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MieterEcho 373 / März 2015

Ein bisschen Schliff für ein stumpfes Schwert

Weitere Milieuschutzgebiete sind in Planung und künftig werden in ihnen auch Umwandlungen von Miet- in Eigentumswohnungen untersagt

Von Rainer Balcerowiak                                    

In fünf Berliner Bezirken Kreuzberg-Friedrichshain, Neukölln, Mitte, Tempelhof-Schöneberg und Charlottenburg-Wilmersdorf wird derzeit der Erlass weiterer Milieuschutzsatzungen geprüft. Bisher gibt es in der Stadt 21 solcher sozialer Erhaltungsgebiete mit rund 300.000 Bewohner/innen. Die Satzungen basieren auf § 172 Baugesetzbuch. Danach dürfen Gemeinden „zur Erhaltung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung“ aufwändige Modernisierungen begrenzen oder untersagen, um Mietsprünge zu vermeiden, die zur Vertreibung einkommensschwächerer Anwohner/innen führen könnten.                            


Was als aufwändige Modernisierung oder gar als Luxusmodernisierung gilt, ist allerdings nicht eindeutig definiert und lässt sowohl den Bezirken als auch Gerichten bei Klagen betroffener Hauseigentümer einigen Spielraum. Die Schaffung eines „allgemein üblichen Ausstattungsstandards“ sowie energetische Modernisierungen bis zu einem bestimmten Umfang müssen in Milieuschutzgebieten genehmigt werden. Abgelehnt werden können dagegen beispielsweise Modernisierungsanträge für den Anbau von Balkonen, den Einbau von Parkettböden, Einbauküchen, Fußbodenheizungen, einem zweiten WC in der Wohnung und einem Doppelwaschbecken im Bad wie auch Zusammenlegungen von Wohnungen oder Grundrissänderungen zur Schaffung besonders großzügigen Wohnraums.                                        

 

Umwandlungsverordnung geplant    

Ausgebremst wurden die Bezirke bislang durch die Weigerung des Berliner Senats, eine Verordnung zu erlassen, die die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen in Milieuschutzgebieten unter Genehmigungsvorbehalt stellt. In dieser Frage scheint sich die SPD gegenüber ihrem Koalitionspartner CDU durchgesetzt zu haben, denn die Umwandlungsverordnung wurde Anfang März von der Landesregierung beschlossen.    

Bewegung gibt es vor allem im Bezirk Mitte, dessen Bezirksamt sich trotz entsprechender Beschlüsse der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) jahrelang weigerte, den Erlass von Erhaltungssatzungen auch nur zu prüfen. Dabei ist der Verdrängungsdruck in vielen Bereichen des Bezirks offensichtlich und die prozentualen Preissteigerungen bei Neuvermietungen gehören besonders in Teilen Moabits zu den höchsten in Berlin. Unter Immobilienfachleuten gelten Moabit und Wedding vor allem wegen ihrer Nähe zum Stadtzentrum und zu neuen Verwaltungszentralen wie der des Bundesnachrichtendiensts an der Chausseestraße als besonders renditeträchtig. Im Juni 2013 versprachen Bezirkspolitiker auf einer von verschiedenen Kiezinitiativen organisierten Konferenz erstmalig, eine entsprechende Prüfung in die Wege zu leiten. Unterstützung kam vom damaligen Stadtentwicklungsstaatssekretär Ephraim Gothe, der zusagte, dass die dafür notwendigen Mittel teilweise vom Land bereit gestellt werden könnten. Nachdem die Prüfungen im Herbst erfolgt waren, wurden Ende Januar im Stadtentwicklungsausschuss der BVV die Ergebnisse vorgestellt. Zwar handelte es sich bei dieser ersten Prüfungsphase nur um ein „Grobscreening“ aller 41 Planungsräume des Bezirks Mitte, dennoch wurden dabei bereits eindeutige Weichen gestellt. Zwei Bereiche, die jeweils mehrere Planungsräume mit insgesamt 90.000 Bewohner/innen umfassen, wurden als sogenannte Verdachtsgebiete definiert, in denen es hinreichende Anhaltspunkte für Aufwertungs- und Verdrängungsprozesse gibt. Im Wedding betrifft das den Stadtteil westlich der Reinickendorfer- und der Müllerstraße, wozu auch der Sprengelkiez und einige Seitenstraßen der Seestraße gehören. In Moabit umfasst das Verdachtsgebiet den Bereich nördlich von Alt-Moabit bis zur Birkenstraße zwischen Strom- und Beusselstraße sowie das Areal nördlich der Perleberger Straße bis zur Fennstraße. Die Prüfung ergab für diese Gebiete ein erhebliches Aufwertungspotenzial durch Sanierungen und Modernisierungen sowie deutlich steigende Zahlen von Wohnungs- und Hausverkäufen. Durch den damit einhergehenden Verlust von preisgünstigem Wohnraum besteht dort für die zahlreichen angestammten einkommensschwachen Haushalte die Gefahr der Verdrängung. In drei weiteren Gebieten – Soldiner Kiez, Reinickendorfer Straße-Ost und Tiergarten-Süd – soll die Entwicklung zunächst weiter beobachtet werden.                                 

