Tristesse im öffentlichen Raum
Berlins historische Mitte wird nicht nur teuer, sondern verliert auch an Lebendigkeit
Von Jutta Blume
Wer sich in Berlin-Mitte zwischen Hausvogteiplatz und Spittelmarkt bewegt, sieht die zahlreichen neu gebauten Wohnhäuser. Fast ausschließlich handelt es sich um Eigentumswohnungen der Luxusklasse. Diese neue Bebauung hat auch Auswirkungen auf den öffentlichen Raum.
Am Hausvogteiplatz 14 wurde der Presse zufolge unlängst eine Wohnung für 5,7 Millionen Euro verkauft, mit einer Deckenhöhe von 6 Metern und ausgestattet mit Sauna, Fitnessraum und Weinkeller. Für das 260 qm große Penthouse zahlten die Käufer einen Qudratmeterpreis von 22.000 Euro. Das zeigt, was in Berlin allmählich möglich wird. Im Neubauprojekt „Kronprinzengärten“, das unmittelbar neben der Friedrichwerderschen Kirche gebaut wird, soll der Quadratmeter zwischen 5.000 und 17.000 Euro kosten, inklusive Swimmingpool auf der Dachterrasse. Auf der anderen Seite der Kirche, am Schinkelplatz, soll ab Frühjahr 2015 gebaut werden. Hier ist von Preisen von bis zu 20.000 Euro/qm in den oberen Etagen die Rede. Die Lage ist exklusiv, denn das Baufeld befindet sich am Kupfergraben, zwischen dem zukünftigen Stadtschloss und der rekonstruierten Stadtkommandantur. Die Stadtkommandantur hat die Adresse Unter den Linden 1 und ist Sitz der Hauptstadtrepräsentanz von Bertelsmann-Stiftung und Bertelsmann AG. Projektentwickler der Kronprinzengärten ist die Frankonia Eurobau, für die Gestaltung der Gebäude wurden Star-Architekten wie Rafael Moneo, Charlotte Frank und Axel Schultes engagiert.
Störender Wochenmarkt
Das Gebäude mit der Adresse Hausvogteiplatz 14, in dem sich auch die Botschaft der Mongolei befindet, liegt an der Spitze des dreieckigen Platzes und ist eingebettet in die bereits 2008 fertiggestellten Townhouses zwischen Auswärtigem Amt, Oberwallstraße und Niederwallstraße. Am Hausvogteiplatz 14 ist auch die City & Home GmbH ansässig, die sich auf die Vermittlung von Luxusimmobilien spezialisiert hat. Seit 2011 fand auf dem Hausvogteiplatz zweimal wöchentlich ein Bauernmarkt statt. Gegenüber der Berliner Woche berichtete die Marktbetreiberin Silvia Bolatzky-Budde, dass Anwohner/innen und benachbarte Gewerbetreibende gefordert hatten, der Markt solle verschwinden. Wer in hochpreisigen Eigentumswohnungen lebt, möchte nicht mit profanen Dingen des Lebens, etwa dem Verkauf von Lebensmitteln, belästigt werden, so scheint es. Zum 1. Oktober 2014 zogen die Händler zum Spittelmarkt um, allerdings nicht alle. Einige fürchteten, dass die Mittagskundschaft – Angestellte aus umliegenden Büros und Ministerien – den neuen Standort an der stark befahrenen Leipziger Straße nicht mehr besuchen wird.
