Leben in der Box
Containerisierung der Wohnungsversorgung nimmt europaweit zu
Von Jutta Blume
Notbehelf bei Wohnungsmangel, Strafmaßnahme für „schwierige“ Mieter/innen, Zwischennutzung von Bauland: Containersiedlungen erfüllen eine Vielzahl von Funktionen und breiten sich europaweit zunehmend aus.
In Berlin werden Containerwohnungen für Studierende noch als neue und coole Art des Wohnens gefeiert. In den Niederlanden tauchten diese Behausungen bereits Anfang der 2000er Jahre auf, um Abhilfe gegen die studentische Wohnungsnot zu schaffen. Seit 2003 gibt es in Delft Wohncontainer für Studierende, sogenannte Spaceboxes, die aber alles andere als viel Platz bieten. Keetwonen, eine Siedlung aus 1.000 Schiffscontainern in Amsterdam, wurde 2006 fertig gestellt und ist nach Angaben der Firma Tempohousing das größte Containerdorf der Welt. Ursprünglich als temporäre Lösung für fünf Jahre genehmigt, darf Keetwonen nun bis zum Jahr 2016 bleiben. Da sich die Situation auf dem Wohnungsmarkt kaum entspannt hat und auch in anderen niederländischen Städten ähnliche Siedlungen entstanden sind, dürfte mit einer weiteren Verlängerung gerechnet werden. So baute Tempohousing im an Amsterdam grenzenden Diemen einen weiteren Standort mit 250 Containern. Im Projekt Keetwonen sind die Container 30 qm groß, haben Fenster an den schmalen Enden und ein Bad und eine Küchenzeile in der Mitte. Sie kosten derzeit 380 Euro nettokalt. In den Niederlanden haben Studierende, die eigene Wohnungen bewohnen, Anspruch auf Wohngeld. Dies ermöglicht Vermietern, hohe Preise zu verlangen, selbst wenn die Qualität der Wohnung nicht besonders gut ist. Doch nicht nur Studierende werden in gestapelten Transportbehältern untergebracht, Tempohousing bietet auch Lösungen für Obdachlose und sogenannte Arbeiterhotels (Labour Hotel). In letzteren sind vor allem Saisonbeschäftigte aus Ost- und Südosteuropa einquartiert. Eines von ihnen ist komplett an eine Zeitarbeitsfirma vermietet, die darin polnische Beschäftigte unterbringt.
Ausgrenzung „schwieriger“ Mieter/innen
Ebenfalls Container werden in den Niederlanden für sogenannte Skaeve Huse eingesetzt, ein Konzept, das wie sein Name aus Dänemark kommt und „seltsame Häuser“ bedeutet. Skaeve Huse sollten in Dänemark der Bekämpfung der Obdachlosigkeit dienen. Der Ansatz dahinter ist, Menschen in erster Priorität mit Wohnraum zu versorgen, damit eine Grundlage geschaffen wird, um gesundheitliche und Drogenprobleme angehen zu können. In den Niederlanden geht die Tendenz der Skaeve Huse allerdings mehr in Richtung Ausgrenzung, wie ihr Beiname „Aso-Woning“ erahnen lässt. Für Aufruhr in der internationalen Presse sorgte Ende 2012 der Beschluss der Amsterdamer Regierung, Einwohner/innen als Strafe für schlechtes Verhalten in Container an den Stadtrand umzusiedeln, wo sie von Polizei oder Sozialarbeiter/innen beobachtet werden. Wer seine Nachbar/innen einschüchtert, belästigt oder bedroht, läuft seither Gefahr, zur Strafe zwangsumgesiedelt zu werden. Im Mai 2014 gab es in sieben niederländischen Städten derartige Siedlungen. Weitere Städte planen, solche einzurichten. In Polen ist bereits seit Jahren die Umsiedlung von als „schwierig“ erachteten Mieter/innen in abgelegene Containerdörfer üblich. Als „schwierig“ gelten oft schon diejenigen, die sich die steigenden Mieten nicht mehr leisten können oder auf eine Sozialwohnung warten, wie die Mietaktivistin Katarzyna Czarnota berichtet (MieterEcho Nr. 360/ Mai 2013). Containersiedlungen gibt es am Rand vieler größerer und kleinerer Städte, beispielsweise in Poznań (Posen) und Łódź (Lodz). Die Unterbringung in den kaum isolierten und schlecht beheizbaren Baucontainern geht mit sozialer Stigmatisierung einher. Fehlende Verkehrsverbindungen, Umzäunungen mit Stacheldraht und Kameraüberwachung tragen zum Ghetto-Image bei. Von einer öffentlichen Anprangerung berichtete die Nachrichten-Website infoseite-polen.de am 25. Mai 2013: „Etwas besonderes hat sich die städtische Wohnungsbaugesellschaft im Städtchen Stronie Śląskie ausgedacht. Sie hat an ihre Container eine große Tafel anbringen lassen: ‚Container für Leute, die ihre Miete nicht zahlten.‘“ Tatsächlich gibt es immer weniger Sozialwohnungen und bezahlbaren Wohnraum in Polen. In den Städten liegen Tausende von Räumungstiteln vor. Zwangsräumungen sind seit 2011 selbst dann zulässig, wenn nur vorübergehender Ersatz in Behelfsunterkünften zur Verfügung steht. Die Anforderungen an den Ersatzwohnraum sind gering. Eine Heizmöglichkeit sowie ein Wasseranschluss – zumindest im Hof – müssen vorhanden sein und jedem/r Bewohner/in sollen mindestens 5 qm Wohnfläche zur Verfügung stehen. Das Provisorium wird angesichts fehlender Wohnungen häufig zur Dauerlösung.
