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MieterEcho 374 / Mai 2015

Projektionen und Realitäten

Berlins öffentliche Wohnungsbaugesellschaften in der Stadtpolitik

Von Sebastian Gerhardt                                    

Die sechs öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften Berlins haben Konjunktur. Sie nehmen nicht nur am Aufschwung der Immobilienwirtschaft teil, der ihnen auf einem engen Wohnungsmarkt stabile Erträge und neue Investitionsmöglichkeiten eröffnet, sondern erfreuen sich auch großer politischer Zuwendung. Der Senat schreibt ihnen in seinen wohnungs- wie stadtpolitischen Vorhaben eine wichtige Rolle zu und darüber hinaus existiert sogar die „revolutionäre“ Vorstellung, dass die Wohnungsbaugesellschaften tatsächlich wieder Wohnungen bauen sollen. Selbst die außerparlamentarische Initiative für ein „Mietenvolksbegehren“ (Seite 15) hat den Umbau der öffentlichen Wohnungsunternehmen zum Herzstück ihres Gesetzesvorhabens gemacht.     

                                    

Die Zeit der Privatisierung öffentlicher Wohnungsbestände ist erst einmal vorüber und die neue Anerkennung der Bedeutung eines kommunalen Wohnungsbestands zu begrüßen. Die Frage ist nur, wie lange diese positive Entwicklung anhalten wird. Dass heute die verschiedensten politischen Richtungen zur Erfüllung ihrer Ziele auf die Mittel der sechs landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften (Degewo, Gewobag, Gesobau, Stadt und Land, Howoge und WBM) setzen, heißt noch lange nicht, dass sich die Stadtpolitik von den neoliberalen Vorstellungen der letzten 15 Jahre verabschiedet hätte. Im Gegenteil lassen Senat und Abgeordnetenhaus nach wie vor die Kapitalverwertung unangetastet, auch bei den öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften. Dabei gehören die Gesellschaften dem Land Berlin und das Land könnte ihnen daher als Eigentümer sehr wohl präzise Vorschriften machen und sie weniger betriebswirtschaftlich ausrichten. Tut es aber nicht. Stattdessen schloss der Senat mit seinen Wohnungsbaugesellschaften ein sehr luftiges „Mietenbündnis“. Und die oppositionelle Partei Die Linke sorgt sich, dass die öffentlichen Gesellschaften durch zu viele politische Vorgaben überfordert werden könnten.              

 

Falsche Prognosen            

Die Wurzeln dieser ganz besonderen Verrücktheit liegen in den Jahren 2001 bis 2004, als die Rettung der Gläubiger der Bankgesellschaft auf Kosten der Allgemeinheit zur obersten Richtschnur stadtpolitischen Handelns wurde. Nach einer Kapitalerhöhung von zwei Milliarden Euro folgte die Riskoübernahme für die Bankgesellschaft am 9. April 2002. Danach musste der rot-rote Senat dringend zusehen, wie er anderswo Geld einsparen konnte. Nach dem Tarifbruch im öffentlichen Dienst am 8. Januar 2003 bot sich dafür die Wohnungsbauförderung an. Am 27. Januar 2003 legte das Beratungsunternehmen Empirica den Endbericht einer Expertenkommission zur Anschlussförderung vor. Gleich auf der dritten Seite stand, warum Berlin keinerlei Wohnungsbauförderung mehr braucht: Die Bevölkerung werde langfristig auf 3 bis 3,1 Millionen Menschen sinken. „Auch die, die Wohnungsnachfrage stützende, weitere Haushaltsverkleinerung, kann den Trend der sinkenden Zahl der Einwohner nicht kompensieren. Fast alle Haushaltsprognosen für Berlin rechnen daher ab 2015 mit einem lang anhaltenden und sich beschleunigenden Rückgang der Zahl der Haushalte und einem damit sinkenden Wohnungsbedarf.“ Wohlgemerkt: „ab dem Jahr 2015“. Prognosen sind immer schwierig, vor allem wenn sie sich auf die Zukunft beziehen. Dass dasselbe Beratungsunternehmen Empirica bereits zwölf Jahre zuvor, 1991, mit der Vorhersage eines deutlichen Bevölkerungswachstums in Berlin bis zum Jahr 2000 klar falsch gelegen hatte, schien die Auftraggeber in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung ohnehin nicht gestört zu haben.                                     

Ausstieg aus der Anschlussförderung                

Am 4. Februar 2003 beschloss der Senat den Ausstieg aus der Anschlussförderung. Dem System des alten „Sozialen Wohnungsbaus“ muss man keine Träne nachweinen. Die politischen Absichten der Architekten dieses Ausstiegs gingen aber weiter. Bereits im Dezember 2002 hatten sie bei der Unternehmensberatung Ernst & Young ein Gutachten zur Wirtschaftlichkeit der damals mit der GSW noch sieben städtischen Wohnungsbaugesellschaften in Auftrag gegeben. Und dieses Gutachten kam gerade wegen des Endes der Wohnungsbauförderung zu alarmierenden Ergebnissen: Die Liquidität der Gesellschaften werde trotz geplanter Bestandsverkäufe und Kreditaufnahme bis zum Jahr 2007 um 60% zurückgehen. Der Instandhaltungsstau betrage bereits 1,4 Milliarden Euro. Die Eigenkapitalquote sei niedrig und dabei hätten die Gesellschaften ihre Bestände wahrscheinlich noch zu hoch bewertet. Und schließlich seien die Verpflichtungen aus den vielen Jahren der Wohnungsbauförderung (die Aufwendungsdarlehen an die Gesellschaften) noch nicht komplett in die Bilanzen aufgenommen. Es drohe Überschuldung. Risiken überall.                

