Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 369 / September 2014

Umziehen – nur wohin?

Wer arm und alt ist, findet in der Berliner Innenstadt kaum eine angemessene Wohnung

Von Jutta Blume    

Altersgerecht Wohnen ist in Kreuzberg kaum mehr als ein Wunschtraum. Die einen halten zu große Wohnungen, weil sie keine Alternativen finden, die anderen rücken mit ihren Verwandten zusammen. Die größte Angst vieler Senior/innen ist, wegen der steigenden Mieten ihren gewohnten Kiez verlassen zu müssen.    

                                                

Jeden Donnerstag zur Mittagszeit kommen zahlreiche Kreuzberger/innen mit Einkaufstrolleys in die Passionskirche am Marheinekeplatz, darunter viele Senior/innen. Wer seine Bedürftigkeit nachweist, darf ein Los ziehen und aus den Lebensmitteln der Berliner Tafel auswählen. Rund 120 Personen kommen pro Woche in die ehrenamtlich organisierte Essensausgabe von „Laib und Seele“, einem Gemeinschaftsprojekt der Berliner Tafel und der Kirchengemeinden. Doch die Besucher/innen von „Laib und Seele“ belastet nicht nur das Problem, sich ausreichend mit Lebensmitteln zu versorgen. „Wir bekommen vor allem mit, dass die Menschen Angst haben, ihre Wohnung zu verlieren“, berichtet Gabi Bormann, die seit vier Jahren die Lebensmittelausgabe koordiniert. Viele Menschen fürchten, die nächste Mieterhöhung nicht mehr tragen zu können und ihr soziales Umfeld verlassen zu müssen. „Wenn die Leute krank sind, ist ein Umzug eine Riesenbelastung und eine passende Wohnung in Kreuzberg zu finden, ist quasi aussichtslos“, so Bormann.

Swetlana Dawydow* berichtet, dass sie und ihr Mann bereits eine Aufforderung vom Sozialamt bekommen haben, sich eine neue Wohnung zu suchen. 630 Euro warm zahlt das Ehepaar für die 2-Zimmer-Wohnung, die es seit 15 Jahren bewohnt. „Aber wir haben keine Kraft, uns eine neue Wohnung zu suchen, wir haben beide Herzprobleme“, sagt Dawydow. Jetzt habe ihr Arzt einen Brief ans Sozialamt geschickt und sie warten ab. „Wir sind sehr nervös“, so die Rentnerin. Die Dawydows möchten unbedingt in ihrem Kiez und in ihrer Wohnung bleiben.      

 

Keine Unterstützung von Ämtern            

Über die mangelnde Kraft, sich ständig mit Vermieter und Ämtern auseinander zu setzen, berichtet auch Brigitte Voigt*. Die 57-jährige Erwerbsunfähigkeitsrentnerin wohnt seit 15 Jahren am Südstern. Ihre Miete liegt sogar noch am unteren Ende des Mietspiegels, doch ständig ist sie mit Mängeln in der Wohnung konfrontiert, weil Reparaturen nicht richtig durchgeführt würden. „In 15 Jahren hat acht Mal ein Gerüst vor meinem Fenster gestanden. Das Dach ist gerade neu gedeckt worden, aber ich habe schon wieder Wasserflecken an der Decke.“ Die Frührentnerin ist der Meinung, dass die unzureichende Mängelbeseitigung reine Schikane ist. „Ich muss mir immer wieder Sprüche vom Vermieter anhören, warum ich nicht ausziehe.“ Derweil beobachtet sie, dass die frei werdenden Wohnungen für rund 10 Euro/qm neu vermietet werden und sich die neuen Mieter/innen noch verpflichten müssen, die Wohnungen selbst zu renovieren. Voigt ist sich sicher, dass sie aus dem Haus gedrängt werden soll. „Mittlerweile bin ich so zermürbt, dass ich ausziehen möchte, aber ich finde ja nichts“, klagt sie. Einen Heimplatz würde sie bekommen, aber sie möchte ihre Eigenständigkeit bewahren. Enttäuscht zeigt sie sich vom Sozialamt. Während sie versucht hätte, gegen Mieterhöhungen vorzugehen, um die Miete möglichst lange günstig zu halten, habe das Amt die neue Miete einfach überwiesen. Bei der Wohnungssuche vor 15 Jahren hätte sie der vom Sozialamt gestellte Betreuer schlecht beraten. Er hatte kein Übergabeprotokoll eingefordert und nicht gegen die rechtswidrige Vertragsklausel protestiert, dass die Mieterin keiner Mieterorganisation beitreten dürfe. Beigetreten ist Voigt inzwischen und damit auch gegen Prozesskosten rechtsschutzversichert. „Ich spüre trotzdem den Druck, auch wenn ich rechtlich auf der sicheren Seite bin.“    

 

Familien rücken zusammen                 

Dass es für viele Ältere unmöglich ist, in eine günstigere Wohnung zu ziehen, weiß auch Michael Breitkopf zu berichten. Er arbeitet als Sozialberater in Kreuzberg und Friedrichshain. Vor allem im nordöstlichen Kreuzberg sind die Senior/innen von Altersarmut betroffen und finden sich daher häufig in einer problematischen Wohnsituation. Im Bezirk ist der Anteil der Rentner/innen relativ niedrig, laut Sozialstrukturatlas sind sie aber überdurchschnittlich stark auf Sozialleistungen angewiesen. Deren prekäre Situation wird durch ein rasant gestiegenes Mietniveau im Bezirk noch verstärkt. Zwei Phänomene stechen laut Breitkopf besonders hervor. Erstens leben vor allem ältere Frauen oft allein in Wohnungen, die eigentlich zu groß für sie sind. Aufgrund der Größe übernimmt das Sozialamt aber nicht die vollen Kosten der Unterkunft. Ein Umzug in kleinere, altersgerechte Wohnungen ist aber nicht möglich, da diese faktisch nicht vorhanden sind.                