Profitable Zwischennutzung
Während die Zwangsumsiedlung von Mieter/innen in Polen den Vermietern ermöglicht, wieder an eine zahlungskräftigere Klientel zu vermieten, erweisen sich die Wohncontainer auch andernorts als profitables Modell. So bieten sie die Möglichkeit, Bauland zwischenzunutzen und gleichzeitig Einnahmen zu generieren. Das Wohnheim Keetwonen entstand auf einem Grundstück, auf dem ursprünglich ein Gefängnis geplant war. Das Labour Hotel von Tempohousing sollte 2013 umziehen, um das Grundstück für den Bau von gehobenen Wohnungen freizugeben. Auf die Zwischennutzung von temporär nicht genutzten Grundstücken zielt auch das Projekt Heijmans ONE, eine Art Wohncontainer für den etwas gehobenen Anspruch. Der niederländische Projektentwickler Heijmans hat mit den vorgefertigten, zweigeschossigen Holzcontainern eine Zielgruppe im Auge, die zu viel verdient, um Wohngeld zu beziehen und gleichzeitig zu wenig, um sich auf dem freien Markt eine Wohnung leisten zu können. „Heijmans ONE ist eine Reaktion auf die Knappheit guter und bezahlbarer Mietwohnungen für junge Menschen, die in einer Stadt neu starten. (…) Nach Angaben des CBS (Statistischer Service der Regierung) wird diese Zielgruppe im Jahr 2050 ca. 700.000 Personen umfassen“, schreibt die Firma auf ihrer Internetseite. Seit Anfang Dezember 2014 lässt sie in einem der mobilen Häuser in Amsterdam probewohnen, im Jahr 2015 soll die Vermarktung beginnen.
Unterkunft für Obdachlose
Die umgebauten Schiffscontainer der Firma Tempohousing haben auch im britischen Brighton Einzug gehalten. 36 ehemals Obdachlose zogen im Dezember 2013 in die Container, die der Brighton Housing Trust auf Richardson‘s Yard errichtete, einem Gelände, das zuvor zu einem Schrottplatz gehörte. Presseberichten zufolge hat Brighton eine relativ hohe Zahl von Obdachlosen. Brighton Housing Trust spricht zwar nur von 70 bis 100 Personen, aber die Organisation Antifreeze berichtet von 788 Personen, die im Jahr 2013 im Rahmen der Kältehilfe Unterstützung erhielten. Die 36 Container stellen nur für einen Teil der Obdachlosen eine Alternative dar, nämlich für diejenigen, die sich die Miete leisten können. Mit 650 Pfund pro Monat sind die Unterkunftskosten nämlich alles andere als günstig, wobei sie auch hier zumindest teilweise über staatliches Wohngeld finanziert werden. Die teure Miete und der hohe Stromverbrauch waren auch die wichtigsten Kritikpunkte, die die Bewohner/innen in einer im Frühjahr von Juliet Amoruso von der Universität Sussex zusammen mit dem Brighton Housing Trust durchgeführten Umfrage zu ihrer Wohnsituation äußerten. Da das eingebaute Heizsystem nicht funktioniert, müssen sie mit Strom heizen, was hohe Kosten verursacht, wie 60% der Befragten fanden. Damit einher geht die schlechte Isolierung der Container. Grundsätzlich unglücklich mit ihrem neuen Zuhause äußerten sich die Leute nicht, positiv fanden sie beispielsweise, einen eigenen verschließbaren Wohnraum mit Küche und Bad zu haben. Die Bewohner/innen von Richardson‘s Yard in Brighton sind kaum diejenigen, die zuvor ein Leben auf der Straße führten, sondern waren bei Bekannten oder in Hostels untergekommen und haben zum Teil auch feste Arbeitsstellen. Die Zahl dieser „technisch Obdachlosen“ könnte angesichts der britischen Wohnungspolitik in den nächsten Jahren eher zu- als abnehmen (MieterEcho Nr. 364/ Dezember 2013). Einige äußerten daher auch die Befürchtung, nach den maximal zwei Jahren in Richardson‘s Yard wieder auf der Straße zu stehen. Das Gelände und die Container hat der Brighton Housing Trust für fünf Jahre von der Projektentwicklungsgesellschaft QED gepachtet. Bei dieser Art sozialer Zwischennutzung fällt einiges an Gewinn für sie ab. 900.000 Pfund soll sie in die Entwicklung und Errichtung investiert haben, 1,4 Millionen kann sie einnehmen, wenn die Miete über die fünf Jahre gleich bleibt.
MieterEcho 372 / Februar 2015
Schlüsselbegriffe: Wohnungsversorgung, Europa, Containersiedlungen, Spaceboxes, Amsterdam, Tempohousing, Studierende, Wohnungsmarkt, Skaeve Huse, Keetwonen, Polen, Obdachlose, Brighton Housing Trust