Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 374 / Mai 2015

Senat sucht Schuldige

Stadtforum zum Wohnungsneubau in Berlin gerät zur Kritik an den Berliner/innen

Von Jutta Blume                                        

„Welchen Wohnungsneubau braucht Berlin?“ lautete der Titel des ersten Stadtforums in diesem Jahr, an dem Mitte April rund 400 Berliner/innen teilnahmen. Dass Wohnungsneubau notwendig ist, ist zum Glück keine Streitfrage in der Berliner Politik mehr. Doch statt die selbst gestellte Frage mit der interessierten Bevölkerung zu erörtern, bekamen die Berliner/innen den längsten Teil des Abends Schuldzuweisungen zu hören. Weil sie nicht zu Veränderungen in der Nachbarschaft bereit seien, könnte Wohnungsneubau nicht im erforderlichen Ausmaß stattfinden. Die Folge: Der Nachfragedruck nimmt zu und die Mieten steigen. Entsprechend dieser Logik wären die Berliner/innen selbst dafür verantwortlich, dass sie sich ihre Wohnungen nicht mehr leisten können, und nicht etwa der Berliner Senat, der zwei Jahrzehnte lang überhaupt keine Wohnungspolitik betrieb und noch dazu Wohnungsbestände und Liegenschaften privatisierte.                            


In den letzten vier Jahren sei Berlin um 175.000 Einwohner/innen gewachsen und mit einer ähnlichen Dynamik werde auch in den kommenden Jahren gerechnet, erklärte Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD) während des Stadtforums. „Bisher sind die Zuzüge in den bestehenden Wohnungsmarkt gegangen. In den nächsten zehn Jahren müssen wir über 100.000 Wohnungen bauen.“ Instrumente zur Mietpreisdämpfung wie die voraussichtlich zum 1. Juni 2015 in Kraft tretende sogenannte Mietpreisbremse könnten den Druck auf den Wohnungsmarkt nicht auffangen, solange nicht mehr bezahlbarer Wohnraum geschaffen würde. Die kommunalen Wohnungsbestände sollen auf 400.000 aufgestockt werden, darüber hinaus würden Investoren mit städtebaulichen Verträgen dazu verpflichtet, auf Grundstücken des Landes 25% der jeweils geplanten Wohnungen mit Sozialbindung zu errichten. Doch die landeseigenen Grundstücke sind die Krux der Berliner Wohnungspolitik, denn sie wurden in den vergangenen Jahren zum großen Teil über den Liegenschaftsfonds veräußert. Flächen für 170.000 potenzielle Wohnungen hätte der Senat ermitteln können, so Geisel, doch nur 15% dieser Flächen gehörten dem Land Berlin. „Angesichts der Entscheidung zu Tempelhof fehlen uns 5.000 Wohnungen auf städtischem Grund“, klagte Geisel, und: „Wer in Berlin Freiräume schützen will, muss dicht bauen.“ Die Durchsetzung und die Dichte aktuell geplanter Projekte wie die der Groth-Gruppe am Mauerpark oder in Lichterfelde-Süd erscheinen so als eine Folge der Entscheidung gegen die Bebauung des Tempelhofer Felds.                                    

„Soziales Gut mit Renditeerwartung“            

Was Geisel bei seinen Ausführungen zu Neubauprojekten nicht erwähnt, sind die Absprachen, die oft zwischen der öffentlichen Hand und Investoren getroffen werden, bevor überhaupt eine Bürgerbeteiligung stattfindet. Hilmar von Lojewski vom Deutschen Städtetag lag daher nicht ganz richtig, wenn er den Berliner/innen eine zu große Skepsis gegenüber ihren Landespolitikern vorwarf. Ein grundlegendes Problem brachte er dennoch auf den Punkt: „Eine Dekade nicht stattfindender Liegenschaftspolitik hat lange Nachwirkungen.“ Mangels Flächen in der Stadt solle man sich auch über ein gemeinsames Wohnungsbaumodell zwischen Berlin und seinem Umland Gedanken machen.    

Über die Frage, auf welchen Flächen Wohnungsbau stattfinden kann und wie dicht dieser sein soll, kam die Diskussion kaum hinaus. „Wohnen als soziales Gut ohne Renditeerwartung wäre das Optimum“, erklärte von Lojewski, „Wohnen als soziales Gut mit Renditeerwartung ist der Regelfall“. In nachfragestarken Räumen gebe es zudem Wohnen als reines Wirtschaftsgut.     

Am meisten Beifall erhielt beim Stadtforum der Beitrag des Wiener Stadtrats für Wohnen, Wohnbau und Stadterneuerung, Michael Ludwig. Wenngleich auch dort Druck auf den Wohnungsmarkt herrscht (MieterEcho Nr. 370/ Oktober 2014), wohnen dennoch 60% der Bevölkerung in einer geförderten Wohnung. Die Stadt Wien will in diesem Jahr 641 Millionen Euro für die Wohnungsbauförderung ausgeben. Der Berliner Wohnungsneubaufonds für mietpreisgebundene Wohnungen beträgt dagegen nur die Hälfte – und das für einen Zeitraum von fünf Jahren.

 

 


MieterEcho 374 / Mai 2015

Schlüsselbegriffe: Stadtforum, Wohnungsneubau, Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel, Mietpreisbremse, kommunale Wohnungsbestände, landeseigenen Grundstücke, Groth-Gruppe, Neubauprojekte, Hilmar von Lojewski, Berliner Wohnungsneubaufond

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