter der Umgebung komplett verändern. Weder ist die Straße für den verstärkten Autoverkehr ausgelegt, wie sich bereits in der Bauphase zeigte, noch gibt es Antworten auf die Frage, wo in der Eislaufsaison die Besucher/innen des Stadions ihre Autos abstellen sollen. Auch stellt sich die Frage, wer an dieser Stelle eigentlich weitere Eigentumswohnungen benötigt. Denn auch wenn Wilmersdorf mit seinem Ortsteil Grunewald im Ruf steht, Wohnort vorwiegend wohlhabender bis reicher Menschen zu sein, trifft das in der Realität nicht zu. Zahlreiche Einwohner/innen Wilmersdorfs verfügen nur über ein durchschnittliches Einkommen. Zudem sind etliche der Bewohner/innen mit den unerschöpflichen Portemonnaies längst mit Luxuswohnungen versorgt – gibt es doch in Grunewald neben alten repräsentativen Wohnhäusern auch viele neue Stadtvillen. Und in Wilmersdorf wurden zudem unzählige Altbauwohnungen in den zurückliegenden Jahren zum großen Teil in Eigentumsobjekte umgewandelt. Fraglich ist also, wer in die Fritz-Wildung-Straße ziehen soll.    

 

Schleppende Realisierung        

Dem Bezirksverordneten Schlosser ist jedenfalls aufgefallen, dass sich viele der kleineren und größeren Neubauprojekte im Bezirk nach anfänglicher Eile schließlich dahinschleppen, weil offenkundig die Nachfrage nach hochpreisigen Eigentums- oder Mietwohnungen sehr viel geringer ist, als allgemein suggeriert wird. So wurde an der Uhlandstraße 103 vor mehr als einem Jahr sehr zügig nach einem Urteil des Landgerichts Berlin ein Mietshaus aus den 1960er Jahren wegen angeblicher Kontamination abgerissen, um an dieser Stelle 55 Eigentumswohnungen zu errichten. Monatelang lagen dann jedoch die „kontaminierten“ Trümmer ungeschützt auf dem Grundstück. Nach dem Wegräumen war für weitere Monate eine öde Brache zu bestaunen. Nur am Bauzaun hängende Transparente der „Project Immobilien“ verwiesen auf die Website des Projektentwicklers mit Sitz in Nürnberg und dort auf die ambitionierten Preisvorstellungen für die zu bauenden Objekte: 389.000 Euro soll beispielsweise eine rund 90 qm große 3-Zimmer-Wohnung im 1. Obergeschoss kosten. Auch im August war noch nicht mit dem Bau begonnen worden; im zweiten Quartal 2018 sollen laut Website die Wohnungen bezugsfertig sein. Ein weiteres Neubauprojekt in Charlottenburg-Wilmersdorf zeigt eindrucksvoll, wie wenig es in diesem Bezirk tatsächlich um die Schaffung bezahlbaren Wohnraums geht, sondern vielmehr darum, möglichst alle Grundstücke profitmaximierend zu verwerten. So entstand an der Seesener Straße 40-47, in der Nähe des S-Bahnhofs Halensee, in den letzten beiden Jahren ein großer Wohnkomplex mit 221 „hochwertigen“ (Miet-)Wohneinheiten und Tiefgarage. Der im Kiez sehr umstrittene Bau befindet sich auf der nach Südwesten ausgerichteten Seite der Seesener Straße, die direkt an der S-Bahn und der Stadtautobahn A 100 liegt. Der Bauträger des aus zehn Gebäuden bestehenden und 204 m langen Wohnriegels ist die Sanus AG. Die Wohnungen werden derzeit für eine Miete von 13,90 Euro/qm nettokalt angeboten.             

Vier von vielen Beispielen aktueller Bauvorhaben in Charlottenburg-Wilmersdorf. Immer mehr teurer, nicht benötigter Wohnraum entsteht dabei auf den immer rarer werdenden Freiflächen und Baulandreserven. Bedarf besteht aber vor allem nach der Schaffung von bezahlbarem Wohnraum. Dass am Bedarf vorbei gebaut wird, könnte nur die Politik stoppen.                    


MieterEcho 383 / September 2016

Schlüsselbegriffe: Freiflächen, Wilmersdorf, Luxuswohnungen, Groth-Gruppe, Kleingartenkolonie Oeynhausen, Flächennutzungsplan, Hedgefonds Lone Star, Lorac, Bezirksamt, Eigentumswohnungen, Seesener Straße 40-47