 

Sanierungsziele fördern Verdrängung                

In Moabit deckt sich das Verdachtsgebiet in großen Teilen mit dem im März 2011 festgelegten Sanierungsgebiet „Aktives Zentrum Turmstraße“. Zu den Sanierungszielen gehören „die Sicherung als Handelsstandort und des Kulturangebots“ und „die Entwicklung des Stadtteilzentrums Turmstraße zu einem attraktiven und qualitätsvollen Einkaufs- und Versorgungszentrum“. Weitere Sanierungsvorhaben betreffen Grünflächen, Verkehrsplanung und soziale Infrastruktur. Die im Prinzip recht vernünftig klingenden Sanierungsziele haben einen entscheidenden Haken: Die Aufwertung des Bezirks wird begleitet von Verdrängung durch Luxusmodernisierungen und Umwandlungen von Miet- in Eigentumswohnungen. Kiezinitiativen fordern daher eine entsprechende Änderung bzw. Erweiterung der Sanierungsziele im Gebiet. Die Einstufung als Verdachtsgebiet für den Erlass einer Milieuschutzsatzung ist dabei eine Steilvorlage. Von der Stadtteilvertretung des Sanierungsgebiets wird seit März 2013, als erstmals Vertreter einer Mieterinitiative in dieses Bürgerbeteiligungsgremium gewählt wurden, eine solche Satzung vehement gefordert. Wirkliche Entscheidungskompetenzen hat die Stadtteilvertretung zwar nicht, aber Kiezaktivist/innen werden auch weiterhin versuchen, die bescheidenen Möglichkeiten der Stadtteilvertretung dafür zu nutzen, den Kampf gegen Verdrängung im Kiez in die Öffentlichkeit zu tragen.    Ohnehin ist der Erlass einer Milieuschutzsatzung in diesem Gebiet noch lange nicht in trockenen Tüchern. Der zuständige Stadtrat Carsten Spallek (CDU) kündigte bei der Präsentation des Grobscreenings an, dass zunächst die Aufträge für die Feinuntersuchungen in den Verdachtsgebieten ausgeschrieben werden müssten. Die Vergabe könnte im Frühsommer erfolgen und mit Ergebnissen wäre im vierten Quartal dieses Jahres zu rechnen. Der Erlass der Satzungen wäre dann frühestens im ersten Halbjahr 2016 möglich. Dabei müsse „Gründlichkeit vor Schnelligkeit gehen“, damit die Satzungen rechtssicher seien und nicht von betroffenen Hauseigentümern angefochten werden könnten, so Spallek.                                    

Kein Grund zur Euphorie        

In Neukölln gibt es ebenfalls Bewegung in Sachen Milieuschutz. Zwar beschloss das Bezirksamt vor einiger Zeit, den Erlass entsprechender Satzungen im Reuter- und im Schillerkiez zu prüfen, doch das reicht den im Mietenbündnis Neukölln zusammengeschlossenen Gruppen nicht aus. Sie starteten im vergangenen Herbst eine Unterschriftensammlung für einen sogenannten Einwohnerantrag für Milieuschutz in denjenigen Teilen Nord-Neuköllns, wo der Verdrängungsdruck erheblich gewachsen ist. Mitte Januar wurden dem Bezirksamt rund 3.500 Unterschriften übergeben und damit das erforderliche Quorum von 1.000 Unterschriften weit übertroffen. Die Bezirksverordnetenversammlung muss sich nun binnen zwei Monaten mit dem Antrag befassen. Wird er abgelehnt, wäre ein Bürgerbegehren möglich, das zu einem bindenden Bürgerentscheid führen könnte.        

Auch in Schöneberg soll der Milieuschutz ausgeweitet werden. Neben den bereits erlassenen Satzungen für Gebiete an der Bautzener Straße, am Barbarossaplatz, Bayrischen Platz und Kaiser-Wilhelm-Platz soll nun auch die „Rote Insel“ rund um die Kolonnenstraße diesen Status erhalten.    So erfreulich diese Renaissance des Milieuschutzes zu bewerten ist: Ein Grund zur Euphorie besteht keinesfalls. Auf Mieterhöhungen nach Mietspiegel haben Milieuschutzsatzungen keinen Einfluss. Aus den sozialen Erhaltungssatzungen lassen sich weder individuelle Schutzrechte für Mieter/innen in den betreffenden Gebieten ableiten noch kann die Verdrängung aufgrund von Modernisierungen und Mieterhöhungen nachhaltig gestoppt werden. Zumal energetische Modernisierungen – die sich allmählich zu den größten Mietpreistreibern entwickeln – nur teilweise unter den Genehmigungsvorbehalt fallen. Immerhin könnte durch die Umwandlungsverordnung im Zusammenspiel mit Milieuschutz wenigstens die Verdrängung in begehrten Altbaukiezen etwas eingedämmt werden. Eine grundlegend andere Mieten- und Wohnungsbaupolitik auf Landes- und Bundesebene ersetzt das allerdings keinesfalls.        


MieterEcho 373 / März 2015

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