Alternativen zur Kahlschlagsanierung
In den 1960er und 1970er Jahren keimte Protest gegen die Stadtplanung auf
Von Jürgen Enkemann
Der wohnungspolitische Konflikt, der in West-Berlin in den 1970er und frühen 1980er Jahren zu Protestaktionen und den Hausbesetzungen führte, nahm seinen Ausgang bereits zu Beginn der 1960er Jahre. Die Konfrontation entspann sich zwischen sehr unterschiedlichen Perspektiven einer zukünftigen Stadtentwicklung.
Ein einschneidender und folgenreicher Schritt war der 1963 vorgelegte und 1964 vom Senat verabschiedete Sanierungsplan. In den 1950er Jahren wurde dem großen Wohnungsmangel noch dadurch begegnet, dass Neubausiedlungen und ganze Trabantenstädte auf freien Flächen geplant wurden. Als diese Bauvorhaben in den 1960er Jahre fertiggestellt waren, verlagerten die politisch Verantwortlichen den öffentlich geförderten Wohnungsneubau im Zuge von krisenbedingten finanziellen Schwierigkeiten in die bereits bestehenden älteren Stadtquartiere. Die ökonomischen Vorteile waren dabei, dass Verkehrsanbindungen, Einkaufsmöglichkeiten, Kanalisation und weitere Infrastruktur bereits überwiegend vorhanden waren. Im März 1963 wurden, begleitet von einer Erklärung des Regierenden Bürgermeisters Willy Brandt, sechs große innerstädtische Altbaugebiete in den Bezirken Charlottenburg, Kreuzberg, Neukölln, Schöneberg, Tiergarten und Wedding zu Sanierungsgebieten bestimmt. Vorgesehen war der weitgehende Abriss von zumeist instandsetzungsbedürftigen Altbauten und deren Ersatz durch geförderte Neubauten, im Rückblick Flächen- oder Kahlschlagsanierung genannt. Die insbesondere von Sozialdemokraten getragene Grundphilosophie war dabei, dass dem alten „steinernen Berlin“ mit seinen Elendswinkeln in finsteren Mietskasernen im Namen des Fortschritts ein Ende bereitet werden sollte. Als Träger der Sanierungsmaßnahmen wurden die gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften eingesetzt. Ein weiteres umfassendes Vorhaben war 1965 die Planung eines Stadtautobahnnetzes. Dessen Realisierung hätte zusätzlich zur Kahlschlagsanierung die Nachbarschaften mancher Quartiere – etwa um den Oranienplatz in Kreuzberg – zerstört und die Bewohner/innen zu Betroffenen und Vertriebenen gemacht.
Streit um eine zeitgemäße Stadtentwicklung
Die andere Seite dieser Konfliktkonstellation äußerte sich in jenen Jahren in stark beachteten Publikationen und aufkommenden Debatten, die den offiziellen Stadtentwicklungskonzepten eine inhumane und gemeinschaftszerstörende Tendenz zuschrieben. Eine Publikation dieser Art, die ein besonders starkes Echo hervorrief, war Alexander Mitscherlichs 1965 erschienenes Buch Die Unwirtlichkeit unserer Städte. Mitscherlich verfasste seine Schrift aus einer sozialpsychologisch besorgten Position heraus und betonte dabei die profitorientierten ökonomischen Vorgaben für eine funktionalistisch durchgeführte Stadterneuerung. Speziell auf Berlin bezogen war bereits ein Jahr zuvor das Buch Die gemordete Stadt von Wolf Jobst Siedler erschienen. Der Verfasser attackierte darin die damalige Bau- und Sanierungspolitik. Seine Ablehnung resultierte weniger aus einer kapitalismuskritischen Sicht als aus einem – auch von Konservativen geteilten – Wunsch nach der Bewahrung einer gewachsenen Stadt mit historischen Erinnerungen. Neben solch allgemeinen Einwänden kamen auch speziellere von einigen der Gutachter/innen, die der Senat von den städtebaulichen Lehrstühlen verschiedener Universitäten zur Beurteilung des Sanierungsprogramms für das Gebiet Wedding-Brunnenstraße herangezogen hatte. Zwar unterstützten die meisten der Gutachter/innen die Senatspläne – aber eben nicht alle. Ein besonders vehementer Einspruch kam von Professor Peter Koller und seinen Mitarbeiter/innen der TU Berlin. Sie bezeichneten in einer Studie die Sanierung durch Abriss und Neubau als ungünstigste Lösung, da der vorhandene Sozialkörper zerstört und öffentliche Gelder verschwendet würden. Empfohlen wurde eine Kombination von verschiedenen Maßnahmen wie einer Entkernung, einer Instandhaltung von Altbauten mit Teilmodernisierung, einer Ausstattung von Blöcken mit freundlichem Binnengrün und allenfalls einer minimalen Abriss- und Neubauquote. Jenes Konzept, das in den späten 1970er Jahren als „behutsame Stadterneuerung“ entwickelt wurde, scheint in dieser Studie von 1963 bereits im Wesentlichen vorweggenommen zu sein.
