Zwischen Mietstreik und staatlicher Regulierung
Mieterproteste in Berlin nach dem ersten Weltkrieg
Von Stefan Zollhauser
In den ersten Jahren der Weimarer Republik politisierten sich die Mieterproteste und eine staatliche Wohnungspolitik entstand. Während ein reichsweites Mietrecht geschaffen wurde, mobilisierten Mieterräte zu Großdemonstrationen und Mietstreiks.
Diskussionen über eine staatliche Wohnungspolitik kamen seit Mitte des 19. Jahrhunderts auf, doch erst nach dem ersten Weltkrieg setzen Maßnahmen zur Linderung der Wohnungsnot ein. Während zur Zeit der Blumenstraßenkrawalle noch fast zwei Drittel der Menschen auf dem Land lebten, wohnten zu Beginn des ersten Weltkriegs zwei Drittel in Städten. Überfüllte Mietskasernen, unhygienische und teure Quartiere prägten den Wohnalltag der Arbeiter/innen. Nach dem fast gänzlichen Erliegen des Wohnungsbaus begannen in der zweiten Kriegshälfte erste staatliche Interventionen. Orientiert an der sogenannten Friedensmiete vom Juli 1914 wurde ein verbindlicher Mietpreis festgesetzt, der den Beginn einer „Wohnungszwangswirtschaft“ markierte. Auch die zweite Säule staatlicher Wohnungspolitik, die Neubauförderung, kam noch vor Kriegsende auf den Weg. Die staatliche Interventionspolitik ging nicht zuletzt zurück auf die Idee der „Kriegerheimstätte“, wie sie wesentlich vom Bund deutscher Bodenreformer entwickelt wurde. Laut dessen Sprecher Adolf Damaschke sollte so die Moral der Truppe gehoben werden, damit der Soldat kämpft „wie ein Mann, der seine eigene Heimstätte verteidigt, in der er sich mit Kindern, die gesund an Leib und Seele sind, in Sicherheit des Ertrages seiner Arbeit freuen kann“. Die staatlich regulierte Wohnungsversorgung erlangte nach dem Krieg sogar Verfassungsrang: „Die Verteilung und Nutzung des Bodens wird von Staats wegen in einer Weise überwacht, die Missbrauch verhütet und dem Ziel zustrebt, jedem Deutschen eine gesunde Wohnung und allen deutschen Familien, (…) eine ihren Bedürfnissen entsprechende Wohn- und Wirtschaftsheimstätte zu sichern“, heißt es in Artikel 155 der Weimarer Reichsverfassung. Zwar war das eine bloße Absichtserklärung, doch die staatlich geregelte Wohnraumbewirtschaftung samt Mietpreisbindung und Neubauförderung blieb trotz des Gegenwinds der Hauseigentümer bestehen.
Politisierung und Spaltung der Mieterorganisationen
Die deutschen Mieterorganisationen konnten zu Beginn der Weimarer Republik bereits auf eine längere Tradition zurückblicken. Eine beachtenswerte Rolle in der Wohnungspolitik hatten sie im Kaiserreich aber nicht erringen können. Die Fluktuationsrate war hoch. Viele nutzten die Mitgliedschaft nur wegen persönlicher Auseinandersetzungen mit ihrem Vermieter und traten anschließend wieder aus. Während des ersten Weltkriegs kam es vielerorts wegen der Einberufung zum Zusammenbruch der Organisationsstrukturen. Nach Kriegsende erlebten die Mietervereine infolge der wachsenden Wohnungsnot einen immensen Zuwachs. Millionen Soldaten kamen zurück in ihre Heimatorte, die Zahl der Eheschließungen verdreifachte sich und viele im Krieg getraute Paare gründeten einen eigenen Haushalt. Zudem erschwerte der Zustrom von Flüchtlingen die Lage auf dem Wohnungsmarkt. Kurz nach Kriegsende ging man von einem Fehlbestand von reichsweit einer Million Wohnungen aus. Der Mietvertrag wurde zu einem schützenswerten und zu verteidigenden Gut. Mit dem massenhaften Beitritt von Arbeiter/innen wurden aus den zuvor bürgerlich geprägten Vereinen erstmals schichtübergreifende Organisationen. An ihrer Spitze blieb aber die bürgerliche Dominanz bestehen. Die schon während des Kriegs geschaffenen „Mieteinigungsämter“, die anstelle eines Gerichts Konflikte zwischen Mieter/innen und Vermietern schlichten sollten, zogen sich durch oft vermieterfreundliche Schiedssprüche den Unmut der Mieterschaft zu. Demgegenüber gewannen die stark auf Selbsthilfe ausgerichteten „Mieterräte“ zunehmend Mitstreiter/innen. Im Gegensatz zu den Organisationen, die in der Tradition des 1888 gegründeten „Vereins Berliner Wohnungsmiether“ standen, vertraten die oft kommunistisch orientierten Räte die Idee einer kämpferischen Basisorganisation: Eigenständig durchgeführte Reparaturen wurden von der Miete abgezogen und Zwangsräumungen versuchte man durch Mobilisierung der Nachbarschaft zu verhindern. So titelte die „Rote Fahne“ Ende Dezember 1918: „Die Mieter der nördlichen Vororte werden aufgerufen, allen Widerstand gegen die Steigerungen zu bieten. Zur Verhinderung der zwangsweisen Entfernung sind Mieterverteidigungstrupps zu organisieren.“ In den darauf folgenden Wochen wird von ersten, jedoch kleinen und lokal begrenzten Mietstreiks im Nordosten Berlins berichtet.