Kurz nach dem Hochkochen des Bankenskandals sah sich das rot-rote Parlament mit einer neuen großen Pleite konfrontiert. Die Senatsverwaltung und das Abgeordnetenhaus hielten das Gutachten von Ernst & Young für so brisant, dass eine Veröffentlichung überhaupt nicht infrage kam. Die Protokolle der entsprechenden Parlamentsausschüsse blieben vertraulich, wenn das Gutachten Thema wurde. Das lag aber nicht nur an seiner Risikoanalyse, sondern auch am darin enthaltenen Ausweg. Raushalten sollte sich der Senat, weil ihm nicht genug „Ressourcen zur unternehmerischen Führung“ zur Verfügung stünden. Nur über eine Kontrolle der finanziellen Kennzahlen sollte weiter buchhalterischer Einfluss genommen werden. Wie sich die Finanzergebnisse durchgreifend verbessern lassen konnten, stand auch im Gutachten: „Der derzeit (…) angestrebte Mindestbestand in den städtischen Wohnungsgesellschaften von 300.000 eigenen Wohnungen ist zu überprüfen und mithilfe geeigneter Verfahren auf ein realistisches und tatsächlich erforderliches Maß anzupassen.“ Wohlgemerkt: „ein realistisches und tatsächlich erforderliches Maß“. Der Verkauf der GSW mit 65.000 Wohnungen im Sommer 2004 bildete die konsequente Umsetzung dieser Empfehlung. Die PDS rechtfertigte den Verkauf mit der „existenziellen Überschuldung“ der kommunalen Wohnungsunternehmen. Privatisierung als Sachzwang. Erst zwei Jahre später beim Versuch einer Privatisierung der WBM waren die politischen Widerstände zu stark.                             

 

Gewinne für das Land            

Die Wohnungsbaugesellschaften verschwanden wie die Wohnungsfrage für fast fünf Jahre von den Titelseiten. Die Entwicklung ihrer Bilanzen zeigte, wie falsch die Untergangsphantasien von Ernst & Young gewesen waren. Die Gesellschaften erwirtschafteten im laufenden Geschäft Gewinne und bauten ihre wirtschaftliche Basis aus. Auch die Einbeziehung der Aufwendungsdarlehen änderte an dieser Entwicklung wenig. Zwar weist die Gewobag seit dem Jahresabschluss 2010 ein negatives Eigenkapital aus, denn nach Einbeziehung aller Aufwendungsdarlehen übersteigen die Schulden die nominellen Vermögen, aber das Überleben der Gesellschaft ist damit nicht prinzipiell infrage gestellt. Allein von 2010 bis 2013 nahm das Eigenkapital der sechs städtischen Wohnungsbaugesellschaften um mehr als 500 Millionen Euro – von 2,38 auf 2,9 Milliarden Euro – zu.        

Das ist einer der Gründe, warum sich die Stadtregierung wieder gern in der Nähe seiner Wohnungsunternehmen zeigt. Es lauern dort nicht nur keine Gefahren mehr, sondern es lassen sich wirtschaftliche Mittel für politische Ziele mobilisieren. Dennoch können die Parlamentsparteien hinter die Grundsatzentscheidungen der Jahre 2001 bis 2004 nicht zurück. Motto: Es ist besser, wir halten uns aus jeder Form von Wirtschaft heraus und lassen das die richtigen Profis machen. Für die meisten Abgeordneten passen Demokratie und Wirtschaft nicht zusammen. Selbst dann nicht, wenn es sich um öffentliche Unternehmen handelt. Aber die Politiker scheuen nicht bloß die Verantwortung. Sie sind vielmehr fest davon überzeugt, dass politische Einflußnahme auf den Wohnungsmarkt nur als eine Art Reparaturbetrieb gegen Marktunvollkommenheiten und für soziale Randgruppen zulässig sei. Dafür wollen sie kein großes Geld in die Hand nehmen und fragen höflich bei den von ihnen eingesetzten Vorständen der Wohnungsunternehmen, ob die in ihren Budgets noch Platz für die eine oder andere soziale Verzierung finden. Solange diese Grundhaltung nicht aufgebrochen wird, kann man sich vieles von den Wohnungsbaugesellschaften wünschen und manches in sie hinein projizieren. Nur bekommen wird man es nicht. Selbst wenn das Geld da ist.      

 

Endbericht der Expertenkommission zur Anschlussförderung unter:

www.stadtentwicklung.berlin.de/wohnen/anschlussfoerderung/index.shtml

 

 


MieterEcho 374 / Mai 2015

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