Schlüsselrolle Kreuzbergs
Die Senatsverwaltung ließ sich durch derartige Einwände nicht irritieren, vielmehr wurden sie als Außenseiterpositionen abqualifiziert. Die Realisierung der Stadterneuerungspläne nahm, soweit sie durchgesetzt werden konnte, in den einzelnen Bezirken einen unterschiedlichen Verlauf. Vor allem Kreuzberg kommt dabei eine Schlüsselrolle zu, an der sich die Dynamik dieser Jahre illustrieren lässt. Das dort zur Durchführung einer ersten Sanierung vorgesehene Terrain befand sich in der Umgebung von Ritterstraße, Prinzenstraße und Wassertorplatz. Nach der Ausweisung zum Sanierungsgebiet ab 1963/64 zog sich die Planungsphase mit der Klärung technischer Probleme und mit Eigentumsübertragungen hin, worauf ab 1968 die zügige Durchführung von flächendeckenden Abrissen und Neubauten folgte. Eine Betroffenenbeteiligung gab es nicht. Die Häuser waren entmietet, bevor die Pläne für die Neubebauung überhaupt bekannt wurden. Absprachen gab es lediglich mit den Eigentümern. Ein Protest gegen die neuartige Planung blieb völlig aus. Doch das änderte sich schnell.
Abriss bedroht Nachbarschaften
Die kurze Zeit später vorgesehene Sanierung im Gebiet um die Kohlfurter Straße zwischen U-Bahn und Fraenkelufer, dem sogenannten Sanierungsgebiet Kreuzberg Süd (SKS), verlief nicht mehr so widerstandslos. Nachdem im Jahr 1969 Architekt/innen zu einem Wettbewerb aufgerufen worden waren, schlossen sich mehrere von ihnen zusammen und legten einen Plan vor, demzufolge 90% der dort befindlichen Häuser als nicht sanierungsfähig abgerissen werden sollten. Als die dort Wohnenden auf einer „Erörterungsveranstaltung“ mit diesem Ergebnis konfrontiert wurden, kam es zu Empörung. Die Verwaltung reagierte auf den Protest mit weiteren Versammlungen, bei denen eine Betroffenenvertretung gewählt wurde. In der Folgezeit kam es im Planungsprozess immer wieder zu Einsprüchen der Betroffenenvertretung, Verschiebungen und neuen Beschlüssen bis hin in die spätere Zeit der „behutsamen Stadterneuerung“.
In den frühen 1970er Jahren wurde in den Sanierungsgebieten im Kreuzberger Osten eine Atmosphäre des Bedrohtseins und der Widerständigkeit deutlich wahrnehmbar. Gleichzeitig blieben die Einwände gegen die Sanierungspolitik – die etwa von dem 1969 eröffneten „Büro für Stadtsanierung und soziale Arbeit“ am Oranienplatz öffentlich zum Ausdruck gebracht wurden – auf kleine – überwiegend aus Architekturstudent/innen bestehende – Kreise begrenzt. Für die aus der 68er-Bewegung hervorgegangenen politischen Gruppierungen standen andere Politikfelder im Zentrum ihrer Aktionen. Die Wohnungsfrage galt als Nebenwiderspruch. Zudem konnten die für die Stadterneuerung Zuständigen damals noch die Umsetzung der ärmeren Bevölkerung aus vernachlässigten, finsteren Hinterhauswohnungen ohne Bad und Innentoilette in modern ausgestattete Neubauwohnungen des gleichen Bezirks oder in die noch unterbelegten Trabantenstädte Gropiusstadt, Märkisches Viertel (siehe Seite 8) oder Falkenhagener Feld als sozialen Fortschritt anpreisen.
