Alles andere als „gut und sicher“
Vor 12 Jahren wurde die Siedlung zum ersten Mal verkauft: Der Fall Grazer Damm
Von Jutta Blume
Nach dem Verkauf der GSW erlebte die Siedlung am Grazer Damm eine schnelle Folge von Weiterverkäufen an Fondsgesellschaften und Einzelanleger. Heute stehen die Mieter/innen unübersichtlichen Eigentums- und Verwaltungsstrukturen gegenüber. Doch bald könnte sich ein Teil der Bestände beim Immobilienriesen Vonovia wiederfinden.
Der Grazer Damm ist stark befahren, die schlichten Blöcke aus den 1930er Jahren wirken zur Straße hin massiv und abweisend. Die Innenhöfe sind dagegen grüne Oasen mit Wiesen und recht alten Bäumen, dazwischen ein paar Spielgeräte. Ein Slogan der städtischen Wohnungsbaugesellschaft GSW lautete früher „gut und sicher wohnen“. Für Jochen Schmid* war das ein Lebensgefühl und in der Ruhe des Innenhofs lässt es sich noch immer nachvollziehen. Schmid lebt seit Jahrzehnten in der Siedlung am Grazer Damm. Die sechs großen Blöcke mit ursprünglich sehr einfachen Arbeiterwohnungen stammen aus der Nazizeit. Gebaut wurde mit ausreichendem Abstand, damit im Fall eines Bombenangriffs nicht alle Häuser in Mitleidenschaft gezogen wurden. In den 1980er Jahren wurde die Siedlung modernisiert, das Ensemble steht heute unter Denkmalschutz. Die Modernisierung konnte die einfache Bauweise nur teilweise wettmachen, so blieben die Wohnungen aufgrund der dünnen Wände bis heute extrem hellhörig. Doch das ist bei Weitem nicht die größte Sorge von Schmid. „Heute fragt man sich ständig: Wann kommt die nächste Mieterhöhung, wann kommt der nächste Käufer?“.
Drei Verkäufe in einem Jahr
Die erste Welle der Mieterhöhungen kam, nachdem die städtische Wohnungsbaugesellschaft GSW am 27. Mai 2004 an die Finanzinvestoren Cerberus und Whitehall verkauft wurde. Schon wenige Monate später, am 7. Oktober 2004 verkauften die neuen Eigentümer die Wohnsiedlung am Grazer Damm mit 1.529 Wohnungen weiter an die Vivacon AG. Diese behielt nur einen kleineren Teil der Wohnungen, 886 Wohnungen veräußerte sie am 22. Dezember 2004 an die österreichische Fondsgesellschaft Conwert. Sowohl Conwert als auch Vivacon verfolgten die Strategie der Einzelvermarktung der Wohnungen als Eigentumswohnungen. Teile der ehemaligen Arbeitersiedlung erhielten zu diesem Zweck wohlklingende Namen wie „Grazer Gärten“ und „Riemschneider Hof“. Während Conwert über ihren Makler Alt & Kelber an Privatanleger weiterverkaufte, bot Vivacon Eigentumswohnungen im Erbbaurecht an. Käufer sollten somit die Wohnungen erwerben, das Grundstück blieb im Besitz der Vivacon – gegen die langfristige Zahlung von Erbbauzinsen.
Zur Aufwertung gehörten auch neue Balkone, die auf Metallständern vor die Fassaden gestellt wurden. „Damals hat die GSW mit Hinweis auf den Denkmalschutz sogar Markisen verboten, nach dem Verkauf war der Denkmalschutz auf einmal ausgehebelt“, berichtet Schmid.
Infolge der Finanzkrise geriet die Vivacon ins Straucheln und meldete 2009 Teilinsolvenz an. Die Wohnungen am Grazer Damm, für die sie damals kaum Käufer finden konnte, hatte die Vivacon jedoch schon früher an den australischen Investor Babcock & Brown verkauft. Doch auch dieser überlebte die Finanzkrise nicht und wurde nach 2009 liquidiert. Mit der Liquidation von Babcock & Brown blieben jedoch des-sen Fondsgesellschaften mit Sitz in Luxemburg erhalten. Die Wohnungen am Grazer Damm finden sich vermutlich – soweit sie nicht einzeln verkauft wurden – bei dem Investmentfonds BGP Immobilien wieder. Im Jahr 2007 verfügte die BGP über ein Portfolio mit einem Wert von 3 Billionen Euro, mit Schwerpunkt auf dem deutschen Immobilienmarkt. Seit 2015 sendet BGP kontroverse Botschaften an die Öffentlichkeit. Zum einen wurde über eine Exit-Strategie nachgedacht, zum anderen war die Rede davon, den Wohnungsbestand verdoppeln zu wollen. Was den Exit anging, wurde auch mit Conwert über eine Übernahme verhandelt, im August 2015 teilte Conwert jedoch das Ende der Gespräche mit. Warum Conwert letztlich kein Interesse an BGP mit 40% der Wohnungsbestände in Berlin hatte, bleibt unklar.
