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MieterEcho 377 / Oktober 2015

Von oben herab reformiert

Kompromiss zum Mietenvolksentscheid wird Gesetz

Von Rainer Balcerowiak                                    

Am 1. Januar 2016 soll das „Gesetz über die Neuausrichtung der sozialen Wohnraumversorgung in Berlin“ in Kraft treten. Angepriesen wird es als eine Art „historischer Kompromiss“ zwischen dem Bündnis Mietenvolksentscheid und der SPD-Fraktion. Im Juni hatte das Bündnis über 40.000 Unterschriften für einen Gesetzentwurf übergeben und damit das Quorum für die erste Stufe eines Volksbegehrens deutlich überschritten. Wenig später begannen vertrauliche Gespräche, zunächst mit der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und später mit der SPD-Fraktion. Diese galten zwar offiziell nur als „informell“ ,  doch von vornherein war klar, dass auf einen gemeinsamen Gesetzentwurf hingearbeitet werden sollte, der den Volksentscheid „überflüssig“ machen würde. Eine entsprechende Einigung wurde Mitte August erzielt, seit Ende August liegt der Gesetzentwurf vor. Zwar ist das parlamentarische Prozedere noch im Gang, da aber der Koalitionspartner CDU signalisiert hat, das Gesetz mitzutragen, bestehen an der Verabschiedung keine Zweifel.           

 

Der Gesetzentwurf ist im Kern die Fortschreibung der sozialdemokratischen Wohnungspolitik der vergangenen Jahre. Anknüpfungspunkte sind das im Dezember 2012 vereinbarte „Mietenbündnis“ mit den sechs kommunalen Wohnungsunternehmen und die 2014 erlassenen „Verwaltungsvorschriften für die soziale Wohnraumförderung des Miet- und Genossenschaftswohnungsbaus“. Mit beiden Instrumenten sollte zum einen eine Deckelung der Mietbelastung für einkommensschwache Haushalte in den Wohnungen der Wohnungsbaugesellschaften und zum anderen ein Wiedereinstieg in den sozialen Wohnungsbau durch Zuschüsse und Belegungsbindungen realisiert werden. Vorgesehen ist damit nicht die Schaffung dauerhaft preiswerten Wohnraums in öffentlicher Trägerschaft, sondern lediglich eine zeitlich begrenzte Kappung der Mieten.          

 

Subjekt- statt Objektförderung        

Mit dem neuen Gesetz werden diese Ins-trumente modifiziert und erweitert, ohne das Prinzip der Subjektförderung, also der Bezuschussung von Mieten anstatt der Schaffung von billigem Wohnraum, anzukratzen. Artikel I bezieht sich auf den bereits existierenden sozialen Wohnungsbau, inklusive der bereits aus der Anschlussförderung gefallenen Wohnungen. In diesen insgesamt rund 130.000 Wohnungen gelten für einkommensschwache Mieter/innen künftig Kappungsgrenzen. Je nach Energieeffizienz des Gebäudes wird die Nettokaltmiete auf 25 bis 30% des Haushaltsnettoeinkommens gedeckelt. Bezuschusst werden nur „angemessene Wohnflächen“, beispielsweise bei einem 2-Personen-Haushalt maximal 65 qm. Der Mietzuschuss ist auf 2,50 Euro/qm begrenzt. Ausgeschlossen wird die Subventionierung von Mieten, wenn der Mietvertrag erst nach Inkrafttreten des Gesetzes geschlossen wird. Profitieren von dieser Regelung können nach ersten Schätzungen rund 25.000 Haushalte im noch gebundenen sozialen Wohnungsbau. Doch auch für die Vermieter von nicht mehr geförderten Wohnungen des sozialen Wohnungsbaus ist das Gesetz ein warmer Regen. Obwohl dies nur rund 21.000 der 130.000 Sozialwohnungen betrifft, wird dafür fast die Hälfte der auf 40 Millionen Euro pro Jahr geschätzten Kosten für das Programm draufgehen.                                

 

Landeseigene Wohnungsunternehmen bleiben AG und GmbH        

Artikel II des neuen Gesetzes definiert die Aufgaben der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften, die derzeit über rund 285.000 Wohnungen verfügen. Unter anderem heißt es: „Die landeseigenen Wohnungsunternehmen tragen durch Wohnungsneubau, Instandsetzung, Instandhaltung und Modernisierung bestehenden Wohnraums, Ankauf von geförderten und nicht geförderten Wohnungen zu einem ausreichenden Wohnraumangebot mit sozialverträglichen Mieten bei.“ Mindestens 30% aller neu errichteten Wohnungen der Wohnungsbaugesellschaften sollen mit Mitteln aus dem Wohnraumförderfonds errichtet werden. Die Vergabe von Bestandswohnungen soll zu 55% an einkommensschwache Haushalte erfolgen. Davon wiederum sollen 20% (also insgesamt 11%) „besonderen Bedarfsgruppen“ vorbehalten bleiben. Aufgezählt werden Obdachlose, Flüchtlinge und betreutes Wohnen. Wie im sozialen Wohnungsbau sollen Mieter/innen der Wohnungsunternehmen auf Antrag eine „Härtefallregelung“ in Anspruch nehmen können, mit der die Mietbelastung (nettokalt) bei 30% des Nettoeinkommens gekappt wird. Allerdings ist die Wohnflächenobergrenze bei den Wohnungsbaugesellschaften restriktiver. Zuschussfähig sind beispielsweise für einen 2-Personen-Haushalt nur 60 qm. Bei Transferleistungsbeziehenden (Hartz-IV bzw. Grundsicherung) beinhaltet die Härtefallregelung die Übernahme der Differenz zwischen den auf gesetzlicher Grundlage übernommenen Wohnkosten und der veranschlagten Miete.            