Protest von Mieter/innen und Kirche
In Kreuzberg-SO36 ergriffen zu diesem Zeitpunkt Kirchengemeinden mit ihrem direkten Kontakt zu den dort ansässigen ärmeren Bevölkerungsschichten die Initiative zu Ansätzen eines Widerstands gegen die Kahlschlagsanierung. Besonders bekannt wurde in diesem Zusammenhang Klaus Duntze, der Pfarrer der Martha-Gemeinde am Kanal-Winkel zwischen der Reichenberger Straße und dem Paul-Lincke-Ufer. Er hatte bereits 1970 nach Diskussionsrunden unter dem Motto „Kirche in der Stadt“ zwei Symposien im zeitweise leer stehenden ehemaligen Bethanien-Krankenhaus angeregt. Als Folge davon bildete sich ein „Initiativausschuss“ gegen die drohenden Sanierungsmaßnahmen. Duntzes Engagement zur Verhinderung der Sanierung in der geplanten Kahlschlagversion beschränkte sich nicht nur auf solche Aktivitäten. Vielmehr setzte er mit seinem 1972 veröffentlichten Buch Der Geist der Städte baut auch theoretisch die von Alexander Mitscherlich angestoßene Kritik an den als „modern“ gepriesenen Stadterneuerungskonzepten jener Jahre fort. Nach einer detaillierten Beschreibung des Kreuzberger Stadtteils SO 36 mit seiner Mischung aus Wohnen und Gewerbe, seinen Nachbarschaftsbeziehungen, die Duntze in seinem Buch als Bindemöglichkeiten anerkennend erwähnt, ohne sie zu romantisieren, holt er in seinen Überlegungen weit aus und zitiert die Klassiker des Marxismus sowie auch die verschiedensten Stadtsoziologen. Mit dem „Geist“, der die Städte baut, meint Duntze den Funktionalismus der Moderne als ein ideologisches Produkt der bürgerlichen Gesellschaft und eine ökonomische Stütze kapitalistischer Profitinteressen. Um diesem entgegenzuwirken, müssten Duntze zufolge die Kriterien für eine weitgehend erhaltungsorientierte Sanierung aus der Gegend selbst gewonnen werden. Pfarrer Duntze blieb in der Folgezeit im Stadtteil SO 36 ein wichtiger Vermittler von Diskussionsrunden zum Thema und von Vorstößen bei den Behörden und Sanierungsträgern. Zu einer Opposition gegen die Stadterneuerung in ihrer vorgesehenen Form sowie gegen den weitgehenden Ausschluss von Betroffenen aus der Planung kam es nicht nur in Kreuzberg, sondern in gewissem Grad auch in anderen Bezirken. Hervorzuheben ist hier das Sanierungsgebiet Charlottenburg, wo sich 1973 die Mieterinitiative Klausener Platz gründete. In der Folgezeit wurde in mehreren ausgewiesenen Sanierungsgebieten eine Beteiligung an Planungssitzungen durchgesetzt und die Wohnungsbaugesellschaft „Neue Heimat“ richtete Mieterbeiräte ein.
Neue Strategien für Kreuzberg
In Kreuzberg führten die kritischen Vorstöße zu einem zunächst sehr erfolgreich erscheinenden Ergebnis, als der Senat die Ausschreibung des Wettbewerbs „Strategien für Kreuzberg“ verkündete. Damit sollten neue Planungsvorstellungen unter Berücksichtigung von Betroffenen zumindest durchgespielt werden. Begünstigt wurden ein gewisses Innehalten im bisherigen Sanierungsprozess sowie die Anhörung von Betroffenen durch leichte Änderungen der Richtlinien im Jahr 1976. Die Flächensanierung war wesentlich langsamer vorangeschritten als geplant, da sie mit sehr vielen Schwierigkeiten und Verzögerungen beim Aufkauf der abzureißenden Häuser und der Umsetzung der Mietparteien verbunden war. Um eine schnellere Durchführung zu ermöglichen, sollte die Erneuerung nun nicht mehr unbedingt Kahlschlagsanierung bedeuten. Die Blockstrukturen sollten erhalten bleiben, indem die Vorderhäuser von Altbauten an den Blockrändern modernisiert wurden, während für die dahinter liegenden Teile eine Entkernung vorgesehen war. Das zu dieser Zeit vorrangig in Anspruch genommene öffentliche Förderprogramm ZIP (Zukunftsinvestitionsprogramm) war allerdings an den Abriss gebunden, auch wenn dieser jetzt eingeschränkt wurde. Das Programm förderte, darauf wurde in kritischen Kommentaren zunehmend hingewiesen, eine ausgedehnte Spekulation mit Wohnhäusern. So wurden „Abschreibungsgesellschaften“ gegründet, um für Hauseigentümer aus dem Leerstand und dem Unterlassen der Instandhaltung im Rahmen des Förderprogramms Gewinne herauszuschlagen.