Zweitens wohnen Senior/innen aus Arbeiterfamilien mit Migrationshintergrund häufig mit anderen Familienmitgliedern in „gemischtfinanzierten Armutshaushalten“ zusammen. Bei diesen werden die Kosten der Unterkunft zum Teil vom Jobcenter und zum Teil vom Sozialamt übernommen. „Wenn einer der Leistungsträger nicht mehr zahlt, rücken die Haushalte oft näher zusammen“, so Breitkopf. Vier bis sechs Personen bewohnen dann gemeinsam eine 3-Zimmer-Wohnung. In einem Haushalt mit einem älteren, kranken Familienmitglied bekommt dieses dann ein Zimmer, ein Zimmer dient als Wohnzimmer und eines als Schlafzimmer für die restlichen Familienmitglieder. „Alte Menschen fühlen sich daher oft als Belastung für die Familie.“ Aber auch Kinder und Jugendliche leiden unter der Enge, denn es fehlt ihnen an Rückzugsräumen. Obwohl ein starker Verdrängungsdruck in Kreuzberg besteht, kommt dieser statistisch kaum zum Ausdruck, meint Breitkopf. Laut dem neuesten Wohnungsmarktreport der GSW habe sich beispielsweise die Bevölkerungszusammensetzung nicht verändert. „Klar, wo sollen die Leute denn auch hin?“, fragt der Sozialberater. Ohne den Zusammenhalt in vielen migrantischen Familien wäre die Situation noch schlimmer, ist er überzeugt.       

 

Altersgerechte Wohnungen fehlen            

Zum einen fehlen also bezahlbare und altersgerechte, barrierefreie Wohnungen, und zwar berlinweit. Ein Problem, das auch die Senior/innen der IG Metall erkannt haben. Die Gruppe fordert daher, dass 50% der neu zu bauenden Wohnungen in Berlin barrierefrei sein sollen, der Umbau von Wohnungen gefördert wird und der Umzug in kleinere Wohnungen organisatorisch und finanziell unterstützt wird. „Dabei sind gleiche oder höhere Mietbelastungen zu vermeiden“, lautet ihre Bedingung. Real kosten kleine Wohnungen bei einem neuen Mietvertragsabschluss häufig genauso viel oder mehr als die großen, langjährig bewohnten. Auch die Lage der Wohnungen spielt bei den Forderungen eine wichtige Rolle: „Altersgerechte Wohnungen sollen ein lebenslanges Wohnen in vertrauter Umgebung ermöglichen und einschließlich des Zugangs barrierefrei bzw. barrierearm sein.“ Kein Umzug an den Stadtrand also. Ein weiteres Problem stellt die Berliner Wohnaufwendungenverordnung (WAV) dar. Diese berücksichtigt den gesonderten Bedarf älterer Menschen nur unzureichend. Das Bundessozialgericht erklärte die WAV-Berlin bereits mit Urteil vom 17. Oktober 2013 (B 14 AS 70/12 R) für Leistungsbeziehende nach dem SGB XII – dazu zählen Rentner/innen mit einer zu geringen Rente – für unwirksam. Zwar sieht die WAV eine Erhöhungsmöglichkeit bei den Kosten der Unterkunft um 10% vor, es fehlt aber an Erhebungen des tatsächlichen Bedarfs älterer Menschen. Am 4. Juni 2014 kippte das Bundessozialgericht sogar die gesamte WAV (B 14 AS 53/13 R). „Trotzdem gibt es eine Dienstanweisung an die Bezirke, die rechtsunwirksame Verordnung weiter anzuwenden“, erklärt Breitkopf. Der Neuköllner Sozialstadtrat Bernd Szczepanski (B90/Grüne) bestätigt dies. „Bezüglich der WAV sind wir seitens des Senats gehalten, diese weiterhin anzuwenden, bis von dort eine geänderte oder neue Regelung kommt. Ich kann Ihnen jedoch mitteilen, dass wir stets auch die individuelle Angemessenheit des Wohnraums betrachten und insbesondere ältere Menschen bei einer Überschreitung der WAV-Tabelle nicht zum Wohnungswechsel auffordern.“ Auch wenn ältere Menschen nicht zum Umzug gezwungen werden, heißt das nicht, dass ihre Miete immer in vollem Umfang vom Sozialamt übernommen wird. „70.000 bis 90.000 Berliner Armutshaushalte tragen selbst zu ihrer Miete bei“, so der Sozialberater Breitkopf.                     

 

 


MieterEcho 369 / September 2014

Schlüsselbegriffe: Berliner Innenstadt, altersgerechtes Wohnen, Kreuzberg, Passionskirche Marheinekeplatz, Berliner Tafel, Senior/innen, Altersarmut, Migran/innen, Berliner Wohnaufwendungenverordnung, WAV, Berliner Armutshaushalte

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