Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 372 / Februar 2015

„Ergebnis der enormen Mietentwicklung“

Steigende Mieten führen dazu, dass die Berliner/innen immer seltener umziehen

Interview mit Sigmar Gude von Stadtforschungsbüro Topos                  

Anlässlich des Erscheinens des Marktmonitors 2014 warb die Vorsitzende des Verbands Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen Maren Kern für die Aufwertung von Stadtrandlagen und für die bessere Anbindung des Umlands, um so den Berliner Wohnungsmarkt zu entlasten. Der Stadtforscher Sigmar Gude vom Büro Topos sieht bislang kaum Verdrängung an den Stadtrand und darüber hinaus, hält sie aber in Zukunft für möglich. Bislang ziehen einkommensschwache Haushalte in immer schlechtere Wohnungen und müssen stärker zusammenrücken, lautet seine Schlussfolgerung aus den Studien von Topos.                        

 

MieterEcho: Laut BBU-Marktmonitor ziehen die Berliner/innen immer seltener um. Wie passt das mit Verdrängungsprozessen zusammen?

 

Sigmar Gude: Das passt sogar sehr gut zusammen. Bei den Zahlen der BBU-Unternehmen ist es in der Vergangenheit immer so gewesen, dass die Fluktuation geringer war als im ganz normalen Markt. Trotzdem werden die Daten des BBU unterstützt durch die Daten der Statistik-Behörden. Die Fluktuationsraten sind deutlich gesunken und das ist das Ergebnis der enormen Mietentwicklung – ob man es nun Gentrifizierung nennt oder nicht. Die Leute ziehen nicht mehr um, weil es keine günstigen Wohnungen mehr auf dem Markt gibt – und schon gar keine günstigeren, als sie bereits haben. Wer eine Bestandswohnung aufgibt, macht mindestens einen Mietsprung zwischen 15 und 30%.                          

 

Und dazu passen dann auch die Leerstandsquoten, die jetzt bei 2% und stellenweise nur noch bei gut 1% liegen?         

 

Ja, das ist genau das Gleiche. Wenn nichts frei wird, gibt es natürlich wenig Angebote. Das zeigte sich bereits, als es um die sogenannten Zwangsumzüge der Hartz-IV-Empfänger/innen ging. Im Jahr 2005, als das Ganze anfing, wurde von der Senatsverwaltung gejubelt, es gebe ja gar keine Zwangsumzüge. Das eigentliche Problem ist aber, dass die Leute die Miete nicht zahlen können. Inzwischen wissen wir alle, dass Hartz-IV-Beziehende deswegen nicht umziehen, weil sie eine billigere Wohnung als die, die sie haben, nicht finden. Also müssen sie, wenn sie über dem Satz für die Kosten der Unterkunft liegen, etwas von ihrem Geld zum Lebensunterhalt für die Miete ausgeben. Und dieses Phänomen zeigt sich jetzt nicht nur bei den Hartz-IV-Beziehenden, sondern in der Gesamtgesellschaft.

                        

Bedeutet das, dass keine Verdrängung an den Stadtrand stattfindet, weil für Mieter/innen die derzeitige Wohnung doch noch billiger ist als die Wohnung am Stadtrand?                        

 

Das ergibt sich daraus nicht allein. Aber wir vom Büro Topos sagen schon seit Langem, es gibt keine Verdrängung an den Stadtrand, sondern etwas anderes (Mieter-Echo Nr. 355 / Juli 2012 und MieterEcho Nr. 361/ Juli 2013). Die Familien finden nirgendwo mehr eine billige und anständige Wohnung und müssen in immer schlechtere Bestände, also irgendwo im Hinterhof, an einer lauten Straße oder in eine überbelegte Wohnung. Wir haben ausgerechnet, in welchem katastrophalen Ausmaß Hartz-IV-Empfänger/innen in überbelegten Wohnungen wohnen und dass davon vor allem Kinder betroffen sind. Die Verdrängung an den Stadtrand findet aus zwei Gründen nicht statt. Erstens, weil schon die Leerstandszahlen des Senats 2010/2011 gezeigt haben, dass auch am Stadtrand gar nicht mehr so viel frei war. Und zweitens sind die Mitgliedsunternehmen des BBU – und insbesondere die städtischen Wohnungsunternehmen – keineswegs darauf aus, ihre Bestände mit Haushalten zu füllen, die ihre Miete nicht selbst bezahlen können oder die große Schwierigkeiten damit haben. Aufgrund ihrer Vereinbarungen mit dem Senat müssen die Unternehmen zwar zum Teil Leute mit Einkommen unter dem Berliner Durchschnitt nehmen, aber dort, wo sie keine Wohnberechtigungsscheine fordern müssen, versuchen sie, im Wesentlichen an Durchschnittsverdiener/innen zu vermieten.     