Trotz der geänderten Richtlinien drohte dem jeweiligen sozialen Zusammenhalt in den zur Sanierung vorgesehenen Stadtvierteln weiterhin die Zerstörung. Dies wurde besonders im Beitrag „Zielvorstellungen des Kirchenkreises Kreuzberg“ für den Strategien-Wettbewerb betont. Der Wettbewerb war, ungeachtet der Skepsis von Beteiligten, bedeutsam als Anstoß für Diskussionen, sich eingehender mit der Entwicklung des Stadtteils zu befassen. Aus einer Gruppe, die für ihren Wettbewerbsbeitrag prämiert wurde und den Vorschlag anschließend weiterentwickelte, ging der Verein „SO 36“ hervor.
Unverständnis bei den Anwohner/innen
Während der Wettbewerb im Frühjahr 1977 noch lief, erfolgte ein spezieller Abriss, der in der alternativen Szene und auch in anderen Bevölkerungskreisen im Stadtteil auf besonderes Unverständnis stieß. Dieser Abriss erregte Misstrauen gegenüber der Bereitschaft der öffentlichen Hand, den bisherigen Sanierungskurs wirklich zu überdenken. Es handelte sich um das Gebäude der Feuerwache in der Reichenberger Straße 66, das am 5. Mai desselben Jahres von Jugendlichen früh morgens besetzt worden war, nachdem am Tag zuvor bereits bauliche Zerstörungsarbeiten begonnen hatten. Vom Senat war an der Stelle die Errichtung einer großen „Wettkampfhalle“ geplant. Die Durchführung des Abrisses lag jedoch in den Händen der Bezirksverwaltung. Nach Protesten auch aus dem Kreis des „Strategien-Komitees“ wurden die Abrissarbeiten zunächst eingestellt. Die Besetzergruppe befestigte an der Außenwand ein großes Transparent mit der Aufschrift „Dieses Haus soll ein Bürgerhaus werden“. Zudem wurden verschiedene Projekte vorgeschlagen, die das Gebäude nutzten sollten. Als einige Zeit später das zum Komplex gehörende Pumpenhaus und dann das gesamte Gebäude der Feuerwache abgerissen wurde, hatte sich außerhalb des gesperrten Areals eine größere Ansammlung von fassungslosen Zuschauer/innen eingefunden. Das Gebäude machte einen stabilen Eindruck, hatte eine interessante Struktur und wäre, so lauteten die kritischen Kommentare in verschiedenen Medien, gut geeignet gewesen für eine Nutzung durch kulturelle oder soziale Projekte.
Beginn der „Instandbesetzungen“
Im Wettbewerb „Strategien für Kreuzberg“ verloren in dieser Zeit die Kompromissankündigungen der staatlichen Seite an Glaubwürdigkeit, während die Widerständigkeit im Stadtteil eine neue Entschlossenheit erlebte. Besonders aktiv wurde die „Bürgerinitiative SO 36“, die sich im Zuge des Wettbewerbs neben dem stärker von öffentlichen Stellen abhängigen „Verein SO 36“ gebildet hatte. Die Bürgerinitiative SO 36 organisierte Mieterversammlungen, protestierte öffentlich gegen die Sanierungsplanungen und führte Kampagnen gegen den Leerstand von Wohnungen durch.