Historisierende Neubauten
Der Neubau von Eigentumswohnungen geht jenseits des Spittelmarkts weiter. Zwischen Seydelstraße, Neuer Grünstraße und Beuthstraße finden sich Neubauten in historisierendem Baustil mit hellen Fassaden, leicht gerundeten Balkonen und hohen Fenstern. Die Blockrandbebauung mit geschlossenen Innenhöfen folgt den Vorgaben der sogenannten kritischen Rekonstruktion. Bauherr ist hier überwiegend die Groth-Gruppe. In den Beuth-Höfen mit 122 Eigentumswohnungen kostet die billigste Wohnung 3.450 Euro/qm. In den Beuth-Höfen Süd sind hingegen 117 Mietwohnungen entstanden. Die Nettokaltmieten betragen zwischen 9 und 14 Euro/qm und sind damit nichts für Durchschnittsverdiener/innen. „Wohnen an der Wallstraße“, drei Stadthäuser an Wallstraße und Neuer Roßstraße mit 99 Eigentumswohnungen, gehört ebenfalls zu den Projekten. Der Preis wird exemplarisch mit 4.242 Euro/qm angegeben. Ein weiteres Projekt in ähnlichem Stil, aber von einem anderen Investor, ist „Domus – Wohnen am Spittelmarkt“ für rund 3.800 Euro/qm, das von Ziegert vertrieben wird. Unabhängig von Bauherren und Architekten sind die Neubauten nach außen beinahe hermetisch abgeriegelt. Die wenigen neuen Ladenflächen stehen zum größten Teil leer. Es scheint, dass die neuen Bewohner/innen noch nicht wirklich angekommen sind – oder sich für ihren alltäglichen Bedarf woanders versorgen. Der Kontrast durch das sogenannte Spitteleck, ein an der Ecke Seydel- und Wallstraße in den 80er Jahren im Stil des Brutalismus erbauter Plattenbau des Architekten Eckart Schmidt, lässt sich inmitten des Neubau-Einheitslooks durchaus als angenehm empfinden. Zurzeit wird das Gebäude mit 295 Mietwohnungen von der Wohnungsbaugesellschaft Mitte umfassend saniert, wobei die Handschrift des Architekten erhalten bleiben soll. Durch den Umbau von Gewerbeeinheiten werden 29 Wohnungen neu geschaffen. Die Höhe des Mietpreises nach der Sanierung hänge davon ab, wie viele Wohnungen unter das Mietenbündnis fallen würden, so WBM-Pressesprecherin Steffi Pianka. Aktuell betrage die Durchschnittsmiete 5,50 Euro/qm.
Wohnungen statt Schulen
Hinter den Hochhäusern an der Leipziger Straße ziehen sich die Baustellen weiter in Richtung Axel-Springer-Haus. Wo einst die Oberschulen „Theodor Winter“ und „Reinhold Huhn“ standen, ist nun eine riesige Baustelle, auf der das „Markgrafenkarree“ entstehen soll. Nur die modernisierte Sporthalle, heute genutzt für Vereinssport, und der Jugendclub Werk 9 stehen noch. Aufgrund von Sparmaßnahmen des Bezirks drohte Letzterem bereits vor zwei Jahren das Aus. Wenn die Mieter/innen des Markgrafenkarrees einziehen, könnte es für den Jugendclub schwierig werden, denn im Werk 9 proben regelmäßig Bands und es finden Konzerte statt. Insgesamt 365 Mietwohnungen „im gehobenen Segment“ sollen im Karree auf sechs Etagen entstehen. Der Projektentwickler Gold. Stein GmbH hat sich bereits das Vorkaufsrecht für das Grundstück des Jugendclubs gesichert, berichtete die Berliner Woche. Im Gebiet existieren kaum Infrastruktureinrichtungen für Kinder und Jugendliche. In den letzten Jahren waren die Schülerzahlen zurückgegangen. Wie sich die Zuzüge von Gutverdienenden auswirken, ist noch nicht abzusehen. Im Schulentwicklungsplan des Bezirks heißt es, dass „in den gehobenen Wohnlagen des Bezirks verstärkt Privatschulen bevorzugt“ werden. „Viele der derzeitigen Bauvorhaben im Bezirk wenden sich an höhere Einkommensschichten, sodass eine Verstärkung dieses Trends zu erwarten ist.“ Etliche Wohnungen werden ohnehin nur als Zweitwohnsitz genutzt. Das Projekt „Guardian“ an der Krausenstraße mit 134 geplanten Eigentumswohnungen wird im Internet als „hervorragend zur Kapitalanlage, zum Beispiel als Zweitwohnsitz mit der Option zur Vermietung auf Zeit“ angepriesen.
MieterEcho 370 / Oktober 2014
Schlüsselbegriffe: Berlin, historische Mitte, Hausvogteiplatz, Spittelmarkt, Eigentumswohnungen, Luxusklasse, Kronprinzengärten, Schinkelplatz, Wochenmarkt, historisierende Neubauten, Beuth-Höfe, Markgrafenkarree