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MieterEcho 366 / März 2014

Simulierte Sicherheit

Immer wieder wird über die Videoüberwachung der BVG gestritten, denn ihr Nutzen ist nicht erwiesen, wie selbst der Senat zugeben muss

Von Benedict Ugarte Chacón                                

Im Herbst 2013 waren auf den 173 Bahnhöfen der BVG 1.788 Videokameras installiert. Dabei verfügt die BVG nach Aussagen des Senats auch über Kameras mit Spezialfunktionen, deren Software zum Beispiel registriert, wenn Gleise betreten oder Graffiti gesprüht wird. Auch könne damit der „Aufenthalt über einen längeren Zeitraum“ sowohl von Personen als auch von Gegenständen ausgemacht werden. Vom Senat und von bestimmten Parteien wird immer wieder auf die Notwendigkeit der Videoüberwachung im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) hingewiesen, schließlich handele es sich dabei um einen wichtigen Beitrag zur Steigerung der Sicherheit. Aber ob die Videoüberwachung die Sicherheitslage tatsächlich verbessert, kann der Senat nicht sagen.                                            


Nach der letzten Abgeordnetenhauswahl im Herbst 2011 schrieben SPD und CDU in ihrer Koalitionsvereinbarung auch ihre Absicht zur Ausweitung von Videoüberwachung fest. Dabei bezogen sie sich auf ein angeblich „gestiegenes Sicherheitsbedürfnis im öffentlichen Personennahverkehr“. Diesem sei einerseits durch eine erhöhte Präsenz von Polizei- und BVG-Personal zu begegnen, andererseits sollen die in Bussen, Bahnen und auf Bahnhöfen der BVG erfassten Videodaten nun 48 Stunden statt wie zuvor nur 24 Stunden gespeichert werden. Zudem heißt es im Koalitionsvertrag: „Gegenüber der Deutschen Bahn werden wir uns dafür einsetzen, dass die Videoüberwachung auf den Anlagen der S-Bahn ausgebaut wird.“ Dass die Überwachung im Berliner ÖPNV vorangetrieben wird, ist keine neue Entwicklung. So verabschiedete bereits die Vorgängerregierung aus SPD und Die Linke im Mai 2011 ein „Maßnahmepaket für mehr Sicherheit“, welches auch den Ausbau vorhandener Videoüberwachungstechnik vorsah. Wie weit es mit der angeblich gesteigerten Sicherheit her ist, kann zumindest der rot-schwarze Senat ebenso wenig wie sein rot-roter Vorgänger genau sagen. So ist es beispielsweise der Polizei nach der Änderung des Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes (ASOG) im Jahr 2007 unter anderem erlaubt, im ÖPNV „personenbezogene Daten durch Anfertigung von Bildaufnahmen“ zu erheben sowie diese Bilder zu speichern, wenn „sich aus einer nachvollziehbar dokumentierten Lagebeurteilung ein hinreichender Anlass für die Datenerhebung ergibt“. Anfang 2010 berichtete der Senat dem Abgeordnetenhaus über Art, Umfang und Erfolg dieser Maßnahmen. Dabei machte er deutlich, dass zumindest bis zu diesem Bericht von der Polizei selbst gar keine Bildaufnahmen gemacht wurden. Vielmehr griff sie auf Daten der BVG zurück. Damit hätte sie in den Jahren 2008 und 2009 in insgesamt 12 Fällen Straftaten abgewehrt. All diese Fälle ereigneten sich im zweiten Halbjahr 2009 und standen im Zusammenhang mit einer „erhöhten abstrakten Gefährdungslage zur Bekämpfung des islamistischen Terrorismus“, wie es im Senatsbericht nebulös heißt. Der eigentliche Beitrag zur Strafverfolgung ergibt sich dadurch, dass die BVG im Fall von möglichen Straftaten selbst ihre Aufnahmen an Polizei und Staatsanwaltschaft übermittelt. Ob die 2007 erfolgte Erweiterung der Polizeibefugnisse wirklich notwendig war, wurde bislang nicht wissenschaftlich evaluiert.                            

 