 

Ist es denkbar, dass die Berliner/innen verstärkt ins Umland ziehen werden, wie es die BBU-Vorsitzende Maren Kern als Option für die Zukunft vorgeschlagen hat?                         

 

Das kann man sich durchaus vorstellen. Das Problem ist jedoch, dass im Umland in der unmittelbaren Nachwendezeit der preiswerte Wohnungsbau immer weiter abgeschafft wurde, weil extrem teuer gebaut wurde und die alten Bestände aus DDR-Besitz aufgewertet wurden. Als wir letztens in zwei Schulen im Berliner Umland fragten, wie viele Hartz-IV-Empfänger/innen sie hätten, sagten sie: „Etwa zehn.“ Und dann fragten wir: „Zehn Prozent?“ „Nein, zehn Leute.“ Es gibt um Berlin herum einen breiten Gürtel, wo die Leute auch nichts Preiswertes finden. Das heißt, sie müssten noch weiter hinaus. Und das ist in der Tat eine enorme Verdrängung, weil man dann völlig aus seinem sozialen Zusammenhang gerissen wird. Ich finde es katastrophal, wenn jemand wie Maren Kern sagt, die Leute sollten dahin gehen. Wenn Berlin weiterhin diese Bevölkerungszunahme hat und es nicht schafft, in Zukunft auch preiswerten Wohnraum zur Verfügung zu stellen, kann es natürlich sein, dass immer mehr Leute auch weiter herausgedrängt werden.                         

 

Wie wirkt sich die große Konkurrenz um die wenigen günstigen Wohnungen in der Stadt aus?                     

 

In unseren Untersuchungen haben wir verglichen, was Hartz-IV-Beziehende bei Neuvermietung pro Quadrameter Wohnfläche zahlen und was Normalverdiener/innen und Studierende zahlen. Im Jahr 2005 hatten Hartz-IV-Beziehende, die damals eine Wohnung neu angemietet hatten, eine deutlich geringere Miete pro Quadratmeter als Durchschnittsverdiener/innen. Die geringste Miete hatten damals die Studierenden. Im Jahr 2012 hatten die Mieten von Hartz-IV-Empfänger/innen nur noch einen ganz geringen Abstand zu den Mieten von Durchschnittsverdiener/innen und die Studierenden waren diejenigen, die am meisten zahlten. Studierende haben oft kleine Wohnungen und deswegen sind sie teurer. Zudem sind sie immer diejenigen, die neu kommen und müssen mittlerweile auch teure Wohnungen akzeptieren. Daran sieht man deutlich die Auswirkungen der Konkurrenz.          

 

Die Wohnungswirtschaft behauptet, dass die „Mietpreisbremse“ den einkommensschwachen Haushalten nichts bringen würde, weil sie die Konkurrenz um die günstigen Wohnungen nicht aufheben kann. Ist das richtig?  

 

Das ist ebenso richtig wie falsch. Es ist richtig, dass Vermieter in der Regel die solventesten Mieter/innen aussuchen, von denen sie erwarten, dass diese immer die Miete zahlen und keinen Ärger machen. Das wird sich auch in Zukunft nicht ändern. Aber immerhin ist es eine Hilfe, wenn Vermieter nur eine Miete in Höhe von maximal 10% über dem Mietspiegel nehmen dürfen. Es werden dann auf jeden Fall noch eher Wohnungen für Einkommensschwache angeboten. Grundsätzlich, und insofern hat Frau Kern Recht, werden die Einkommensschwachen nur dadurch in Zukunft besser versorgt werden, dass mehr preisgünstige Wohnungen in einem nicht dem freien Wohnungsmarkt unterliegenden Segment angeboten werden. Das heißt, wir brauchen wieder mehr Belegungsrechte und mehr mietpreisgebundene Wohnungen, egal, ob sie durch Neubau erstellt werden oder dadurch, dass man Wohnungen oder Belegungsrechte kauft. Ohne die Ausweitung dieses Sektors werden die Einkommensschwachen so oder so hinten herunterfallen.              

 

Vielen Dank für das Gespräch.                             

 

Das Interview führte Jutta Blume.

 

 


MieterEcho 372 / Februar 2015

Schlüsselbegriffe: Sigmar Gude, Stadtforschungsbüro Topos, Marktmonitor 2014, Berliner Wohnungsmarkt, Verdrängung, BBU, Maren Kern, Leerstandsquote, Stadtrand, städtische Wohnungsunternehmen, Hartz-IV-Beziehende, Mietpreisbremse

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