Bei den Eigentümern hatte die Bürgerinitiative SO 36 mit ihren Aktionen wenig Erfolg und auch mit einer Anzeige gegen Wohnungsleerstand als „Zweckentfremdung“ von Wohnraum kam sie nicht weiter. Darauf schritt sie im Februar 1979 zur Tat und drang in zwei Häuser in Kreuzberg ein – das eine in der Görlitzer Straße 74 und das andere in der Lübbener Straße 3 – um diese vor dem Verfall zu retten und durch notwendige handwerkliche Arbeiten bewohnbar zu machen. Das Wort „Instandbesetzung“ wurde geprägt und fand öffentliche Beachtung. „Lieber instandbesetzen als kaputtbesitzen“ war als eingängiger Slogan an vielen Häuserwänden zu lesen. Im Laufe des Jahres 1979 erfolgten noch einige weitere Instandbesetzungen in Kreuzberg SO 36. Sie hatten alle zum Ziel, Leerstand zu beenden sowie Widerstand gegen die staatlichen Sanierungspläne mit ihrer Zerstörung sozialer Zusammenhänge aufzubauen. Sie bildeten den Auftakt für den sogenannten Häuserkampf, der zum Jahreswechsel 1979/1980 begann.
Mit der IBA zur behutsamen Stadtentwicklung
Allerdings kam es Ende der 1970er Jahre mit der Vorbereitung der Internationalen Bauausstellung (IBA) noch zu einem anderen Anstoß zur Verhinderung des vom Senat ursprünglich vorgesehenen großflächigen Abrisses in Kreuzberg. Das IBA-Projekt war eine Gründung des noch von der SPD geführten Senats mit dem zum linken Parteiflügel gehörenden Bausenator Harry Ristock und reagierte in seiner spezifischen Ausrichtung auf die Proteste und Aktionen von Betroffenen im Kreuzberger Stadtteil SO 36. Dort sollte das Programm unter dem Motto „Behutsame Stadterneuerung“ als sogenannte Altbau-IBA (im Unterschied zum Neubauteil der IBA an anderen Stellen der Stadt) zur Anwendung kommen. Der Planungsdirektor dieses IBA-Teils war von 1979 an der Architekt und Professor an der Hochschule für bildende Künste Hardt-Waltherr Hämer. Er hatte zuvor im bereits erwähnten Charlottenburger Sanierungsgebiet um den Klausener Platz mit seinem Architekturbüro die Erneuerungen dirigiert. Als Gegner der Kahlschlagsanierung machte Hämer die Erhaltung von Bausubstanz, die preiswerte Modernisierung von Wohnungen und die Planung gemeinsam mit der Bewohnerschaft zum Leitfaden des Programms der Altbau-IBA.
Diese Prinzipien entsprachen grundsätzlich auch den Vorstellungen der Instandbesetzer/innen, aber es kam dennoch immer wieder zu Differenzen zwischen ihnen und der IBA. Letztere hatte, ungeachtet ihrer Bekenntnisse zur Einbeziehung der Betroffenen, doch auch eigene Planungsvorstellungen, die von der Politik gespeist wurden und nicht auf alle nachbarschaftlichen Gewohnheiten und schon gar nicht auf alle Visionen der Besetzergruppen von einer neuen Art des Zusammenlebens eingehen konnten. In den Einschätzungen der Wirksamkeit von Hausbesetzerbewegung und IBA sind später unterschiedliche Kommentare abgegeben worden, und es soll hier offen bleiben, welcher Anteil in Kreuzberg wichtiger zur Verhinderung der ursprünglichen Sanierungsabsichten gewesen ist. Dass jedoch nur eine dieser beiden Triebkräfte die neue stadtteilerhaltende Entwicklung ermöglicht hätte, ist schwer vorstellbar.
Jürgen Enkemann lehrte als habilitierter Dozent für Literatur- und Kulturwissenschaft an der Universität Potsdam. In jüngerer Zeit ist er in stadtteilbezogene Aktivitäten in Kreuzberg involviert und hauptverantwortlich für die Kiezzeitschrift „Kreuzberger Horn“.
MieterEcho 384 / Oktober 2016
Schlüsselbegriffe: Kahlschlagsanierung, 1960er Jahre, 1970er Jahre, Protest, Stadtentwicklung, West-Berlin, Hausbesetzungen, Alexander Mitscherlich, Kreuzberg, Pfarrer Klaus Duntze, Sanierungsmaßnahmen, Spekulation, Instandbesetzungen