Keine Studien, keine Statistik        

Welchen Nutzen die Videoüberwachung an sich erbringt, ist ebenfalls unklar. In der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage des Abgeordneten Oliver Höfinghoff (Piraten) verwies der Senat darauf, dass Videoaufnahmen nur ein „ergänzendes Beweismittel“ seien und Straftäter „in vielen Fällen“ durch Vernehmungen, Zeugenaussagen und Gegenüberstellungen namhaft gemacht werden können. Dabei würde statistisch gar nicht erfasst, ob die Übermittlung der Videodaten an die Strafverfolgungsbehörden dazu führt, dass Tatverdächtige tatsächlich festgenommen werden können. Nach Auffassung der Berliner Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz sei dies auch gar nicht vorgesehen. „Für eine Sonderstatistik besteht unter fachlichen Gesichtspunkten keine Notwendigkeit, zumal Videodaten grundsätzlich keine alleinstehenden Beweismittel sind“. Außerdem seien die Behörden angehalten, „mit den ihnen zur Verfügung stehenden Haushaltsmitteln wirtschaftlich umzugehen“. Im Klartext heißt das: Auch wenn die öffentliche Hand bereitwillig Gelder für Videoüberwachung in die Hand nimmt, wird deren Nutzen angeblich aus Kostengründen nicht statistisch erfasst. Der Senat hat offensichtlich kein gesteigertes Interesse, Sinn und Unsinn von Videoüberwachung öffentlich genau darzustellen. Anders lässt es sich nicht erklären, dass er sich zur Beantwortung einer anderen parlamentarischen Anfrage zu diesem Thema, die der Piraten-Abgeordneten Christopher Lauer bereits im März 2013 gestellt hatte, geschlagene zehn Monate Zeit ließ. Lauer wollte unter anderem wissen, ob der Senat Studien oder Evaluierungen zum Beitrag der Videoüberwachung bei der Kriminalitätsbekämpfung in Auftrag gegeben habe. Innensenator Frank Henkel (CDU) antwortete: „Der Senat hat in den letzten fünf Jahren keine Evaluation zum Nutzen von Videoüberwachung im öffentlichen Raum in Auftrag gegeben.“ Ob es andere Evaluierungen oder Studien hierzu gibt, ist dem Senat nicht bekannt. Auch zur Frage, ob es durch die Installation von Videokameras zur Verlagerung möglicher Kriminalität an andere, nicht überwachte Orte, kommt, konnte Henkel nichts sagen: „Der Senat kann keine validen Aussagen zu ‚Verdrängungseffekten’ treffen, da diesbezüglich keine Erhebungen erfolgen.“ Dennoch sieht Henkel den „positiven Effekt“ der Videoüberwachung in einer „effizienteren Strafverfolgung durch die Verbesserung der Beweislage“. Woher der Senator diese Gewissheit nimmt, bleibt unklar. Denn in der Antwort an Lauer heißt es weiter: „Ein Rückschluss darauf, dass Tatverdächtige ausschließlich aufgrund des Videobeweises ermittelt werden konnten, ist nicht möglich.“                                    

 

„Präventive Überwachung“        

Im August des letzten Jahres begann die Berliner Polizei die Kameraanlagen der BVG auf den Bahnhöfen Zoologischer Garten, Kottbusser Tor und Alexanderplatz mitzunutzen. Laut Aussage von Innensenator Henkel hätten sich diese Bahnhöfe nach dem polizeilichen Lagebild als sogenannte Kriminalitätsschwerpunkte erwiesen. Im Zuge dieser „präventiven Überwachung“ würden Polizeibeamte die entsprechenden Monitore überwachen, „um bereits in der Anbahnungsphase von Straftaten und Notsituationen schnell Hilfe entsenden zu können“, heißt es in einer anderen Antwort des Senats vom September 2013. Ziel dieser Maßnahmen sei es, mögliche Straftaten auf den genannten Bahnhöfen so früh wie möglich zu erkennen oder gar zu verhindern. Wie dies im Einzelnen geschehen soll, konnte Henkel nur ungenau erläutern: „Mit geschultem Blick soll konspiratives Verhalten potenzieller Straftäterinnen und Straftäter erkannt und im Bedarfsfall eine umgehende Alarmierung von Einsatzkräften gewährleistet werden.“ Die Möglichkeit, mit solchen Maßnahmen als potenzielle Täter/innen ausgemachte Menschen „aus der Anonymität eines umschlossenen, scheinbar geschützten Bahnhofsbereichs heraus zu holen“, solle eine abschreckende Wirkung entfalten und zudem einen „elementaren Beitrag sowohl zur Erhöhung der subjektiven Sicherheit als auch zur Bekämpfung der vorherrschenden Kriminalität leisten“. Es sei daher nicht auszuschließen, dass in Zukunft auch weitere Bahnhöfe in diese Überwachungsmaßnahmen einbezogen würden. Ob diese Schwerpunktüberwachung tatsächlich zur Erfüllung der vom Senat formulierten Ziele beiträgt, konnte der Senator jedenfalls im Herbst letzen Jahres nicht bestätigen: „Aufgrund fehlender Erfahrungswerte kann hierzu keine Aussage getroffen werden.“ Ebenso lagen ihm nach eigener Aussage keinerlei Zahlen vor, die den Nutzen der von ihm genannten Ziele der permanenten Überwachung auf den drei Bahnhöfen untermauern könnten. Der Verein Digitalcourage, der sich mit Datenschutz und Überwachung beschäftigt, kritisiert, dass eine Videoüberwachung des öffentlichen Raums lediglich zwei Gruppen nutze. Zum einen den privaten Unternehmen, die durch Verkauf und Installation der Überwachungstechnik sowie deren anschließende Wartung verdienen. Zum anderen seien es populistische Politiker, die wider besseren Wissens den Nutzen von Videoüberwachung propagierten und sich damit „zu Steigbügelhaltern der (Überwachungs-)Industrie degradieren“ ließen.

 

 


MieterEcho 366 / März 2014

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