Wenige Monate später kochten hitzige Debatten innerhalb der Mieterorganisationen. Traditionellen Formen des Mieterschutzes standen aktionistische Mobilisierungen gegenüber: Mieterschutz oder Mietstreik, Verhandlung oder Kampf, Mitarbeit an Gesetzgebungsverfahren oder Sozialisierung des Wohnraums? Diese Fragen wurden erbittert diskutiert und führten letztlich zur Spaltung der Mieterbewegung. Der 1917 gegründete „Mieterbund Groß-Berlin“ hatte Anfang Januar 1920 zur ersten eigentlichen Mieterdemonstration im Lustgarten aufgerufen und schreckte dabei nicht vor nationalistischen Parolen zurück. Die liberale „Vossische Zeitung“ berichtete: „Die Redner des Mieterbundes sprachen von zehn verschiedenen Stellen aus. Sie geißelten in scharfen Worten die übermäßigen Mietsteigerungen und das Verhalten der Hausbesitzer (…). Die Hausbesitzer, die ihre Grundstücke an Ausländer verkaufen, wurden als Vaterlandsverräter gebrandmarkt (…).“
Mietstreik versus Mietrecht
Besonders der konservative Mieterverein des Groß-Berliner Westens war, wie es in der Verbandszeitung heißt, „jeder Verhandlung zugeneigt, jedem Kampf aber abgeneigt“. Anders sah es im Norden und Osten aus. In diesen Arbeitervierteln hatten die Mieterräte ihre soziale Basis. Ihre Anhänger waren enttäuscht von der Ablehnung der Sozialisierungsforderungen und den Entwürfen eines Reichsmietengesetzes, das eine reichsweite Verallgemeinerung preußischer Mietgesetzgebung zum Ziel hatte. Zusammen mit dem Anfang 1920 aus dem Mieterbund abgespaltenen und ebenfalls zum linken Flügel der Mieterbewegung gehörenden „Groß-Berliner Mieterverband“ mobilisierten die Mieterräte am 6. Februar 1921 zu einer von mehreren Orten aus auf den Lustgarten marschierenden Großkundgebung. Dort gaben sie folgende Erklärung ab: „Die versammelte (…) Mieterschaft des Berliner Mieterverbandes erklärt das Mietsteuergesetz und das Reichsmietengesetz als für sie unannehmbar abzulehnen. Die Mieterschaft ist entschlossen, bei Inkrafttreten dieser Gesetze jede Zahlung, auch die Zahlung der Mieten zu verweigern. Diese Resolution bedarf keiner weiteren Begründung, denn der unsoziale und die Mieter schädigende Charakter dieser Gesetzesvorlagen ist offenkundig.“ Noch vor Verabschiedung des Reichsmietengesetzes traten zum 1. April 1921 Zehntausende von Mieter/innen in den Streik. Die Forderungen waren allumfassend: „(…) 2. Beschlagnahme aller bewohnbaren Räume. 3. Zwangsweise Ausquartierung kleiner Familien aus übergroßen Wohnungen und dafür Einquartierung großer Familien. 4. Rückführung von zu Bürozwecken verwendeten Wohnräumen zu Wohnzwecken; Beschlagnahme der Schlösser und Villen und deren Verwendung für soziale Wohlfahrtszwecke. (…) 8. Volles Kontroll- und Mitbestimmungsrecht der Mieterräte in allen das Wohnungswesen betreffenden Fragen.“ Über die genaue Zahl der Beteiligten herrscht heute Uneinigkeit. Nicht belegte optimistische Zahlen nennen bis zu mehrere Hunderttausend Haushalte. Fest steht, dass der Streik überwiegend ein Alleingang der kommunistisch orientierten Hausgemeinschaften und Mieterräte war, der die Polarisierung der Berliner Mieterbewegung vertiefte. Bürgerliche und reformorientierte Gruppierungen unterstützten weiterhin die Mitarbeit am Reichsmietengesetz und hielten Distanz zum offensiven Protest. Der Streik brach bereits nach einem Monat weitgehend in sich zusammen. Das Reichsmietengesetz wurde mit einigen Veränderungen zugunsten der Mieterschaft ein Jahr später, im April 1922, verabschiedet. Obwohl bei Weitem nicht alle Forderungen Eingang fanden, wurden doch Mietobergrenzen festgelegt und die Mieterräte (jetzt Mieterausschüsse genannt) als Vertretungsberechtigte gesetzlich anerkannt, was die Grundlage für eine begrenzte Mitbestimmung legte. Diese institutionellen Neuerungen und die Politisierung des Mieterprotestes gründeten das Fundament, auf dem zehn Jahre später wesentlich größere Mobilisierungen aufbauen konnten.
Stefan Zollhauser ist Historiker und Medienpädagoge. Er organisiert historische Stadtführungen unter anderem zur Geschichte von Armut, Miete und Wohnverhältnissen (www.berliner-spurensuche.de). |
MieterEcho 366 / März 2014
Schlüsselbegriffe: Weimarer Republik, Mietstreik, Mieterproteste, Berlin, staatliche Wohnungspolitik, Mieterorganisationen, Reichsmietengesetz, Mieterschutz, Mietobergrenzen, Mieterräte, Berliner Mieterbewegung