Conwert Immobilien Invest SE ist an der Wiener Börse notiert und war bereits 2003 in den Berliner Wohnungsmarkt eingestiegen. Setzte der Konzern anfänglich eher auf den Einzelverkauf von Wohnungen, heißt es heute: „Unser Ziel ist es, Immobilien mit regionalem Fokus auf Österreich und Deutschland langfristig zu bewirtschaften und weiterzuentwickeln.“ Laut seinem letzten Finanzbericht verfügt Conwert über rund 19.000 Wohneinheiten in Deutschland, davon rund 4.400 in Berlin. Die Durchschnittsmiete der Berliner Wohnungen von Conwert liegt heute bei 6,27 Euro/qm. Auch in den Häusern am Grazer Damm sind Mieten wie auch Kaufpreise seit dem GSW-Verkauf kräftig gestiegen. Der Altmieter Werner Hein* berichtet, für seine 50-qm-Wohnung 400 Euro zu zahlen. „Die gleiche Wohnung über mir kostet 750 Euro.“ Laut des Wohnmarktreports 2016 des Immobiliendienstleisters CBRE und der Bank Berlin Hyp liegen die Angebotsmieten im Postleitzahlbereich 12157, zu dem die Siedlung am Grazer Damm gehört, zwischen 9,00 und 9,99 Euro/qm nettokalt. Eindrücklich ist auch die Entwicklung der Kaufpreise. Cerberus und Whitehall zahlten für die GSW-Wohnungen 493 Euro/qm, Conwert bereits 680 Euro/qm. „2004 wurde mir meine Wohnung für 1.000 Euro/qm zum Kauf angeboten“, erinnert sich Hein. Der Preis hatte sich also innerhalb von weniger als einem Jahr verdoppelt. Kürzlich erfuhr er, dass seine Wohnung erneut, diesmal für 125.000 Euro, den Besitzer wechseln soll, also für rund 2.500 Euro/qm. Die meisten Wohnungen in der Siedlung sind heute im Besitz von Kleinanlegern aus verschiedenen europäischen Ländern, aber auch aus dem arabischen Raum. Unvermietete Wohnungen sind laut Hein nicht mehr zu haben.
Undurchsichtige Strukturen
Für die Mieter/innen ist die Situation durch die Verkäufe in den vergangenen 12 Jahren immer unübersichtlicher geworden. Anfänglich war noch die GSW mit der Hausverwaltung beauftragt. Die aktuell eingesetzte Hausverwaltung ist nur noch für die Außenanlagen, die Heizung und die Treppenhäuser zuständig. Alles, was in den Wohnungen passiert, ist Sache der jeweiligen Eigentümer, respektive der von ihnen eingesetzten Hausverwaltungen. Das reicht von Instandhaltungsarbeiten in den Wohnungen bis hin zu Konfliktlösungen zwischen den Mietparteien oder selbst nutzenden Eigentümern. Bevor ein Wasserschaden repariert wird oder lärmende Mieter/innen angesprochen werden, vergehen manchmal Wochen, bis die Zuständigkeit geklärt ist, meint Hein. Arbeiten an den Gemeinschaftsflächen, etwa die Instandhaltung der Treppenhäuser, müssen von der Eigentümerversammlung beschlossen werden. Nur hätten die nicht dort wohnenden Anleger kaum Interesse daran. Auch die zunehmende Fluktuation beunruhigt die Mieter Schmid und Hein. „Früher haben Hausgemeinschaften über Generationen zusammen gewohnt, heute kenne ich keinen mehr“, meint Hein.
Neueste Nachrichten deuten darauf hin, dass es auch am Grazer Damm ein Ende der Zersplitterung geben könnte. Anfang September hat die Vonovia, mit 340.000 Wohnungen derzeit der größte Vermieter in Deutschland, ein Übernahmeangebot für Conwert gemacht. Bis Mitte Dezember sollten die Aktionäre über das Angebot entscheiden. Die Zustimmung des größten Conwert-Aktionärs, der Adler Real Estate AG, die 26% der Anteile hält, hat sich Vonovia bereits gesichert. Die deutschen und österreichischen Kartellbehörden haben die Übernahme bereits genehmigt. Bereits im April 2015 hatte die Deutsche Wohnen versucht, Conwert zu übernehmen, konnte aber die Mehrheit der Aktionäre nicht überzeugen. Ebenfalls gescheitert ist die feindliche Übernahme der Deutsche Wohnen durch die Vonovia im Februar dieses Jahres. Wäre der Deal gelungen, hätte die Vonovia gleich 146.000 Wohnungen geschluckt. Die Offerten machen jedoch eins deutlich: Die Zeit der Zersplitterung der Wohnungsbestände geht zu Ende, statt dessen versuchen private und börsennotierte Unternehmen, Vorrangstellungen auf regionalen Märkten, vor allem in gefragten Städten wie Berlin, zu erkämpfen. Mieter/innen hätten bei einer Übernahme durch das größte deutsche Wohnungsunternehmen wohl kaum Vorteile zu erwarten. Das Mieterforum Ruhr hat bereits Erfahrungen mit der Vonovia gesammelt und äußerte im Mai in einem offenen Brief an das Unternehmen seinen Unmut. So führten die Konzentration der Bestände und die Beschäftigung eigener Unternehmen zu keinen Ersparnissen für die Mieter/innen. Vielmehr seien die Betriebskosten gestiegen und deren Abrechnung intransparent.
MieterEcho 385 / Dezember 2016
Schlüsselbegriffe: Grazer Damm, GSW, Vonovia, Mieterhöhungen, Cerberus und Whitehall, Erbbauzinsen, Babcock & Brown, Immobilienmarkt, Adler Real Estate AG