Zur Eigenkapitalausstattung der Wohnungsbaugesellschaften sollen ihnen unentgeltlich landeseigene Grundstücke als Sachwerteinlage übertragen werden. Barmittelzuführungen – wie im Gesetzentwurf des Mietenbündnisses vorgesehen – sieht das Gesetz nicht vor. Ihre Überschüsse müssen die Wohnungsunternehmen zukünftig nicht mehr an das Land abführen, sondern sie verbleiben in den Unternehmen. Ferner erhalten Mieter/innen bei den Wohnungsunternehmen künftig mehr Anhörungs- und Mitbestimmungsrechte, unter anderem einen Platz im 9-köpfigen Aufsichtsrat jeder Wohnungsbaugesellschaft.    Im Artikel III des Gesetzes wird die Einrichtung einer Anstalt öffentlichen Rechts (AöR) als nachgeordneter Behörde der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung geregelt. Die AöR soll künftig „politische Leitlinien in Bezug auf die Wahrnehmung des Versorgungs- und Wohnungsmarktauftrags durch die landeseigenen Wohnungsunternehmen entwickeln, evaluieren und fortschreiben“. Sie erhält ein Vetorecht bei der Veräußerung von Vermögensanteilen der Wohnungsbaugesellschaften, verfügt aber über keinen eigenen Etat und darf nicht wirtschaftlich tätig werden. Das Mietenbündnis hatte in seinem Gesetzentwurf die Umwandlung der Wohnungsbaugesellschaften in AöR vorgesehen, was von der SPD allerdings strikt abgelehnt wurde. Besonders dieser „Kompromiss“ sorgt an der Basis des Mietenvolksentscheids für heftigen Unmut. Denn die Wohnungsunternehmen sollten ursprünglich als eigenwirtschaftlich operierende Unternehmen aufgelöst und in AöR mit dem Land als Träger überführt werden. Noch im Juli hatten Sprecher des „Mietenbündnisses“ diese Festlegung als „unverhandelbar“ erklärt. Doch davon ist jetzt keine Rede mehr.                               

 

Förderfonds abhängig von Situation des Landeshaushalts            

Artikel IV des Gesetzes regelt die Einrichtung eines Sondervermögens als Wohnraumförderfonds. Mit dem Fonds sollen Bau und Modernisierung von Wohnungen sowie der Erwerb von bezugsfertigen Neubauwohnungen, von bestehendem Wohnraum und von Belegungsrechten finanziert werden. Das Vermögen kann nur auf Grundlage von Verwaltungsvorschriften, die einvernehmlich von der Bau- und der Finanzverwaltung des Senats erlassen wurden, eingesetzt werden. Das heißt im Klartext: Ausstattung und Einsatz des als Institution nicht rechtsfähigen Sondervermögens erfolgen nach Kassenlage und nicht nach verbindlichen Planzahlen. Für die beiden kommenden Jahre gibt es zumindest für die Neubauförderung bereits Haushaltstitel. 2016 sollen 2.500 Wohnungen mit insgesamt 160 Millionen gefördert werden, für 2017 sind 3.000 Wohnungen mit einem Fördervolumen von 193 Millionen Euro geplant.             

Drei weitere, eher formale Artikel des Gesetzes regeln schließlich die Aufsicht für den Wohnraumförderfonds, die Aufgaben der Investitionsbank Berlin (IBB) und das Inkrafttreten des Gesetzes.                                

 

Symptombekämpfung anstelle von Ursachenbehebung            

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass es sich bei dem Gesetzeswerk weniger um eine wohnungsbaupolitische Offensive, sondern vielmehr um eine Art soziales Fürsorgegesetz für ein begrenztes Segment des Berliner Wohnungsmarkts handelt. Zwar ist die Ausweitung der Subjektförderung in den Beständen des sozialen Wohnungsbaus und der städtischen Wohnungsbaugesellschaften für die Betroffenen eine willkommene und auch bitter nötige Hilfe, doch das Kernproblem des Berliner Wohnungsmarkts bleibt weitgehend unberührt. Es fehlt schlicht an bezahlbarem Wohnraum für breite Schichten der Bevölkerung und es fehlt am politischen Willen, durch forcierten kommunalen Wohnungsbau ein wachsendes Segment von Wohnungen bereitzustellen, die dem Markt dauerhaft entzogen sind. Die Frage, ob sich ihr Engagement angesichts dieses Ergebnisses gelohnt hat, müssen sich vor allem die vielen Unterstützer/innen des Mietenvolksentscheids stellen.      

 

 


MieterEcho 377 / Oktober 2015

Schlüsselbegriffe: Bündnis Mietenvolksentscheid, Quorum, Gesetzentwurf, soziale Wohnraumförderung, Belegungsbindung, Subjektförderung, Objektförderung, Kappungsgrenzen, Nettokaltmiete, Mietzuschuss