Lärmende Ausnahmen
Durch die Praxis der Flugsicherung werden große Gebiete abseits von festgelegten Flugrouten verlärmt
Von Benedict Ugarte Chacón und Thorsten Grünberg
Fluglärm ist für Anwohner/innen in der Nähe von Flughäfen nicht nur störend, sondern kann zu erheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen. Die deshalb erforderlichen Schallschutzmaßnahmen sind oft bereits während der Planfeststellungsverfahren für Flughäfen einer der Gründe für vehemente Streitereien über die künftigen Flugrouten. Festgelegt werden die Routen allerdings erst kurz vor der Inbetriebnahme eines Flughafens vom Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung. Die Flugrouten liegen damit nicht mehr in der Hand irgendeiner Landesregierung. Doch wie auch immer sie festgelegt werden, in der Praxis werden sie oft gar nicht eingehalten. Insbesondere um den Flughafen Tegel herum werden Gebiete verlärmt, die von Überflügen gar nicht betroffen sein sollten.
Zuständig für die Steuerung des Luftverkehrs ist die Deutsche Flugsicherung. Diese kann Ausnahmen für abfliegende Flugzeuge – so genannte Einzelfreigaben – erteilen. Mittlerweile scheint aus den Ausnahmen die Regel geworden zu sein. Darauf wies der Sachverständigenrat für Umweltfragen, der die Bundesregierung in umweltpolitischen Fragen berät, bereits im März 2014 in einem Gutachten hin: „An zahlreichen Flughäfen weichen die Flugzeuge in der Praxis regelmäßig von den festgelegten Flugrouten ab, weil ihnen die Flugsicherung eine entsprechende Erlaubnis erteilt.“ Laut einer internen Betriebsanweisung der Flugsicherung sei es möglich, „bei Abflügen ab einer Flughöhe von 5.000 Fuß (ca. 1.525 Meter) bei Strahlenflugzeugen generell eine abweichende Einzelfreigabe“ zu erteilen. Piloten würden eine solche Erlaubnis häufig beantragen, „um aus ökonomischen Gründen möglichst früh in Richtung ihres Flugziels abzudrehen“. Die Einzelfreigaben würden so oft erteilt, dass „neben den festgelegten Flugrouten alternative ‚faktische’ Flugrouten“ entstehen.
Drastisches Beispiel Tegel
Ein „besonders drastisches Beispiel“ stelle vor diesem Hintergrund der Flughafen Tegel dar. Hier seien Flugrouten festgelegt worden, die für Abflüge in östlicher Richtung vorsähen, dass Flugzeuge mit Zielen in westlicher oder südlicher Richtung Berlin nördlich umfliegen sollten. Tatsächlich weiche jedoch eine „erhebliche Anzahl von Flugzeugen“ nach Süden ab und überfliege das Berliner Stadtgebiet. Zum Teil würden hier dicht besiedelte Gebiete mit einer Höhe von weniger als 2.000 Meter überflogen. Nach Angaben des Senats lag die Zahl der An- und Abflüge am Flughafen Tegel im Jahr 2013 bei fast 174.000. Fünf Jahre zuvor waren es noch rund 160.000. Wie viele Flüge in den letzten Jahren mit Erlaubnis der Deutschen Flugsicherung von den festgelegten Routen abwichen, kann der Senat allerdings nicht sagen. Als Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der Piratenfraktion teilte er hierzu lediglich mit, dass die Flugsicherung „weder Daten über die Zahl der Flugverkehrskontrollfreigaben erhebt, noch eine entsprechende Höhenzuordnung vornimmt“. Will heißen: Weder die Deutsche Flugsicherung noch die Berliner Landesregierung wissen, in welchem Ausmaß die Bevölkerung im Bereich um den Flughafen Tegel überhaupt von Fluglärm betroffen ist, der dadurch hervorgerufen wird, dass die Flugsicherung die ökonomischen Interessen einzelner Fluggesellschaften bedient.
Beim BER wird die Flughafengesellschaft nicht müde anzukündigen, dass bei der für 2017 geplanten Inbetriebnahme des BER dessen Kapazitäten bereits ausgelastet sein werden und ausgeweitet werden müssen. In diesem Fall ist zu befürchten, dass am BER in absehbarer Zeit mehr Flugzeuge an- und abfliegen und durch die Flugsicherung beaufsichtigt werden müssen, als zunächst angenommen. Zur Beschleunigung des Betriebs und aus Rücksicht auf die ökonomischen Interessen der Fluggesellschaften wird die Flugsicherung auch beim BER von massenhaften Ausnahmen Gebrauch machen, was weitere Gebiete abseits der künftig festgelegten Flugrouten verlärmen wird. Dies ginge zulasten von Anwohner/innen, die heute noch gar nichts davon ahnen.
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